Thomas Hunsteger-Petermann. Foto: Stadt Hamm
03.07.2020

„Geiz ist geil-Mentalität“

Thomas Hunsteger-Petermann ist seit 1999 Oberbürgermeister der Stadt Hamm. Als Fleischermeister hat er bis zu seinem Amtsantritt viele Jahre eine Metzgerei geführt. Im Interview mit westfalenspiegel.de spricht er über die Lehren, die aus dem Tönnies-Skandal gezogen werden sollten – und empört sich über Dumpingpreise.

Herr Hunsteger-Petermann, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie vom Corona-Ausbruch bei Tönnies und den dort herrschenden Arbeitsbedingungen hören?
Mir geht es nicht darum, Entschuldigungen für die Zustände in dem Werk zu suchen. Aber ich bin überzeugt, dass eine Ursache für die Ereignisse bei Tönnies in einer „Geiz ist geil“-Mentalität steckt. Wenn Hundefutter mitunter teurer ist als ein Schnitzel und wenn in den Supermärkten immer wieder Fleisch ungeniert unter dem Einkaufspreis verkauft wird, dann hat das Auswirkungen auf den gesamten Produktionsprozess. Angefangen von der Tiermast über den Weg des Schlachtens bis hin zur Ausbeutung der Arbeiter geht es offenbar nur noch darum, alles möglichst billig zu machen.

Was hat sich seit Ihrer Zeit als Fleischer verändert?
Ich bin 1969 in die Lehre gegangen und da sah die Welt noch anders aus. Wenn damals an einem Montag zehn Schweine geschlachtet wurden, dann waren damit vier bis fünf Leute für vier bis fünf Stunden beschäftigt. Heute gehen in den großen Fleischfabriken pro Stunde 460 Schweine durch die Produktionslinien.

Es gibt immer weniger handwerklich arbeitende Fleischereien.
Ich habe das Sterben der Betriebe hautnah miterlebt. Die kleinen und mittleren Fleischereien sind praktisch alle aus den Städten verschwunden. Nur wenige haben eine Nische gefunden, in der sie überleben können. Kein Fleischer hat einen gut laufenden Betrieb geschlossen. In vielen Fällen war das Problem, dass die Umsätze und die Gewinnmargen zu niedrig sind. Da stimmt etwas nicht im System.

Und schuld ist der Verbraucher?
Wir müssen dahin kommen, dass wir etwas weniger Fleisch essen oder bereit sind, dafür mehr Geld auszugeben. Aber wir dürfen hier nicht nur über eine moralische Verantwortung des Verbrauchers sprechen, sondern brauchen gesetzliche Regelungen. Eine Konsequenz könnte zum Beispiel sein, dass in den Hartz-IV-Sätzen die entsprechenden Beträge für Lebensmittel erhöht werden, damit sich auch sozial schwache Menschen vernünftiges Fleisch leisten können. Einen Wunsch habe ich aber noch: Die Leute sollten nicht, sobald der Tönnies-Skandal zu den Akten gelegt ist, wieder zum gewohnten Einkaufsverhalten zurückkehren. Es ist wichtig, jetzt die kleinen und mittelständischen Betriebe und vor allem auch die Bauern zu unterstützen.

Interview: Annette Kiehl, wsp

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