14.09.2020

„Keine Experimente bei Kommunalwahl“

Im Interview ordnet Prof. Norbert Kersting, Politologe der Universität Münster, die Ergebnisse der Kommunalwahl ein. Er erklärt, welche Überraschungen es gab und welche Schlussfolgerungen die Parteien für die Bundestagswahl 2021 ziehen können.

Herr Kersting, welches Ergebnis bei der Kommunalwahl hat sie überrascht?
Der Ausgang in Münster ist für mich überraschend. Ich hätte nicht gedacht, dass Oberbürgermeister Markus Lewe dort in die Stichwahl muss. Aber das Beispiel zeigt, wie auch der Wahlausgang in Hamm, Bielefeld oder Köln einen älteren Trend, dass sich die Amtsinhaber in größeren und großen Städten nicht immer im ersten Wahlgang quasi im Handstreich durchsetzen. Der Amtsinhaber-Bonus scheint in Corona-Zeiten etwas zu bröckeln. Die Wahl ist ein wenig zur Wundertüte geworden.

Können Sie das konkretisieren?
Es war auf jeden Fall eine besondere Wahl. Corona hatte massiven Einfluss auf den Wahlkampf, das haben wir mit einer Befragung unter Kommunalpolitikern schon vor der Wahl gezeigt. Gerade für neue Kandidaten und kleinere Wählergemeinschaften war es schwer, in Kontakt mit den Wählern zu treten und sich nachhaltig zu präsentieren. Da ist man schon davon ausgegangen, dass die Stunde der Exekutive schlägt und der Amtsinhaber einen enormen Bonus hat. Einige Amtsinhaber haben das auch ausgespielt und sind damit durchgekommen, andere – und dies ist eher in den größeren Städten der Fall – müssen jetzt durchaus überraschend wie in Münster oder auch Hamm in die Stichwahl. Außerdem habe ich nicht mir einer so hohen Wahlbeteiligung gerechnet. Da die Europawahl dieses Mal nicht zeitgleich stattgefunden hat, ist man eher von einer sinkenden Wahlbeteiligung ausgegangen. Aber das Gegenteil ist eingetreten.

Was ist noch auffällig?
Das insgesamt schlechte Abschneiden der AfD. In Gelsenkirchen hatte man durchaus die Befürchtung, dass der Bürgermeisterkandidat in die Stichwahl einziehen könnte. Das ist nicht passiert. Auch sonst sind die Zuwächse eher geringer ausgefallen, als man das erwartet hat.

Woran liegt das?
Die AfD spielt immer nur die eine Karte Migration. Das ist aber in vielen Städten nicht mehr das zentrale Thema. Selbst in Städten wie Gelsenkirchen ist es nicht das Hauptthema. Auch ist der Protestfaktor, den es bei der Europawahl im vergangenen Jahr noch gegeben hat, weggefallen. Die AfD hat gegenüber der Europawahl deutlich verloren. Auch weil sie bei anderen kommunalpolitischen Themen kein gutes Bild abgibt. Die Partei ist häufig zerstritten. Die Wähler haben insgesamt nicht auf Protest oder Experimente, weder im rechten noch im linken Spektrum, gesetzt.

Weshalb haben die Grünen so stark zugelegt?
Umwelt- und Verkehrsthemen waren den Wählern offenbar besonders wichtig, hier konnten die Grünen punkten. Auch das Thema Nachhaltigkeit war wichtig. Insbesondere bei der jungen Wählergruppe haben die Grünen damit deutlich zugelegt. Das war durchaus prognostiziert, war aber für diese Wahl tatsächlich prägend.

Und der Niedergang der SPD geht weiter.
Naja, das sehen wir ja schon länger. Aber ich glaube, dass die Talsohle durchschritten ist. Bei der Europawahl war der Stimmenverlust in den ehemaligen Hochburgen im Ruhrgebiet noch höher. Bei dieser Wahl waren Themen wie soziale Gerechtigkeit nicht so gefragt. Aber das kann sich wieder ändern. Und dann kann auch die SPD vielleicht wieder zulegen.

Was können die Parteien für die Bundestagswahl im kommenden Jahr mitnehmen?
Zunächst einmal sieht man, dass der Wahlkampf unter Coronabedingungen anders funktioniert. Die Digitalisierung wird immer wichtiger. Da sind die Parteien in Deutschland noch etwas rückständig. In Frankreich, England oder vor allem den USA werden die Wahlkämpfe viel stärker digital ausgeführt. Ein weiterer Aspekt: die Amtsinhaber, die jetzt schon zeigen, dass sie für Klarheit, Sicherheit, Handlungskompetenz stehen, haben als Kandidaten möglicherweise bei der Bundestagswahl einen kleinen Bonus. Und die Wahlen zeigen andere Möglichkeiten der Koalitionen auf. Zum Beispiel, dass auch schwarz-grün funktionieren kann.

Politikwissenschaftler, Prof. Norbert Kersting. Foto: WWU/Anna Overmeyer

Politikwissenschaftler, Prof. Norbert Kersting. Foto: WWU/Anna Overmeyer

Wie beurteilen Sie die direkte Wahl des Ruhrparlaments?
Das Ruhrparlament ist ein schlafender Riese, durch die direkte Wahl ist es politisch aufgewertet worden. Jetzt geht es darum, dass es auch administrativ aufgewertet wird. Die Kooperation von Kommunen in bestimmten Bereichen kann über ein solches Parlament gestärkt werden. Aber man muss natürlich die weiteren Schritte gehen und diese Kompetenzen auch in diese Richtung verlagern.

Haben Sie ein Beispiel?
Wir waren überrascht, dass zum Beispiel in unserem „Ruhr.Wahl-Kompass“ eigentlich alle Parteien  gesagt haben, dass sie bei den Verkehrsverbänden viel stärker kooperieren wollen. Dann sollen sie das aber auch machen. Nur die politische Aufwertung nutzt jetzt nichts. Man muss auch die weiteren Schritte gehen, vor allem wenn man Großprojekte wie die Olympiabewerbung und weitere angehen möchte.

Interview: Jürgen Bröker/wsp

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