Herr Bauer und seine Mädels
Romantik war gestern: Schäfer haben es heute schwer. Dafür verantwortlich ist nicht nur der in Deutschland wieder heimisch gewordene Wolf. Ein Besuch bei einem von nur noch knapp 1000 Berufsschäfern.
Der Händedruck zur Begrüßung ist kurz und kräftig. Dabei steht Ralf Bauer in der Küche seines Bauernhauses in Marsberg-Udorf, einem 200-Seelen-Dorf im Orpetal. Ein Landstrich im Sauerland, in dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Bauer trägt ein schwarze Hose, dazu einen schwarzen Kapuzenpullover, darüber eine Weste aus Schaffell. „Gut hergefunden?“, fragt er mit kratziger Stimme und setzt sich an den Tisch.
Ralf Bauer ist Schäfer. Einer von nur etwa 150 bis 250 Berufsschäfern, die es nach Auskunft der Vorsitzenden der Schafzüchtervereinigung Nordrhein-Westfalen e.V., Ortrun Humpert, in NRW noch gibt – und es werden immer weniger. Deutschlandweit hüteten 1990 noch gut 1500 Berufsschäfer ihre Herden. 2016 waren es nicht einmal mehr 1000.
„Die Schafe machen Spaß“
Dabei galt der Beruf einmal als ausgesprochen glücklich machende Profession. „Aber so glücklich sind wir Schäfer nicht mehr“, sagt Bauer nachdenklich und blickt auf die Tasse mit den aufgedruckten Schafen, die er in den rauen Händen hält. Das dürfe man nicht falsch verstehen, schiebt der Mann mit dem kahlen Kopf hinterher. Er genießt es immer noch, sein eigener Chef und viel draußen zu sein. Und natürlich liebt er die Arbeit mit den Tieren. „Es sind vor allem die Schafe, die Spaß machen“, sagt auch seine Frau Sigrid Kemmerling.
Mehr als 600 Muttertiere gehören zur Herde der Schäferei Rotes Land, die die beiden betreiben. Bauer hält hauptsächlich altdeutsche Rhönschafe. Eine Rasse, die vom Aussterben bedroht ist. Diese Schafe sehen mit ihrem schwarzen Kopf, den seitlich abstehenden Ohren und den großen Augen sehr drollig aus. Bauer ist heute 53 Jahre alt. Der Schafvirus, wie er es nennt, hat ihn vor 35 Jahren befallen. Damals entschied er sich, eine entsprechende Ausbildung zu beginnen. Anschließend zog er als Lohnschäfer durch Hessen und Bayern. Seit Anfang der 1990er Jahre hat er seine eigene Herde in Udorf.
Kosten sind kaum zu decken
Über seinen Beruf zu reden, ist nicht Bauers Sache. Er packt lieber an, ist am liebsten draußen bei den Tieren. Aber vielleicht will er auch nicht zum Nachdenken gezwungen werden. Als er mit dem Schäferberuf anfing, konnten viele seiner Berufskollegen noch von den eigenen Produkten leben. Von der Wolle und vom Fleisch der Tiere. Und heute? „Für ein Kilogramm Lammfleisch müssten wir Schäfer eigentlich 22 Eure bekommen, um kostendeckend zu arbeiten“, sagt Ortrun Humpert. Doch im Discounter liegen Filetstücke für unter zwölf Euro im Kühlregal. Fleisch, das aus Neuseeland kommt. Auch die Wolle bringt kaum etwas ein. Im Gegenteil. Da könne man froh sein, wenn man die Kosten für die Schur vom Verkauf bezahlen kann, sagt Bauer.
Einnahmen gibt es hauptsächlich aus der Landschaftspflege. In diesem Sektor leisten Schafe unersetzliche Arbeit. Sie kommen überall hin, wo es Maschinen schwer haben. Über die Jahrhunderte sind durch umherziehende Schafherden ganze Kulturlandschaften wie zum Beispiel auch die Westruper Heide in Haltern am See gepflegt worden. Weidetiere wie Schafe oder Ziegen halten dort die Vegetation klein, gestalten so die Landschaft. Außerdem verbreiten sie Samen seltener Pflanzen und schützen so die biologische Vielfalt auf vielen Flächen.
