Kommunen wie Soest werden durch die Energiekrise vor große Probleme gestellt. Foto: Pixabay
04.10.2022

„Investitionen werden priorisiert“

Die Kommunen ächzen unter den Folgen verschiedener Krisen. Nun müssen sie auch noch die hohen Energiepreise stemmen. Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL erklärt der Präsident des Städte- und Gemeindebunds NRW, Dr. Eckhard Ruthemeyer, was das für Investitionen und städtische Angebote wie Schwimmbäder bedeutet. 

Die Folgen der Pandemie sind noch nicht überwunden, Maßnahmen zum Klimaschutz und der Klimafolgeanpassung müssen getroffen werden, nun auch noch die Energiekrise. Sind die Städte und Gemeinden in Westfalen überfordert?
In der Aufzählung fehlt sogar noch die große Fluchtbewegung von 2015/2016. Man kann sagen, dass wir im Dauerkrisenmodus sind. Die meisten Kommunen konnten zwar wegen des Booms nach dem Lockdown gute Jahresergebnisse erzielen. Aber das ändert sich gerade. Die hohen Energiekosten, die Risiken, die mit einer möglichen wirtschaftlichen Rezession verbunden sind, stellen uns vor ganz neue Herausforderungen. Auch das Thema Flüchtlinge ist wieder so aktuell wie 2015. Wir haben an allen Ecken dringenden Handlungsbedarf. Finanziell, aber auch bei den Mitarbeitern, die stark belastet sind.

Die Energiekosten haben sich zum Teil verdreifacht. Gibt es in den Städten und Gemeinden schon Überlegungen Investitionen zurückzustellen?
Sich Gedanken über die Investitionen zu machen, ist ja unser Alltagsgeschäft. Und die Haushaltsberatungen für 2023 und die Finanzplanung stehen jetzt an. Aufgrund der Inflation, aufgrund der gestiegenen Baukosten, aufgrund der Unsicherheit insgesamt am Baumarkt und jetzt auch noch mit den höheren Energiekosten bei steigenden Zinsen werden die Kommunen Prioritäten neu setzen müssen. Und das ist doch ganz klar: Es wird eine Streichliste von Maßnahmen geben, die wir uns unter diesen Rahmenbedingungen nicht mehr leisten können. Der Investitionsstau, den wir ohnehin schon haben, wird damit weiter ansteigen. Das, was wir eigentlich müssten, nämlich in Zukunftsaufgaben investieren, wird uns durch die aktuellen Rahmenbedingungen unmöglich gemacht.

Was heißt das konkret?
Investitionen werden priorisiert. Oben auf der Agenda stehen in der Regel die Schulen und Kindergärten oder auch die Digitalisierung. Aber wenn Rathaussanierungen oder Rathausneubauten diskutiert werden, wird es schwieriger, solche Projekte voranzubringen. Obwohl auch Investitionen in Rathäuser, die nicht selten aus den 1960er oder 1970er Jahren stammen, unter Energie- und Unterhaltungsgesichtspunkten wichtig sind. Das spielt auch bei der Suche nach den dringend benötigten Fachkräften eine Rolle. Mitarbeiter wollen in einem ordentlichen Umfeld arbeiten.

„Ich glaube, dass Schwimmbäder deutlich gefährdeter sind als Büchereien“, sagt Ruthemeyer. Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

„Ich glaube, dass Schwimmbäder deutlich gefährdeter sind als Büchereien“, sagt Ruthemeyer. Foto: Rainer Sturm/pixelio.de

Was müssen die Städte und Gemeinden noch hintenanstellen?
Ganz klar, den Straßenbau. Statt grundlegend zu sanieren, wird eine Straße in den kommenden Jahren im Zweifel geflickt. Das heißt aber auch: Die Infrastruktur leidet weiter. Da wird dann für die Bürger spürbar, dass wir nicht die Mittel haben, die wir eigentlich bräuchten. Auch Investitionen, die der Aufenthaltsqualität in den Innenstädten dienen, werden bei vielen Kommunen in der Priorisierung hinter Schulen und Kindergärten zurücktreten. Ich fürchte, auch bei unseren Plänen für die Mobilitätswende müssen wir Abstriche machen.

