„Herden effektiv schützen“
Auch in Westfalen sind wieder Wölfe heimisch. In der Natur finden sie genug Beute, sagt der Biologe Dr. Jan Ole Kriegs, Leiter des LWL-Museums für Naturkunde in Münster.
Warum wurde der Wolf in Deutschland ausgerottet?
Auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik sind Wölfe, soweit man es anhand historischer Belege nachvollziehen kann, schon mindestens seit dem späten Mittelalter immer wieder Opfer von Verfolgung und systematischer Ausrottung durch den Menschen geworden. Berichten zufolge starben viele Wölfe durch Lappjagden, Wolfsgruben, Wolfsangeln und Giftköder, was zur Folge hatte, dass der Wolfsbestand schon ab dem 15. Jahrhundert gering war. Nach einigen Phasen der Bestandserholung bis ins 19. Jahrhundert verlieren sich danach jegliche Hinweise auf Wolfsrudel auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik. Der maßgebliche Grund für die Verfolgung war der Verlust von Weidetieren durch Wölfe zu Zeiten einer wachsenden Nutztierhaltung auf Wiesen und in Wäldern.
Spielte dabei auch eine mögliche Gefahr für den Menschen eine Rolle?
Berichte über Angriffe auf Menschen aus geschichtlicher Zeit lassen sich heute nicht mehr prüfen. Zumindest teilweise gehen diese wohl auf Wolf-Hund-Hybriden zurück, da solche Angriffe nicht dem natürlicherweise extrem scheuen Verhalten des Wolfes entsprechen. Belegte Angriffe aus Europa gehen laut einer Studie aus dem Jahr 2018 offenbar ausschließlich auf die Infizierung von Wölfen mit Tollwut zurück. Europa gilt heutzutage glücklicherweise als in weiten Teilen tollwutfrei.
Die Wolfspopulationen in Deutschland wachsen. Wieso stehen Wölfe unter gesetzlichem Schutz?
Der Wolf ist eine einheimische Tierart, die auf natürliche Weise ihren ursprünglichen Lebensraum wieder besiedelt. Die Tiere sind international streng geschützt, um den Arterhalt und auch den Erhalt regionaler Populationen gegen Ausrottung sicherzustellen. Wölfe waren durch jahrhundertelange Verfolgung seit dem Mittelalter beispielsweise in Mitteleuropa weitflächig ausgerottet worden. Der Schutz ist auf internationaler Ebene durch das „Washingtoner Artenschutzabkommen“ sowie durch die „Berner Konvention“ festgelegt. Die Europäische „Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie“ wird im deutschen Recht durch die Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes umgesetzt und ist dann Ländersache.
Die Wölfin Gloria reißt bei Schermbeck öfters Herdentiere. Wurden seit der Rückkehr der Wölfe in Deutschland Fehler gemacht?
Seit im Jahr 2009 der erste Wolf in Nordrhein-Westfalen nachgewiesen wurde, hat das LANUV (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW) eine Arbeitsgemeinschaft „Wolf in NRW“ geschaffen, die aus verschiedensten Vertretern aus Behörden und Interessengemeinschaften besteht. Das resultierte im Jahr 2016 in einem Wolfsmanagementplan für NRW, in dem ein Handlungsleitfaden für das Auftauchen einzelner Wölfe erstellt wurde.
Grundsätzlich ist dieses Bundesland reich an natürlichen Beutetieren des Wolfes, nämlich Reh, Wildschwein oder in manchen Gebieten auch Mufflon und Rothirsch. Die Wölfin „GW 954 f“ mit dem Spitznamen „Gloria“ hat, im Gegensatz zu den meisten Artgenossen, tatsächlich des Öfteren Nutztiere gerissen. Schafe, Ziegen und Co. sind für den Wolf eine willkommene Beute, wenn sie leicht verfügbar sind. Wölfe sind daran interessiert, sich möglichst wenig Risiko bei einer Jagd auszusetzen, um Verletzungen vorzubeugen und um körperliche Ressourcen einzusparen.
Was ist also zu tun?
