Am 23. Februar findet die Wahl zum 21. Deutschen Bundestag statt. Foto: Simone M. Neumann
17.02.2025

„Heftig und hitzig“

Der Münsteraner Politikwissenschaftler Prof. Dr. Norbert Kersting spricht über Polarisierung im Wahlkampf und über regionale Auswirkungen der Bundestagswahl.

Gemeinsam mit einem Team der Universität Münster hat Kersting den Wahl-Kompass als Online-Entscheidungshilfe für Wählerinnen und Wähler entwickelt. Der Wissenschaftler beschäftigte sich intensiv mit den Wahlprogrammen und Leitanträgen der Parteien. „Klima- und Umweltschutz stehen nicht mehr so im Fokus wie 2021. Das Thema Migration ist dafür in den Vordergrund gerückt worden“, beobachtet Kersting. Dies nutze vor allem Populisten. Und: „Sicherheit und Absicherung sind wichtige Themen, sowohl national als auch individuell: Zukunftsängste werden deutlich, die Sorge, dass sich die Wirtschaftslage nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert.“ Der vorgezogene Termin der Bundestagswahl am 23. Februar setze die Parteien unter Druck, sagt der Politikwissenschaftler im Interview mit André Bednarz von der Pressestelle der Universität Münster: „Wegen des vorgezogenen Termins stehen deutlich weniger Parteien als üblich zur Wahl. Einige haben es so kurzfristig nicht geschafft, die nötige Unterstützung zu organisieren, oder sie haben von vornherein das Handtuch geworfen.“ Zudem sei ein Wahlkampf im Winter schwieriger. Dies könne dazu führen, dass die Wahlbeteiligung sinke, so Kersting. 

Weniger Abgeordnete im Bundestag

Politikwissenschaftler, Prof. Norbert Kersting. Foto: WWU/Anna Overmeyer

Politikwissenschaftler, Prof. Norbert Kersting. Foto: WWU/Anna Overmeyer

Spürbare Auswirkungen auf die Zusammensetzung des nächsten Bundestages könnte auch die Wahlrechtsreform haben. In der kommenden Wahlperiode wird es keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr geben. Ziel ist es, den Bundestag zu verkleinern. „Diese drastische Regelung wirkt sich auf die Direktkandidaten aus, die per Erststimme gewählt werden“, sagt der Forscher und erklärt: „Denn die Zweitstimme, mit der die Wähler eine Partei wählen, wird deutlich aufgewertet: Der Gewinn der Erststimmen garantiert einem Kandidaten nicht mehr automatisch den Einzug ins Parlament per Direktmandat.“ Das „Ticket“ für den Bundestag erhalten nur die Bewerber, die im Vergleich die besten Direktwahl-Ergebnisse haben.

Die Auswirkungen dieser Reform  könnten regional unterschiedlich ausfallen, prognostiziert Kersting: „Für das eher ländliche Münsterland ist das gut, da es dort noch immer Hochburgen großer Parteien gibt und deren Kandidaten mit einem starken Ergebnis rechnen können. In Münster selbst sieht das anders aus: Der Wettbewerb ist größer, die Stimmen verteilen sich auf mehr Kandidaten, weshalb es sein kann, dass der Sieger des Wahlkreises kein Mandat bekommen könnte.“

Der Wissenschaftler, der zur Kommunal- und Regionalpolitik forscht, beobachtet eine starke Polarisierung im Wahlkampf. Er befürchtet, dass dies auch Folgen für die Koalitionsverhandlungen haben könnte. „Kann man nach einem so heftigen und hitzigen Wahlkampf einfach zur Tagesordnung übergehen und eine Regierung auf die Beine stellen? Das sind wichtige Fragen, da sich die Politikerinnen und Politiker auch nach dem Wahlkampf noch in die Augen schauen können müssen.“

wsp

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