Der Blick auf Stonehenge von Osten – die Kultstätte gilt als das berühmteste archäologische Denkmal in Europa. Foto: LWL-AfWL/M. Rind
01.12.2021

Im Land der steinernen Riesen

Warum wurde Stonehenge erbaut? Und was hat Europas berühmtestes Monument der Steinzeit mit westfälischen Großsteingräbern gemein? Eine Ausstellung im LWL-Archäologiemuseum in Herne gibt erstaunliche Einblicke. 

Jedem Asterix-Fan sind sie bekannt, die gewaltigen Hinkelsteine, die Obelix in seinem kleinen Steinbruch zurechthaut und ständig mit sich herumträgt – wenn er nicht gerade Römer vermöbelt oder Wildschwein am Stück verschlingt. Doch bei der Zeitangabe haben die Comic-Erfinder René Goscinny (Autor) und Albert Uderzo (Zeichner) ein wenig geflunkert. Zur Zeit von Asterix, Obelix und Cäsar, um 50 v. Christus, war die Megalithkultur schon lange untergegangen. Wahr ist jedoch, dass man überall in der Bretagne auf Menhire (bretonisch: men = Stein, hir = groß) trifft. Wahr ist aber auch, dass man in ganz Europa Gräber aus Findlingen und andere steinerne Riesen findet, die der Wissenschaft immer noch Rätsel aufgeben.

Vor 4500 Jahren müssen die Menschen jedenfalls bereits über ganz besondere Fähigkeiten verfügt haben. Sie haben nicht nur damit begonnen, Häuser zu bauen, Haustiere zu halten und Landwirtschaft zu betreiben, sondern sie dachten auch in großen Zusammenhängen und Dimensionen. Aus ehemaligen Jägern und Sammlern wurden in der Jungsteinzeit nach und nach sesshafte Bauern, die jetzt auch in größeren Gemeinschaften lebten. Und die erstaunliche, in Gemeinschaftsarbeit entstandene Monumente aus großen Steinen hinterließen. Das berühmteste ist sicherlich Stonehenge, jene Ansammlung von gigantischen Gesteinsbrocken im heutigen Südengland in der Nähe von Salisbury, seit 1986 Weltkulturerbe.

Sloopsteene älter als Stonehenge

Doch auch in Westfalen baute man mit großen Steinen, und das sogar 1000 Jahre früher als in England. So entstanden die Großen Sloopsteene in Lotte-Wersen bei Westerkappeln (Kreis Steinfurt) vor rund 5500 Jahren und sind damit älter als Stonehenge und die Pyramiden in Ägypten. Tatsächlich gehört das am besten erhaltene Großsteingrab in Westfalen zu den ältesten Bauten Europas – und kann dank neuester Technik auf dem eigenen Smartphone, mit VR-Brille, aber auch im Internet von innen und außen erkundet werden (megalithik.vr.lwl.org).

Landesarchäologe und Direktor der LWL-Archäologie für Westfalen Prof. Dr. Michael M. Rind, Leiterin des Archäologie-Museums Herne Dr. Doreen Mölders, Kuratorin und Archäologin Dr. Kerstin Schierhold und LWL-Direktor Matthias Löb (v.l.) bei der Eröffnung der Ausstellung. Foto: LWL/S. Görtz

Landesarchäologe und Direktor der LWL-Archäologie für Westfalen Prof. Dr. Michael M. Rind, Leiterin des Archäologie-Museums Herne Dr. Doreen Mölders, Kuratorin und Archäologin Dr. Kerstin Schierhold und LWL-Direktor Matthias Löb (v.l.) bei der Eröffnung der Ausstellung.
Foto: LWL/S. Görtz

Virtuelle Rekonstruktion von Stonehenge in seiner umgebenden Landschaft um 2500 v. Chr – zu sehen im LWL-Archäologiemuseum Herne. Foto: LBI (ArchPro)„Megalithgräber waren in der Jungsteinzeit Häuser für die Toten, die über Jahrhunderte hinweg immer wieder aufgesucht wurden, um darin Menschen zu bestatten,“ erklärt  Dr. Kerstin Schierhold, Archäologin des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Drei Jahre lang leitete sie das Forschungsprojekt „Megalithik in Westfalen“ der LWL-Altertumskommission für Westfalen, seit 2018 bereitete die Steinzeit-Expertin die große Sonderausstellung „Stonehenge“ in Herne vor, die jetzt das bekannteste archäologische Denkmal Europas in Bezug zur westfälischen Megalithkultur setzt.

