In der digitalen Welt lässt sich Hate Speech nur in Einzelfällen zu einem Täter zurückverfolgen. Foto: set cookie / pixelio.de
23.10.2019

Hate Speech: „Wissenschaftler werden angegriffen“

Gewaltandrohungen in sozialen Medien, Beschimpfungen unter Artikeln oder grobe Beleidigungen per E-Mail: „Hate Speech“ ist in den digitalen Medien zu einem weitverbreiteten Phänomen geworden. Am Freitag, 25. Oktober, steht bei einem Fachtag an der Universität Paderborn das Thema Hassrede im Internet im Mittelpunkt. Im Interview mit westfalenspiegel.de erläutert Universitätspräsidentin Prof. Dr. Birgitt Riegraf, warum sich Hochschulen mit diesem Thema beschäftigen sollten.

Frau Prof. Riegraf, um welche Themen geht es bei der Tagung?
Die Verrohung von Sprache und anonyme Angriffe haben im Internet in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Dem sind Politikerinnen und Politiker ausgesetzt, aber auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Wir möchten mit der Tagung ein Bewusstsein dafür schaffen, welche Übergriffe im Netz passieren und zudem zeigen, was Hasssprache für die davon betroffenen Menschen bedeutet, aber auch über Gegenstrategien diskutieren. Es ist für Organisationen wichtig, Regeln des Umgangs hierfür zu entwickeln, denn ich gehe davon aus, dass diese in der Mehrzahl anonymen Angriffe kein vorübergehendes Phänomen sind, sondern dass wir auch in den kommenden Jahren immer wieder mit „Hate Speech“ konfrontiert werden.

In welcher Form ist die Wissenschaft davon betroffen?
Es gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die massiv angegriffen und mit Vergewaltigung oder Mord bedroht werden, weil ihr Forschungsthema oder die Forschungsergebnisse nicht der politischen Überzeugung Einzelner entsprechen oder in die politische Agenda von Parteien passen. Diese Angriffe im Netz können weitreichende Konsequenzen haben, zum einen auf die persönliche Biographie der betroffenen Personen, aber auch auf ihre Arbeit. Wir beobachten mit großer Sorge Prozesse der Selbstzensierungen, im schlimmsten Falle publizieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Artikel nicht aus Sorge, in einen Shitstorm zu geraten. Das können wir als wissenschaftliche Community und als Universitätsleitungen keinesfalls zulassen.

Prof. Dr. Birgitt Riegraf von der Universität Paderborn. Foto: Universität Paderborn / Nora Gold

Prof. Dr. Birgitt Riegraf von der Universität Paderborn. Foto: Universität Paderborn / Nora Gold

Was tun Sie an der Universität Paderborn dagegen?
Wir arbeiten daran, einen institutionalisierten Ablauf für solche Fälle aufzubauen. Zunächst braucht es klare Zeichen an die Betroffenen, dass ihre Institutionen wie die Universitäten hinter ihnen stehen und ihnen Rückendeckung geben. Betroffene benötigen zudem feste Anlauf- und Beratungsstellen. Personen ihres Vertrauens können mit ihnen über weitere Schritte beraten. Dabei kann es darum gehen, ob Anzeige erstattet werden soll oder ob der Mail-Account abgestellt wird. Unter Umständen kann eine Vertrauensperson für eine gewisse Zeit die E-Mails abfangen und speichern, um die Betroffenen aus dem Shitstorm zu nehmen.

 

Wie steht es um den juristischen Umgang mit Hate Speech?
Ein Grundproblem ist, dass wir bei anonymen Angriffen im Internet leider nur selten nachvollziehen können, wer der Urheber ist. Wenn Server im Ausland angesiedelt sind, die Anbieter den Nutzern versichern, dass ihre Spuren nicht zurückverfolgt werden können und entsprechende Maßnahmen ergreifen, dann sind die Angreifer kaum zu ermitteln. Um all diese Phänomene und Fragen diskutieren zu können, schaffen wir mit der Fachtagung einen Raum.

Interview: Annette Kiehl / wsp

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