Ein Beruf droht zu verschwinden
Aber wer schützt die Schafe und ihre Schäfer? Der Beruf droht zu verschwinden. Dafür gibt es viele Gründe. Zum Beispiel wollen kaum noch junge Menschen Schäfer werden. Auch die Söhne der Familie Bauer/Kemmerling haben andere Berufe gewählt. „Die beiden haben ja auch gesehen, was hier los ist“, sagt Sigrid Kemmerling. Sie haben gesehen, wie mühsam der Beruf ist. Dass es keine Wochenenden und keinen Urlaub gibt. Schließlich müssen die Tiere jeden Tag versorgt werden. Bei jedem Wetter muss der Schäfer nach seiner Herde sehen, Zäune bauen, zur nächsten Weide ziehen.
Besonders stressig wird es, wenn die Lammzeit beginnt. Wenn also die Muttertiere ihre Jungen zur Welt bringen. Innerhalb von gut zwei Wochen kommen in der Schäferei Rotes Land dann bis zu 80 Lämmer auf die Welt, einige benötigen Geburtshilfe, andere müssen an ihre Mutter gewöhnt werden, einige werden zu Flaschenlämmern. Das bedeutet kurze Nächte.
Und dann sind da auch noch die zunehmenden Meldungen über Wolfrisse. Bauer hat sich zum Schutz seiner Herde schon vor einigen Jahren spezielle Hunde angeschafft und selbst ausgebildet. Gleich fünf davon sind normalerweise bei der Herde. Er wollte nicht warten, bis der Wolf da ist und sich über seine Tiere hermachen kann. Seine Herdenschutzhunde haben helles Fell und wirken fast so groß wie Braunbären. „Wir Schäfer sind immer nervös, wenn wir morgens zur Herde fahren“, sagt Bauer. Aber wenn die Hunde dabei sind, könne man etwas ruhiger sein.
Raus zu den Mädels
Dann ist genug geredet. Bauer steht vom Küchentisch auf. Kurz darauf steigt er in seinen weißen Pickup ein. Es geht raus zur Herde. Die grast friedlich auf einer Weide an der Orpe. Etwa zwei Kilometer von Bauers Haus entfernt.
„Da sind die Mädels“, sagt Bauer, als er aus seinem Pickup steigt. Gegen die Kälte hat er sich eine grüne Wolljacke übergezogen. In der Hand hält er die Schäferschippe, einen langen Stab, an dessen Ende ein kleiner Haken ist, mit dem Schäfer zum Beispiel giftige Pflanzen ausstechen können. Als die Schafe angetrabt kommen, breitet sich auf Bauers Gesicht unter dem Schäferhut mit der breiten Krempe ein Lächeln aus. Draußen bei den Schafen sind die Sorgen nicht vergessen. Aber irgendwie überträgt sich die friedliche Stimmung der Herde auch auf den Betrachter.
Der Schäfer sieht sofort, dass zwei Tiere ausgebüxt sind. „Der Bach da hinten hat so wenig Wasser, dass sogar die Schafe da durch gehen“, sagt er. Bauer ruft die Tiere zu sich. Langgezogen hallt sein Ruf durch das kleine Tal. Die Herde setzt sich in Bewegung, zockelt langsam in Richtung Zaun. Nur die beiden Ausreißer bleiben zunächst auf der kleinen Insel stehen und gucken, was passiert. Hündin Polli hat die Ausreißer auch gesehen. Sie nimmt Anlauf und springt über den Zaun. Die Arbeit ruft. Kurz danach ist die Herde vollständig.
„Liese, warum schimpfst Du?“
Die Schafe rücken immer näher zusammen und vor zum Zaun. Als eines der Tiere die Kamera sieht, stampft es mit dem rechten Vorderhuf auf den Boden. Immer wieder. Als würde es gegen die Fotos protestieren. „Liese, warum schimpfst du“, fragt Schäfer Bauer und lacht. Dann schüttelt er sich. „Ungemütlich heute“, sagt er. Vier Grad, Nieselregen, dazu ein fieser Herbstwind, der einem die Tropfen ins Gesicht treibt. Es ist eine Kälte, die unter die Kleider kriecht. Die Schafe scheint das nicht zu stören. Geduldig stehen sie mit ihrer dicken Wolle da und blicken den Schäfer an. Einige Tiere blöken. Aber nicht aus Protest gegen das Wetter. „Die wollen jetzt auf die frische Weide“, sagt Bauer. Schaf müsste man sein.
Jürgen Bröker
Dieser Text stammt aus dem WESTFALENSPIEGEL Heft 06/2018.
Mehr zum Thema: Ein Interview mit der Vorsitzenden des Schafzuchtverbands NRW lesen Sie hier.