Marcella Hansch: Foto: Pacific Garbage Screening
27.09.2019

„Jeder Einzelne kann viel bewirken“

Marcella Hansch gilt als durchaus dickköpfig. Wenn sie sich etwas vorgenommen hat, zieht das auch durch. Die junge Frau, die in Arnsberg geboren wurde und nun in Aachen lebt, hat vor sechs Jahren eine Vision entwickelt, wie Plastikmüll aus Gewässern gefischt werden kann. „Pacific Garage Screenings“ heißt ihr Projekt. Inzwischen hat sie einen Verein und ein Startup gegründet, um das Projekt zu realisieren. Mit westfalenspiegel.de hat sie über Fortschritte und Schwierigkeiten gesprochen.

Wie geht es mit ihrem Projekt voran?
Wir arbeiten momentan in zwei Bereichen. Einmal forcieren wir unsere Öffentlichkeitsarbeit und das Thema Umweltbildung. Wir entwickeln gerade Aufklärungsmaterial für Schulen. Unser Umweltbildungskoffer soll als Ergänzung zum herkömmlichen Schulmaterial dienen. Wir wollen den Kindern spielerisch die Umwelt erklären und zeigen, wie zum Beispiel die Kreisläufe des Plastiks funktionieren. Zusätzlich halten wir Vorträge und geben Workshops, zeigen zum Beispiel wie man Kosmetik ohne Plastik herstellen kann. Und dann arbeiten wir darauf hin, einen Prototypen aufs Wasser zu bringen. Allerdings nicht mehr wie in der ursprünglichen Vision vorgesehen fürs offene Meer.

Sondern?
Viele Gespräche mit Experten haben uns gezeigt, dass es sinnvoller ist, mit den Flüssen anzufangen. 80 Prozent des Mülls werden schließlich über die Flüsse in die Meere eingetragen. Deshalb können wir dort viel effizienter ansetzen. Aktuell laufen in diesem Bereich auch die ersten Vorversuche an der Uni.

Welche Zeitmarken haben Sie sich gesetzt?
Eigentlich stehen wir in den Startlöchern für den Prototypen. Aber es hapert noch an der Finanzierung. Wir benötigen noch etwa zwei Millionen Euro um das Ganze auf den Weg zu bringen. Hätten wir das Geld beisammen, könnten wir in etwa zwei bis drei Jahren den ersten Prototyp in Betrieb nehmen.

Der Wechsel auf die Flüsse ist inhaltlich nachvollziehbar – hat aber wahrscheinlich auch mit der besseren Finanzierbarkeit zu tun, oder?
Auch, ja. Aber die große Meeresplattform war ja als Konzept, als Vision gedacht. Ich habe das im Rahmen einer Abschlussarbeit entwickelt. Nie mit dem Hintergedanken, es wirklich bauen zu können. In erster Linie ist der Schritt, den Eintrag von Plastik in die Ozeane schon in den Flüssen zu stoppen, logisch. Jede Minute kommt eine Lkw-Ladung Plastikmüll hinzu. Wenn wir das stoppen können, sind wir effektiver. Aber sicher, die Kostengründe spielen auch eine Rolle. Allein die Transport- und Wartungsarbeiten für eine Offshore-Anlage wären enorm und würden unheimlich viele Ressourcen verbrauchen. Auch deshalb ist der Einsatz in Flüssen noch nachhaltiger.

Visualisierung der ersten Vision von Marcella Hansch für das Pacific Garage Screenings Projekt. Foto: PGS

Visualisierung der ersten Vision von Marcella Hansch für das Pacific Garage Screenings Projekt. Foto: PGS

