Junges altes Haus
Eine der Schönsten im Land: Burg Vischering ist 750. Der Geburtstag liegt schon ein Jahr zurück. Doch wegen der Pandemie konnte nicht gefeiert werden, das wird jetzt nachgeholt.
Schlösser und Burgen gibt es viele im Münsterland – aber sie ist wohl die Schönste der Schönen: die Burg Vischering. Und sie ist, in einer großräumigen Wasser- und Naturlandschaft etwas außerhalb des Altstadtkerns nördlich von Lüdinghausen gelegen, zugleich eine der ältesten und authentischsten Burgen, an der nahezu alle späteren Modernisierungen – scheinbar – vorbeigingen. Das ist es, was heute noch den Charme dieser einzigartigen Anlage ausmacht.
2021 feierte die Burg Geburtstag, 750 Jahre, nachdem der damalige Bischof von Münster, Gerhard von der Mark, ihren Bau auf einer Steverinsel befahl. Sie verdankt ihre Entstehung einer mittelalterlichen Fehde, bei der es wie immer um Macht ging. Der bischöfliche Landesherr wollte mit ihrem Bau die wiederborstigen Ritter von Lüdinghausen in die Schranken weisen. So stellte er 1271 eine Belehnungsurkunde für die Drosten von Wulfheim aus, die heute noch als Faksimile im Museum zu besichtigen ist.
Brand im Jahr 1521
Ursprünglich trug die neu erbaute Wehranlage wohl einen anderen Namen und bekam erst im 14. Jahrhundert den Namen Vischering. Auch die Burgmannenfamilie benannte sich danach und hieß fortan Droste zu Vischering. Sie wurde durch eine geschickte, weitsichtige Heirats- und Investitionspolitik im Laufe der Jahrhunderte reich und mächtig. Die jeweiligen Fürstbischöfe bedankten sich schließlich für die geleisteten Dienste und verliehen der Familie den Titel des Erbdrosten.
Als die Anlage 1521 abbrannte, wurde sie auf alten Fundamenten neu aufgebaut und im Stil der westfälischen Renaissance wohnlich eingerichtet. So entstanden in diesen Jahren der Treppenturm und die „Auslucht“, ein markanter, mit Fenstern versehener Erker. Allerdings verließen die Drosten um 1680 dieses Haus und nahmen ihren Wohnsitz auf Schloss Darfeld im münsterländischen Rosendahl, wo ihre Nachfahren noch heute leben. Auf Vischering blieb ein Kastellan zurück, der sich um das Notwendigste kümmerte. Hin und wieder wurde etwas gemacht, aber zu größeren baulichen Veränderungen kam es dann nicht mehr. Die alte Stammburg fiel in einen Dornröschenschlaf, aus dem sie am Ende des Zweiten Weltkriegs recht unsanft geweckt wurde. Im November 1944 zerstörte eine britische Luftmine den sogenannten Wallkopf auf dem Vorwerk mitsamt der alten Wassermühle. Und es klirrte wohl auch manches Fensterglas.
Kunst und Kultur
Aber bereits unmittelbar darauf wurden die entstandenen Schäden so gut es eben ging beseitigt. Um 1970 pachtete der damalige Kreis Lüdinghausen die Zwei-Insel-Anlage, bestehend aus Vor- und Hauptburg, und richtete in ihr das Münsterlandmuseum ein, das seither immer wieder erweitert, saniert und umgestaltet worden ist. Nach der kommunalen Neuordnung entwickelte der Kreis Coesfeld ein ehrgeiziges und, wie sich bald zeigen sollte, richtungsweisendes Nutzungskonzept für ein modernes, vielseitiges Kulturzentrum. 1986 wurde das gesamte Ensemble unter Denkmalschutz gestellt. Jetzt hielten neben der Regionalgeschichte auch Kunst und Kultur Einzug.
Heute gibt es hier ganzjährig ambitionierte Konzerte, Vorträge, Ausstellungen und sonstige Veranstaltungen. Die Reihe „BurgJazz“ führt immer wieder internationale Musikerinnen und Musiker nach Lüdinghausen. Aber auch an die Jüngsten ist mit dem alljährlichen Ritterlager, einer Zaubergala und Kindertheater gedacht. Das Kulturzentrum zählt Jahr für Jahr mehr als 80.000 Besucher.
Wer sich heute der Anlage durch die Lindenallee über die Zugbrücke nähert und die 1495 geweihte und in die Gründungsgeschichte zurückreichende Georgskapelle passiert hat, fühlt sich gleich ins Mittelalter zurückversetzt. Die Zeit scheint stillzustehen, und die Geschichte übernimmt das Kommando. Ein Ort mit ganz besonderer Ausstrahlung.
Volker Jakob