In enger Kooperation mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie in Wien (LBI AchrPro) unter Leitung von Prof. Wolfgang Neubauer werden im LWL-Museum für Archäologie in Herne neueste Forschungsergebnisse sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Stonehenge und westfälischen Großsteinbauten gezeigt wie in Lotte, aber auch in Beckum (Kreis Warendorf), Erwitte-Schmerlecke (Kreis Soest), Warburg-Rimbeck (Kreis Höxter), im Altenautal (bei Paderborn) und in Heiden (Kreis Borken), wo die berühmten „Düwelsteene“ (Teufelssteine) schon zu vielerlei Spekulationen angeregt haben. „Stonehenge ist in seiner Form einzigartig, aber grundsätzlich ergeben sich in mehreren Bereichen durchaus Parallelen in der Kulturlandschaftsentwicklung“, stellt Kerstin Schierhold fest.

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Das Thema Landschaft ist auch Kern der Ausstellung in Herne. „Stonehenge zeigt, wie die Menschen in der Steinzeit angefangen haben, ihre Landschaft zu verändern, Natur in Kulturlandschaft zu verwandeln. Und das lange vor der Industrialisierung“, macht Dr. Doreen Mölders, Leiterin des LWL-Museums für Archäologie, deutlich. In diesem Sinne passe die Ausstellung hervorragend ins Ruhrgebiet, eine vom Menschen durch und durch gestaltete Kulturlandschaft mit den vielen Fördertürmen und Halden als identitätsstiftende Landmarke.

Logistische Meisterleistung

Jetzt also ragen riesige Gesteinsblöcke mitten in Herne in die Höhe. Fast zehn Meter hoch ist die Ausstellungshalle des LWL-Archäologiemuseums und damit gerade hoch genug für die originalgetreuen Repliken des inneren Steinkreises von Stonehenge. Der äußere Kreis erscheint dazu per Projektion. Wer hier durch die analoge und virtuell rekonstruierte Landschaft von Stonehenge wandelt, fühlt sich inmitten der gigantischen Steinbrocken geradezu winzig. Kaum vorstellbar, wie diese Kolosse in prähistorischen Zeiten ohne schweres Gerät bewegt und hochgewuchtet werden konnten.

„Stonehenge ist die Sternstunde vorgeschichtlicher Bau-und Ingenieurskunst“, macht Kerstin Schierhold deutlich. Der Transport und die Aufrichtung der bis zu sieben Meter hohen Steine im Neolithikum, wie die Jungsteinzeit fachsprachlich heißt, war Schwerstarbeit und stellt eine logistische Meisterleistung dar, da sind sich die Experten einig. Bis zu 40 Tonnen wiegen die größten Megalithen in Stonehenge und gehören damit zu den schwersten Felsbrocken, die je von Menschen nur mit eigener Kraft und viel Einfallsreichtum bewegt wurden.

Perfektion und Präzision

Seit Jahrhunderten spekulieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darüber, woher diese Megalithen stammen. Dank neuester Forschungserkenntnisse und moderner Technologie ist klar: Der innere Ring wurde um 2500 v. Chr. aus behauenen Sandsteinen, so genannten Sarsen, und tonnenschweren Dolerit-Blöcken, die wegen ihres Farbtons Blausteine (Bluestones) genannt werden, errichtet. Die großen Sarsen stammen aus der näheren Umgebung von Stonehenge, die Blausteine aus den Preseli-Bergen in Wales. Ins über 240 Kilometer entfernte Stonehenge könnten sie komplett über Land, vermutlich über Rollen und auf hölzernen Schlitten befestigt, gelangt sein.

Virtuelle Rekonstruktion von Stonehenge in seiner umgebenden Landschaft um 2500 v. Chr – zu sehen im LWL-Archäologiemuseum Herne. Foto: LBI (ArchPro)

Virtuelle Rekonstruktion von Stonehenge in seiner umgebenden Landschaft um 2500 v. Chr – zu sehen im LWL-Archäologiemuseum Herne. Foto: LBI (ArchPro)