Seit Ende August wissen die Kommunen, welchen Beitrag sie leisten sollen, um Energie zu sparen und wie das funktionieren soll. Reichen die Maßnahmen aus, um auch die gestiegenen Kosten zu kompensieren.
Wenn die Kosten um das Zwei- oder Dreifache steigen, kann man das nicht mit 20 Prozent Einsparung ausgleichen. Und das Ende der Eskalation ist ja noch nicht erreicht. Den Faktor, um den die Gas- und Strompreise steigen werden, kennen wir nicht. Das bringt eine große Unsicherheit mit sich. Großen Nachholbedarf gibt es außerdem bei der energetischen Sanierung von Gebäuden. Weder für private Eigentümer noch für die Kommunen gibt es genügend Fördermittel.

Ist zu befürchten, dass Angebote wie Schwimmbäder oder Bibliotheken schließen müssen?
Da dürfen wir uns nichts vormachen. Ich glaube, dass Schwimmbäder deutlich gefährdeter sind als Büchereien. Am Beispiel Soest kann ich das einmal vorrechnen. Vor Corona haben wir unser Hallen- und Freizeitbad mit 1,8 Millionen Euro über die Stadtwerke querfinanziert. In der Coronazeit ist der Zuschuss auf drei Millionen Euro angestiegen, weil wir Lockdowns und Schließungen hatten. Wenn jetzt noch die steigenden Energiekosten hinzukommen, stoßen wir unweigerlich an unsere Grenzen. Zumal die Stadtwerke jetzt vor einer ganz anderen Situation stehen. In Soest hatten die Stadtwerke normalerweise Energiebeschaffungskosten von zwei bis drei Millionen Euro. Die steigen jetzt – je nachdem an welchem Tag man das abruft – auf 15, 20 oder auch schon mal 25 Millionen Euro.

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Woran liegt das?
Als Stadtwerke sind wir an einem Gasspeicher beteiligt. Die Gasspeicher müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt befüllt werden und dann müssen wir Gas zukaufen – auch wenn die Preise sich vervielfacht haben. Das hat gigantische Auswirkungen. Die Stadtwerke sind eigentlich kerngesunde Unternehmen. Aber bei Ausgaben in dieser Größenordnung sind Liquiditätsengpässe nur eine Frage der Zeit. Deshalb ist es so wichtig, dass Bund und Land wie bei Uniper auch über den kommunalen Nahversorgern einen Schutzschirm aufspannen.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Kommunen?
Bei den Stadtwerken wird es wichtig werden, die Liquidität zu erhalten, ohne den städtischen Haushalt zu belasten. Das kann zum Beispiel durch Bürgschaften geschehen. Durch die NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach haben wir zudem die Möglichkeit, nicht nur coronabedingte sondern auch ukrainebedingte Belastungen zu isolieren, das heißt aus dem kommunalen Haushalt auszulagern. Am Ende sind das Schulden, die den Kommunen noch schwer auf den Schultern liegen werden. Andererseits hilft es uns, in dieser Krise in gewissen Grenzen handlungsfähig zu bleiben. Das ist nur noch keine Antwort auf die gestiegenen Kosten. Wir müssen auch genau hinsehen, was das 65-Milliarden-Euro-Rettungspaket des Bundes an zusätzlichen Belastungen für die Kommunen mit sich bringt.

Nämlich?
Wenn wir uns die Ausweitung des Wohngelds auf über zwei Millionen Berechtigte ansehen, hat das zunächst mal die Konsequenz, dass wir die Mitarbeiterzahl in diesem Bereich anpassen müssen. Auch bei der Einführung des Bürgergeldes frage ich mich, was über die Kreisumlage an uns hängen bleibt. Etwa 25 Prozent der Kosten der Unterkunft trägt die kommunale Ebene. Fest steht: Wenn von Bund und Land nicht mehr an Unterstützung kommt, sieht es für die Kommunen düster aus.