Nutztiere müssen durch effektiven Herdenschutz geschützt werden. Auf diese Weise kann man es dem Wolf unbequemer machen und er weicht (hoffentlich) wieder auf seine natürliche Nahrung aus, die ja reichlich vorhanden ist. Statistisch gehen die Übergriffe auf Nutztiere nämlich deutlich zurück, sobald sich die Tierhalter in einem neuen Wolfsrevier auf die Anwesenheit der Tiere eingestellt haben. Eine finanzielle Unterstützung seitens des Landes sollte dabei Schutzmaßnahmen ermöglichen.
Wie könnte eine „friedliche“ Koexistenz von Mensch und Wolf in einer Region wie Westfalen-Lippe aussehen?
Der Wolfsmanagementplan NRW verfolgt verschiedene Ansätze zur Koexistenz von Mensch und Wolf. Im Vordergrund steht hier zum einen das Monitoring, damit der Bestand der Tiere gemessen werden kann. Des Weiteren sind der Herdenschutz, das Zahlen von Schadenersatzleistungen nach Angriffen von Wölfen und der Umgang mit Wölfen wichtig, die sich „auffällig“ verhalten, sprich, die sich auf Nutztiere spezialisiert haben.
Ist das ausreichend?
Ob diese Maßnahmen eine friedliche Koexistenz zwischen Mensch und Wolf zukünftig sicherstellen können, kann nur schwer vorausgesagt werden und wird sich in den nächsten Jahrzehnten zeigen. Allerdings kann die Gesellschaft einiges tun, um dem Miteinander von Wolf und Mensch positiv entgegenzuwirken, auch wenn die Herausforderungen an Politik und den Naturschutz weiterhin groß bleiben. In erster Linie muss sich die Gesellschaft bewusst werden, dass Wölfe nicht nur schöne und faszinierende Tiere sind, sondern auch eine wichtige Rolle im Ökosystem spielen, auch in unserer heutigen Kulturlandschaft.
Dieser Artikel ist aus unserem Schwerpunkt „Mensch, Hund!“ aus dem WESTFALENSPIEGEL 01/2024. Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Gerne senden wir Ihnen im Rahmen unseres Schnupperabos zwei kostenlose Ausgaben unseres Magazins zu. Hier geht´s zum Schnupperabo
Wie kann man das erreichen?
Stereotypen aus Märchen, die mit der Biologie nichts zu tun haben, sind immer noch sehr präsent und werden auch von den Medien häufig bedient. Hier kommt der Umweltbildung in Schulen und außerschulischen Lernorten, aber auch seriöser Berichterstattung in den Medien eine wichtige Rolle zu. Dabei müssen auch die Stimmen von verschiedenen Interessengemeinschaften, wie Landwirten und Hobbytierhaltern, wahr- und ernstgenommen, aber auch vermittelt werden. Es geht dabei nicht nur um den finanziellen Ausgleich eines Wiederanschaffungswertes, denn es geht auch um emotionale Bindungen zu gerissenen Tieren. Auch für den Naturschutz werden sich neue Fragen stellen. Biodiversität braucht Strukturvielfalt und diese wird in unseren Naturschutzgebieten oftmals durch Beweidung mit Schafen, Heckrindern oder Konikpferden gewährleistet. Auch hier kann es zu Problemen durch Risse kommen, die bedacht werden müssen. Die Wissenschaft muss weiterhin zum Wolf forschen und maßgeblich an Managementplänen beteiligt werden.
Steht der Wolf zu sehr im Fokus?
Der Wolf ist nur eine Art von zehntausenden heimischer Arten, die unseren Schutz benötigen. Schon jetzt bindet der „Medienliebling“ Wolf sowohl seitens der Behörden als auch bei den Naturschutzverbänden mehr Ressourcen als gut ist. Hoffentlich finden wir bald einen gesellschaftlichen Konsens, sodass wir uns der Bekämpfung der Biodiversitätskrise als Ganzes zuwenden können, denn diese ist – anders als der Wolf – existenzbedrohend für uns alle.
Interview: Martin Zehren