19.03.2018

„Ich bin Fan des Fünf-Stunden-Tages“

Lasse Rheingans hat Mut bewiesen. Im vergangenen Herbst hat der Geschäftsführer einer Kommunikationsagentur seinen Mitarbeitern einen Fünf-Stunden-Tag vorgeschlagen – bei vollem Lohnausgleich. Eigentlich sollte das Projekt nur wenige Monate dauern, doch wegen der positiven Erfahrungen hat er es bis August 2018 verlängert. „Westfalen heute“ hat mit dem Chef der RHEINGANS DIGITAL ENABLER Rheingans GmbH über seine Erfahrungen und die Motivation, das Projekt wissenschaftlich untersuchen zu lassen, gesprochen.

Herr Rheingans, welche Erkenntnisse haben Sie aus den ersten Monaten mit dem Fünf-Stunden-Tag gezogen?

Schon eine ganze Menge. Zu allererst sind das ganz banale Dinge: Wir brauchen weniger Strom, wir brauchen weniger Getränke. Dann aber auch wesentliche Aspekte: Unter der „Minikrise“ eines Fünf-Stunden-Tages kommen Aspekte an die Oberfläche, die in acht Stunden nicht sichtbar werden bzw. versteckt bleiben können.

Wie meinen Sie das?

Für einige der Kollegen hieß das: Sie haben das Arbeitspensum nicht geschafft. Das hatte aber in meinen Augen weniger mit den Kollegen zu tun, als vielmehr damit, dass diese Kollegen schon vorher viel zu viel auf ihren Schultern hatten. Dies führte dazu, im Team zu besprechen, wie wir Prozesse beschleunigen bzw. Abläufe grundsätzlich verbessern können, oder grundsätzlich bestimmte Arbeiten vielleicht besser verteilen können.

Gab es auch Erkenntnisse für Sie in Ihrer Rolle als Chef?

Aber sicher. Ich hatte wesentlich längere Tage als vorher. Aber auch hier zeigte sich etwas Interessantes: Ich hatte niemanden mehr, dem ich einige der Aufgaben, die sich bei mir sammelten, auferlegen konnte. Im Gespräch wurde mir dann klar, was „normalerweise“ in Agenturen passiert: Dinge, die lästig werden, werden wegdelegiert. Oft leider an Personen, die daran weder Spaß haben noch für das Thema große Expertise oder Kompetenz mitbringen. Innerhalb des Fünf-Stunden-Experiments wurde mir bewusst, dass hier etwas ganz anderes sichtbar wird: nämlich welche Kompetenzen im Team noch fehlen.

Und wie profitieren Ihre Mitarbeiter – außer, dass sie jetzt mehr Freizeit haben?

Bei uns ist es so, dass viele Kollegen ihr Hobby zum Beruf gemacht haben. Diese Kollegen haben jetzt viel Zeit, die sie gerne für Weiterbildung nutzen. Somit profitiere ich als Chef von ausgeruhteren Kollegen, die sich darüber freuen, endlich wieder Zeit für neue Technologien oder persönliche Entwicklung zu haben. Dinge, die auch häufig im Acht-Stunden-Tag von Mitarbeitern erwartet werden, aber für die entsprechende Mitarbeiter einfach weder Kraft noch Lust haben, wenn sie nach acht bis neun Stunden aus der Arbeit nach Hause kommen.

Klingt so, als könnten Sie sich vorstellen, den Fünf-Stunden-Tag dauerhaft beizubehalten.

Ich bin Fan von dem Projekt, ja. Ich erhalte doch als Chef den gleichen Output. Denn das ist ja der Deal: Es geht nicht um die Zeit, sondern um das Ergebnis! Und darüber hinaus habe ich motivierte, gut gelaunte und erholte Mitarbeiter, die sich selbst – intrinsisch motiviert – weiterbilden und Spaß am Job haben. An den Stellen, wo offenbar wurde, dass Arbeit nicht geschafft werden kann, haben wir in den letzten Monaten viele Prozesse optimiert und Wege erfunden oder gefunden, besser und effektiver zum Ziel zu kommen. Natürlich darf darunter weder die Qualität noch die Kundenzufriedenheit leiden. Aber das ist momentan auch noch nicht passiert.

Weshalb haben Sie sich entschieden, das jetzt auch wissenschaftlich untersuchen zu lassen?

Ich habe gemerkt, wie unglaublich relevant das Thema für immens viele Menschen ist. Ich bin überzeugt, dass ein Umdenken in der Arbeitswelt zwingend vonnöten ist. Im Unternehmenskontext spricht doch jeder zum einen von Arbeitgebermarke, zum anderen auch vom Fachkräftemangel. Da sieht man doch sowohl den demografischen Wandel als auch den Kulturwandel ganz deutlich. Mitarbeiter der Generation Y oder Z wollen sinnvoll arbeiten und nicht ihre Zeit absitzen. Das Verständnis von Management, Rollen, Hierarchie, Arbeit hat sich grundsätzlich gewandelt und unzählige Studien untermauern das. Aber dennoch gibt es Kritiker, die davon vieles noch nicht gehört haben oder auch vieles davon weder verstehen noch wahrhaben wollen. Für diese Kritiker möchte ich gerne valide Ergebnisse, warum der Fünf-Stunden-Tag Sinn ergibt bzw. ergeben kann, liefern – und den Fünf-Stunden-Tag nicht, so wie er momentan von vielen gesehen wird, als ein Modell „eines Bielefelder Spinners aus der Medienbranche“ stehen lassen.

Glauben Sie, dass ein solches Modell auch für andere Unternehmen oder Branchen interessant sein kann?

In jedem Fall, aber sicher nicht für alle Branchen. Das kann oder wird in vielen Berufen, in denen kreativ gearbeitet wird, gut funktionieren. Hochkonzentrierte Arbeitsphasen mit entsprechend langen Pausen sind in meinen Augen wesentlich effektiver als der althergebrachte Acht-Stunden-Tag. Aber auch Branchen, wo es momentan noch als komisch angesehen wird, wie z.B. in der Produktion, könnten davon profitieren. Denn unter Druck entstehen manchmal überraschende Ergebnisse oder Optimierungsideen, die vorher niemals aufgekommen wären.

Interview: Jürgen Bröker

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