Dr. Eckhard Ruthemeyer Foto: Städte- und Gemeindebund NRW

Dr. Eckhard Ruthemeyer Foto: Städte- und Gemeindebund NRW

Helfen Ihnen Vorgaben vom Bund zum Energiesparen denn auch?
Durchaus. Wenn wir uns die Herabsetzung der Temperatur in den Arbeitsräumen ansehen, war es wichtig, dafür über die Arbeitsstättenverordnung erst einmal die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Wir als Städte- und Gemeindebund haben auch schon mehrfach angeregt, einheitliche Empfehlungen zu setzen. Ein solcher Handlungsrahmen würde viele Diskussionen vor Ort erleichtern. Ein sehr sensibles Thema ist nach zweieinhalb Jahren Corona etwa der Schulbereich. Derzeit überlegen wir zusammen mit dem Land, wo auch die Schulen einen Beitrag leisten können. Klar ist, dass die Schülerinnen und Schüler nicht die Leidtragenden sein dürfen.

Haben Kommunen einen Vorteil, die sich schon auf den Weg zur Klimaneutralität gemacht haben?
Klimaschutz spielt in allen Kommunen schon lange eine wichtige Rolle. Viele haben darum bereits in energiesparende Maßnahmen investiert. Was wir tun können bei der Modernisierung von Heizungsanlagen, der Isolierung von Gebäuden oder der Nutzung von Photovoltaik, das haben die Kommunen in den vergangenen Jahren ohnehin intensiviert. In Soest haben wir zum Beispiel seit 2007 die Straßenbeleuchtung auf LED umgestellt. Dort haben wir den Verbrauch von 2,8 Millionen Kilowattstunden auf 882.000 Kilowattstunden gesenkt. Obwohl die Zahl der Lampen von 4800 auf 5600 gestiegen ist. Daran sieht man: Eigentlich ist das, was jetzt an Einsparungen diskutiert wird, schon seit Jahren unser Alltagsgeschäft. Aber natürlich ist der eine weiter als der andere. Das Aufholen ist nur erheblich schwieriger geworden. Allein weil die Lieferketten nicht funktionieren.

Haben Städte unterschiedlicher Größe auch unterschiedliche Schwierigkeiten in der aktuellen Krise?
Sicher, die Belastung der Städte hängt auch von ihrer Größe ab. Wenn ich nur eine Grundschule und vielleicht noch eine Kita als städtische Gebäude habe, ist das etwas anderes, als wenn ich fünf weiterführende Schulen, dazu noch ein Schwimmbad und eine Bücherei unterhalten muss. Ein wichtiger Faktor sind aber auch die Verträge. Es gibt Städte und Gemeinden, die haben Strom- und Gaslieferverträge, die erst 2023 auslaufen. Manche Kommunen haben also noch Zeit, sich auf das höhere Niveau bei den Energiepreisen einzustellen. Auch wenn wir noch nicht wissen, wohin sich das entwickeln wird. Eins ist klar: Unser Aufwand wird sich deutlich erhöhen, ebenso wie das Risiko von Einnahmeausfällen. Deshalb müssen wir uns auf ganz andere Haushaltssituationen einstellen als in den vergangenen fünf oder sechs Jahren.

Was aber, wenn die Gasmangellage ausgerufen wird?
Zunächst einmal kann die Preisgarantie wegfallen und die Bundesnetzagentur schaltet sich ein. Wir müssen dann erst einmal abwarten, wie die verbleibende Energie verteilt wird. Für die Kommunen gehe ich davon aus, dass wir im Wesentlichen als privilegierter Bereich weiterarbeiten können. Für Unsicherheit sorgen die Hinweise auf einen möglichen Zusammenbruch der Stromnetze. Die Krisenstäbe der Kommunen befassen sich aktuell damit. Sie wollen im Falle des Falles vorbereitet sein. Derzeit sieht es aber so aus, als könnten wir bis zum Winter so viel Gas eingespart haben, dass es dazu nicht kommt, da bin ich zuversichtlich. Aber wir dürfen nicht nachlassen!

Interview: Jürgen Bröker

Lesen Sie auch unseren Beitrag zu den Folgen der Energiekrise für westfälische Kommunen in der Ausgabe 5/2022 des WESTFALENSPIEGEL. Ein kostenloses Probeabo können Sie hier bestellen.

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