„Wir können keine Wahlen wiederholen lassen“
Frank Schwabe ist Leiter der Wahlbeobachtungsmision des Europarates bei den Wahlen in der Türkei. Am 14. Mai hat er dort die Wahlen beobachtet und ist auch am Sonntag (28.5.) bei der Stichwahl wieder in der Türkei. Mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Wahlkreis Recklinghausen I (Recklinghausen, Castrop-Rauxel, Waltrop) haben wir vor seiner Abreise in die Türkei über seine Aufgaben gesprochen.
Worauf müssen Sie bei einer Wahlbeobachtungsmission achten?
Wir schauen dabei auf zwei Dinge. Zum einen gibt es eine Langzeitbeobachtung. Zum Beispiel: Können die Parteien eine uneingeschränkte Wahlkampagne machen, gibt es eine freie Medienlandschaft? Und der zweite Teil ist die Arbeit am Wahltag selbst: Können die Menschen frei wählen, gibt es Einschränkungen oder Beeinflussungen in den Wahllokalen, wird richtig ausgezählt und wird am Ende richtig zusammengezählt? Sprich, ist das, was die Menschen an Wahlwillen hatten, am Wahltag am Ende auch in der Verkündung des Ergebnisses abgebildet.
Wie können sie die Übereinstimmung von Wählerwille und Wahlergebnis überprüfen?
Natürlich geht das nur stichprobenartig. In der Türkei gibt es ja viele Zehntausend Wahllokale, in denen wir nicht gleichzeitig sein können. Wir bauen aber darauf, dass es eben auch nationale Wahlbeobachter gibt, dass es auch Oppositionsparteien gibt, die in den Wahllokalen vor Ort sind. Wir können das nur punktuell beobachten. In der Türkei haben wir aber tatsächlich sehr gute Kontrollmechanismen. Wenn in den Wahllokalen ausgezählt ist, fotografieren die Vertreterinnen und Vertreter der Parteien und der Zivilgesellschaft das Ergebnis ab.
Sind Sie als Wahlbeobachter in der Türkei willkommen?
Durch die Mitgliedschaft im Europarat hat sich die Türkei ja selbst verpflichtet Wahlbeobachtungen durch uns zuzulassen. Deswegen sind wir offiziell eingeladen und haben auch immer ein offizielles Schreiben dabei. Aber natürlich merkt man schon, dass Teile der Politik eine so genannte westliche Einflussnahme öffentlich angreifen. Das führt gelegentlich zu unangemessenen Verhalten uns gegenüber. Aber unsere Arbeit wird im Grunde nicht eingeschränkt. Wir haben grundsätzlich freien Zugang zu den Wahllokalen und der muss uns auch gewährt werden.
Können Sie das unangemessene Verhalten näher erläutern?
Es gab schon Situationen, wo wir unsere Wahlbeobachtung aufgrund aggressiven Verhaltens Einzelner nicht so durchführen konnten, wie es nötig gewesen wäre. Am Ende haben wir uns teilweise auch zurückgezogen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Solche Vorfälle dokumentieren wir dann aber auch in unseren Berichten.
Wie sind die Wahlen am 14. Mai insgesamt abgelaufen?
Zunächst mal muss man feststellen, dass das Ganze in einem Rahmen stattfindet, der problematisch ist für die Durchführung von demokratischen Wahlen, weil tatsächlich die Pressefreiheit eingeschränkt ist, weil politische Akteure in Haft sind, weil eine Partei von einem Verbotsverfahren bedroht ist und so weiter. Das heißt, die Wahlen finden in einem schwierigen Umfeld statt. Am Wahltag ist dann dennoch das, was die Menschen in ihrem Wählervotum abgegeben haben, in einem korrekten Ergebnis gemündet. Der Kandidat Erdogan lag entsprechend vorn. Und das ist nicht zu beanstanden. Wir haben allerdings unsere Sorge darüber zum Ausdruck gebracht, dass es seitens der AKP – der Partei von Präsident Erdogan – Vorbereitungen gab, die Auszählung zu verzögern und auch die Verkündung des Wahlergebnis hinauszögern für den Fall, dass der Oppositionskandidat vorne liegen könnte.
Hat ihre Arbeit auch Einfluss darauf, ob Wahlen wiederholt werden müssen?
Am Ende sind die Länder souverän. Wir können keine Wahlen wiederholen lassen. Aber natürlich können unsere Beobachtungen dazu führen, dass Wahlergebnisse in Frage gestellt werden. Wir beobachten und geben der internationalen Gemeinschaft ein Bild von den Verhältnissen vor Ort. Und dann muss der Staat, in dem die Wahlen stattgefunden haben, entscheiden, wie er damit umgeht.
Wie neutral kann man als Wahlbeobachter eines EU-Landes in der Türkei bei Wahlbeobachtungen sein?
Ich finde absolut neutral. Aber natürlich hat jeder Mensch eine Meinung zu den Verhältnissen in anderen Ländern der Welt, davon kann sich niemand freimachen. Wollte man das ausschließen, dürfte es keine Beobachtung von Politikern geben. Aber man macht sich vorher klar, egal wie das Ergebnis ausgeht, Du musst den Wahlvorgang als solchen neutral bewerten. Und auch, wenn ein Kandidat, von dem ich zu Hause vielleicht glauben würde, das er nicht die allerbeste Wahl für das Land ist, am Ende obsiegt, sind wir gehalten, das auch als Wahlsieg zu dokumentieren. Und das werden wir auch tun.
Sind Wahlen in der Türkei mit Wahlen zum Beispiel in Deutschland vergleichbar?
Das ist durchaus sehr vergleichbar. Was die Abläufe am Wahltag selbst angeht, sind diese international mittlerweile ziemlich standardisiert. In der Türkei ist es sogar eher noch ein Stück weiter formalisiert. In Deutschland guckt man mittlerweile nicht mehr ganz so genau hin, ob in jedem Wahllokal auch jemand von der Opposition sitzt. In der Türkei ist das sehr klar geregelt. Am Wahltag gibt es einen Wahlvorstand und auch die Auszählungsprozesse laufen wirklich sehr gut ab. Da ist es, wie schon gesagt, eher das gesamte Umfeld der Wahl, das hochproblematisch ist. Die Meinungsfreiheit ist massiv eingeschränkt. Und man kann nicht sagen, dass es gleiche Möglichkeiten für alle Parteien gab, Wahlkampagnen durchzuführen. Da waren der Kandidat der Regierungspartei und amtierende Präsident deutlich überrepräsentiert.
Sie sind als Wahlbeobachter schon sehr viel herumgekommen. Nehmen Sie uns doch einmal mit zu besonderen Beobachtungen.
Ein Beispiel aus Aserbaidschan fällt mir ein. Da haben wir wirklich offensichtliche Wahlfälschung gesehen. Da wurden zum Beispiel gleich 20 oder 30 Stimmzettel auf einmal in die Wahlurne gestopft. Klar ersichtlich, weil sie perfekt geschichtet übereinander in der Wahlurne lagen. Das geht physikalisch bei sauberen Wahlen gar nicht. Diese Offensichtlichkeit hat mich dann doch überrascht. Aber auch solche Fälle können wir nur dokumentieren. Verhindern können wir sie nicht.
Interview: Jürgen Bröker/wsp