2013 ist die Idee im Rahmen ihrer Architektur-Abschlussarbeit aufgekommen, die Meere mit dem PGS vom Plastik zu befreien. Wie beurteilen Sie ihren Stand heute, welche Meilensteine haben Sie schon geschafft?
Also, in den ersten zwei, drei Jahren ist gar nicht viel passiert. Ich habe immer wieder von meiner Idee erzählt. Hin und wieder hatte ich die Chance, einen Vortrag zu halten. Aber da war ich noch als Einzelkämpferin unterwegs. Erst 2016 mit der Gründung des Vereins ging es richtig los. Plötzlich konnten wir Spenden sammeln und wurden nach außen hin ganz anders wahrgenommen. Der größte Meilenstein folgte dann im vergangenen Jahr. Da haben wir durch das Crowdfunding eine Anschubfinanzierung von 200.000 Euro einsammeln können. Das hat uns einen enormen Schub gegeben. Wir konnten Leute einstellen, Materialien entwicklen. In den vergangenen Monaten kamen dann noch einmal neue Partnerschaften hinzu. Etwa mit der RWTH Aachen. Dem Institut für Wasserbau, wo wir Hallen und Wasserrinnen für Strömungsversuche nutzen können. Auch mit einem der größten Unternehmen für Sortiermaschinen arbeiten wir zusammen.

Sind sie mit dem Fortschritt zufrieden? 
Mir geht es eigentlich immer zu langsam voran, das stimmt. Aber wenn ich sehe, wie wir in den vergangenen Monaten vorangekommen sind und wo wir eigentlich herkommen, dann sind das wirklich Riesenschritte, die wir gemacht haben. Oft wird man auf dem Weg auch durch bürokratische Hürden ausgebremst. So mussten wir zum Beispiel auch ein Startup gründen, um uns für Forschungsgelder bewerben zu können. Das macht mich manchmal schon etwas unzufrieden. Insgesamt bin ich aber auch sehr stolz. Vor allem auf unser Team. Alle ziehen voll mit. Wir haben wirklich einen guten Spirit, das macht sehr viel Spaß.

Die Meeresvision war als Gigant geplant: 400 mal 400 Meter groß. Welche Dimension wird die Flussvariante haben?
Aktuell fokussieren wir etwa zehn Meter große Anlagen. Diese sollen modular funktionieren. Man kann sie also hinter- und nebeneinander anordnen. Allerdings so, dass sie verschiebbar sind und bei Bedarf Platz für Schiffe machen können.

Wo könnte denn ein erster Prototyp zum Einsatz kommen?
Das wissen wir ehrlich gesagt noch nicht. Wir müssen erst einmal schauen, wo wir unsere Plattform effizient einsetzen können. Wahrscheinlich würden wir in Europa anfangen. Zum Beispiel auf den großen Flüssen Donau, Po oder Rhein. Langfristig wären aber Mekong, Jangtse, Amazonas und Ganges und andere große und stark verschmutzte Flüsse die Einsatzgebiete, in die wir wollen.

Warum ist es schwierig für ein Weltverbesserungsprojekt wie Ihres, Geld aufzutreiben?
Ein Problem ist sicher, dass wir nicht das typische Startup sind, bei dem sich ein Investor in zwei Jahren eine goldene Nase verdienen kann. Wir sind so aufgestellt, dass mögliche Gewinne wieder in das Projekt und nicht in private Taschen fließen. Wir sind eine Generation, die nicht das größte Auto haben möchte, sondern einen Planeten, auf dem sie auch in Zukunft noch leben kann. Das ist manchmal schwer zu vermitteln. Aber wir haben ja auch schon viele Unterstützer gefunden. Und wenn ich sehe, wo wir heute stehen, bin ich mir sicher, dass wir unseren Prototypen bald aufs Wasser kriegen.

Und dann wird alles gut?
So einfach ist das auch nicht. Die Menschen müssen mitmachen. Nur weil wir irgendwann den Müll aus dem Wasser fischen, können nicht alle einfach so weiter machen und diese enormen Mengen Plastik konsumieren. Auch die Ausrede „Ich allein kann da ja nichts machen“ lasse ich nicht gelten. Das stimmt nämlich nicht. Wir Verbraucher haben mit unserem Kaufverhalten eine große Macht. Was wir nicht mehr kaufen, wird auch irgendwann nicht mehr in den Regalen liegen. Wenn jeder im Alltag darauf achten, werden wir zu einer Masse, die extrem viel bewirken kann.

Interview: Jürgen Bröker

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