Landesarchäologe und Direktor der LWL-Archäologie für Westfalen Prof. Dr. Michael M. Rind, Leiterin des Archäologie-Museums Herne Dr. Doreen Mölders, Kuratorin und Archäologin Dr. Kerstin Schierhold und LWL-Direktor Matthias Löb (v.l.) bei der Eröffnung der Ausstellung.
Foto: LWL/S. GörtzAuch die Perfektion und Präzision, mit der Stonehenge über Generationen hinweg in Gemeinschaftsarbeit erbaut wurde, ist außergewöhnlich. Die Decksteine waren präzise verbunden, aus jedem aufragenden Stein wurde ein Zapfen herausgemeißelt, der exakt in eine Vertiefung an der Unterseite der Deckplatte passte, wie Kerstin Schierhold erläutert: „Solche Verbindungen sind eigentlich typisch für Arbeiten mit Holz.“ Stonehenge sei in seiner langen Geschichte aber niemals isolierte Kultstätte, sondern Teil einer ganzen Landschaft gewesen, die durch Wall-Graben-Systeme, Grabhügel und weitere Henge-Monumente geprägt war.

Einige Rätsel sind noch ungeklärt

Im Laufe der Zeit gab es die absurdesten Theorien darüber, wer die in unserer modernen Landschaft so fremd und geradezu exotisch anmutenden Großsteingräber, Steinkreise, Steinreihen oder gigantischen Einzelmonumente errichtet haben könnte und welchem Zweck sie jeweils dienten. Bis weit in die Neuzeit hielt sich das Gerücht, nur Riesen, Zauberer, Hexen oder der Teufel hätten die großen Steine aufrichten können. Auch Römer, Wikinger, keltische Druiden, die Bewohner von Atlantis oder Außerirdische wurden schon als Erbauer in Betracht gezogen. Heute wissen Archäologinnen und Archäologen zumindest, dass es wohl Ackerbauern waren, die die tonnenschweren Steine gehauen, transportiert und aufgerichtet haben. Doch da die Menschen der Jungsteinzeit keinerlei schriftliche Zeugnisse hinterlassen haben, liegt Sinn und Zweck vieler Bauten immer noch im Dunkeln.

Auch bei Stonehenge gibt es weiter Rätsel, die geklärt werden müssen. Schriftsteller und Filmemacher haben sich dem Steinkreis verschrieben; eine gewisse Mystik und Legendenbildung ist oft dabei. So wird auch Merlin, der legendäre Zauberer, mit Stonehenge in Verbindung gebracht. Bis heute ist dieser Ort ein magischer geblieben und zieht immer noch viele Menschen in seinen Bann. „Die spirituelle Seite bedienen wir in unserer Ausstellung aber gar nicht“, macht Museumsleiterin Doreen Mölders deutlich. Die Rezeptionsgeschichte sei ein anderes Thema.

Es lohnt sich unbedingt, wiederzukommen!

„Zunächst war Stonehenge ein Bestattungsort, später dann aller Wahrscheinlichkeit nach ein Ort der Zusammenkunft, ein Sonnen-Observatorium“, fasst Kerstin Schierhold die Forschungsergebnisse zusammen. Zur Sonnenwende, vor allem wohl im Winter, seien die Steinzeitmenschen zum gemeinsamen Feiern von weither zur Kultstätte gereist. Die Konstruktion des Steinkreises ermöglichte es zu beobachten, wie Sonne am kürzesten Tag des Jahres zwischen den beiden Tragsteinen des größten Trilithen (gr. „drei Steine“) unterging. „Mit ihrer Wiederkehr am nächsten Morgen konnten die Menschen sicher sein, dass die Tage wieder länger werden, alles von Neuem beginnt, dass das Leben zurückkehrt“, erläutert die Kuratorin.

Wer nach Herne kommt, kann den steinernen Riesen – auf der Basis von 3D-Daten  verblüffend echt aus einem Styroporkern in Originalgröße nachgebaut – ganz nah sein, sie sogar berühren, ihre raue Oberfläche spüren und die sich wandelnde Lichtstimmung zur Sommer- und Wintersonnenwende täglich neu erleben. Jeweils morgens und abends werden mittels einer beeindruckenden Lichtinszenierung Sonnenuntergang- und Sonnenaufgang zu unterschiedlichen Jahreszeiten im Steinkreis simuliert und so die Zusammenhänge zwischen Astronomie und Kultstätte anschaulich. Es lohnt sich unbedingt, wiederzukommen!

Klaudia Sluka

Dieser Beitrag stammt aus Heft 5/2021 des WESTFALENSPIEGEL. Wenn Sie uns kennenlernen möchten, senden wir Ihnen gerne zwei kostenlose Ausgaben im Rahmen unseres Probeabos zu. Einfach hier zum Probeabo anmelden.

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