Protest gegen den Krieg in der Ukraine. Foto: Bröker/wsp
03.03.2022

„Ich hoffe sehr, dass der Krieg bald aufhört“

Mariya Sharko kam 2005 aus der Ukraine nach Deutschland, um zu studieren. Inzwischen lebt sie mit ihrer Familie, ihrem Mann und drei kleinen Kindern in Altenberge nahe Münster. Der Krieg in ihrer Heimat hat sie völlig überrascht. Nun versucht sie, von Deutschland aus Hilfe zu organisieren. Begleitet von der Sorge um ihre Familie und Freunde, die noch in der Ukraine sind.

Frau Sharko, wie geht es Ihnen aktuell?
Es ist sehr schwer. Wir sind eng mit der Heimat verbunden. Jeden Morgen versuche ich, zunächst mit meiner Familie und meinen Freunden in der Ukraine zu telefonieren. Wenn sie mir sagen, dass alle am Leben und sie soweit gesund sind, ist es ein guter Tag.

Zu wem haben Sie in der Ukraine vor allem Kontakt?
Meine Mutter ist zum Glück vor einigen Tagen nach Deutschland gekommen. Aber mein Bruder lebt mit seiner Familie in Lemberg, im Westen der Ukraine. Dort ist es noch relativ sicher. Die Stadt ist ziemlich weit weg von den aktuellen Kämpfen. Aber das kann sich auch schnell ändern. Immer wieder gibt es Alarm und dann muss mein Bruder mit seiner Familie in den Keller. Außerdem kommen in Lemberg viele Flüchtlinge aus dem Osten der Ukraine an.

Warum flieht die Familie Ihres Bruders nicht?
Für meinen Bruder und seine Familie kommt es nicht in Frage, die Ukraine zu verlassen. Mein Bruder darf aktuell das Land auch nicht verlassen. Die Familie will sich nicht trennen. Er hat sich außerdem freiwillig gemeldet und patrouilliert nun in der Stadt, er will Lemberg auf jeden Fall verteidigen, wenn es zum Kampf mit den Russen kommt.

Mariya Sharko Foto: privat

Mariya Sharko Foto: privat

Hatten die Menschen dort eine Ahnung, dass ein Krieg bevorsteht?
Nein, in dieser Form nicht. Wir wussten, dass etwas kommen wird. Aber wir haben nicht erwartet, dass sich Putin mit seinen Truppen auch in die Westukraine traut. Das hat uns alle überrascht.

Was erzählt Ihnen Ihr Bruder von der Situation in der Stadt?
Die Straßen sind meistens wie leer gefegt. Auch viele Wohnungen sind verlassen. Die Menschen sind zu Bekannten und Verwandten in umliegende Dörfer gezogen. Sie hoffen, dass diese nicht beschossen werden.

Wie erleben Sie gerade die Solidarität der Menschen in der westlichen Welt, in Europa und auch ganz konkret hier in der Region?
Es kommen viele Hilfsangebote. Das ist gut. Telefon, E-Mail, WhatsApp – über alle möglichen Kanäle versuchen die Menschen uns zu erreichen. Wir versuchen, das alles zu organisieren.

Welche Spenden werden aktuell benötigt?
Wir brauchen vor allem Erste-Hilfe-Sets, Verbandmaterial, Medikamente wie Schmerzmittel oder Antibiotika. Auch Schutzwesten für die Ärzte, die in unmittelbarer Nähe zu den Kampfhandlungen Verletzte versorgen. Und dann sind Akkus und Powerbanks sehr hilfreich, damit die Soldaten dort ihre Smartphones laden können. Für die Frauen und Kinder aus der Ukraine, die jetzt vor allem in Polen ankommen, nehmen wir aber auch Kleidung, Babynahrungsmittel und vor allem Hygieneartikel an.

Wie können Sie in dieser Zeit abschalten?
Das ist nicht einfach. Ich versuche, nicht ständig Nachrichten zu schauen. Ich habe drei kleine Kinder. Zwei gehen in die Schule und mein jüngster Sohn ist 15 Monate alt. Am Nachmittag, wenn sie zuhause sind, bleiben die Nachrichten aus. Dann stehen sie im Mittelpunkt. Das hilft mir.

Haben Sie Hoffnung, dass der Krieg in Ihrer Heimat bald vorbei sein könnte?
Ja, ich hoffe sehr, dass der Krieg in der Ukraine bald aufhört und dass der russische Präsident bald versteht, dass die Ukrainer ihr Land nicht aufgeben werden.

Was müsste passieren, damit Putin einlenkt?
Putin kann nur von seinem Volk gestoppt werden, wenn die Menschen in Russland, aber auch die Menschen russischer Abstammung in der ganzen Welt, auf die Straßen gehen und Putins Vorgehen verurteilen. Das zweite, was ihn zum einlenken bringen könnte, ist, wenn die russische Armee sich auf die Seite des ukrainischen Volkes stellt und auf Putins Befehle nicht hört.

Interview: Jürgen Bröker

Mariya Sharko ist mit Stepan Sharko verheiratet. Er ist Pfarrer der Ukrainischen Kirchengemeinde in Münster. Von dort werden Hilfsaktionen für die Menschen im Kriegsgebiet organisiert. Wie Sie helfen können, erfahren Sie auf der Website der Gemeinde.

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