Keine Kompromisse
Der in Bielefeld geborene Liedermacher Hannes Wader blickt in seiner Autobiografie „Trotz alledem. Mein Leben“ zurück.
Eine Szene aus dem Berlin der 1960er Jahre: Hannes Wader packt in einer Kneipe seine Klampfe aus, um für seine Freunde ein paar Lieder zu singen. In deutscher Sprache. Die ist damals verpönt, gilt als Sprache der Nazis, der Kriegstreiber. Während er spielt, geht ein anderer Gast zur Jukebox, wirft eine Münze ein und lässt einen anderen Song, womöglich der Beatles oder Rolling Stones, spielen. So laut, dass Wader seine Gitarre wieder einpackt. Keine Chance, gegen die Musikbox kommt er mit seinen nachdenklichen Liedern nicht an.
Wie ist die Szene einzuordnen? Hannes Waders Autobiografie „Trotz alledem. Mein Leben“ liefert uns die Erklärung. Damals war die Musikszene im Umbruch. Auf der einen Seite eroberte die Beatlemania die Welt, auf der anderen Seite wurden Singer-Songwriter wie Bob Dylan und Joan Baez auch in Deutschland bekannt. Und dann war da noch eine deutsche Liedermacherszene, die sich allmählich Gehör verschaffte, mehr oder weniger poetisch, mehr oder weniger klamaukig, mehr oder weniger politisch. Und dem Verdikt Lügen strafte, auf Deutsch könne man keine Songs schreiben, Deutsch sei unsingbar.
Wader wird zum neuen Star der Liedermacherszene
Ihre Protagonisten waren Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey, Ulrich Roski, Schobert und Black, Insterburg & Co. und eben Hannes Wader aus Bielefeld, der nach Berlin gekommen war, um dort sein Grafikstudium fortzusetzen, sich im Grunde genommen aber nur für Musik interessierte. Auch er war auf der Suche nach einem neuen, eigenen Ton. Er versuchte, in der Szene Fuß zu fassen, zunächst eher hilflos, dann aber zunehmend selbstbewusster, als Straßenmusiker, in kleinen Clubs, in Kneipen.
Dann folgte sein erster Auftritt auf dem Liederfestival Burg Waldeck. Seit 1964 traf sich dort die deutsche Folk- und Chansonszene. Wader hörte erst spät davon, zufällig, über eine entfernte Freundin. Und die kannte ausgerechnet den Organisator des Treffens, das jährlich Tausende Besucher zum ersten deutschen Open-Air-Festival lockte. Wader bewirbt sich und wird eingeladen. Jetzt geht alles Schlag auf Schlag. Wader wird zum neuen Star der Liedermacherszene, ist plötzlich „in“. Bald tritt er in Hallen vor 3000 bis 5000 Besuchern auf. Ausverkaufte Tourneen, unter anderem mit Reinhard Mey oder Konstantin Wecker, schließen sich an.
Immer wieder neue Wege
Waders Autobiografie rekapituliert die Etappen dieses Erfolgs. Sie blendet aber auch die vielen Kollateralschäden, die persönlichen Krisen, nicht aus. Wader bezeichnet sich selbst als notorisch Unangepassten, Suchenden, Getriebenen, permanent an Selbstzweifel Leidenden. Anpassung sei für ihn ein Fremdwort. Auch musikalisch war er stets eigensinnig. Er beschritt immer wieder neue Wege, die bei manchen Fans und erst recht bei seinen Plattenfirmen für Kopfschütteln sorgten.
Er wollte sich jedoch nicht festlegen lassen, weder als „Protestsänger“ noch in eine andere Richtung. Er wandte sich dem Volkslied zu, dem niederdeutschen Lied, dem Arbeiterlied und sogar dem Schubert’schen Kunstlied – und war fast überraschend mit alledem gleichermaßen erfolgreich. Um keinen Preis wollte er Kompromisse eingehen: „Ich beschließe – und werde mich von nun an immer daran halten –, beim Liederschreiben niemals kaufmännische Aspekte zu berücksichtigen. Scheiß auf Kommerzialität. Scheiß auf Sendbarkeit.“ In summa hat Wader rund 1500 Konzerte gegeben und 25 LPs bzw. CDs herausgebracht, die ihm unter anderem den Deutschen Musikpreis für sein Lebenswerk, den „Echo“, einbrachten.
In einem FAZ-Interview resümierte Wader 2010: „Ich war der Junge vom Lande und auf einmal ein Star. Ich wurde berühmt und reich und total überrollt davon.“ Diesem Kapitel „Junge vom Lande“ widmete er etwa ein Drittel seiner fast 600-seitigen Autobiografie. Es sind keine Kapitel, die in Nostalgie schwelgen oder ein „Es waren harte, aber schöne Zeiten“ beschwören. Die bestimmenden Stichworte lauten vielmehr „Armut“ und „Missverstandenwerden“.
„Hans, der Träumer“
Wader wurde 1942 in Bethel bei Bielefeld in einfachsten Verhältnissen geboren. In der Schule war er „Hans der Träumer“. Er liebte das Alleinsein, kapselte sich ab. Oft wurde er von Älteren gehänselt und gedemütigt. Trost fand er in der Lektüre. Er las alles, was ihm in die Finger fiel, vom Comic bis zur „gehobenen Literatur“. Das mit seiner Kindheit verbundene Grundgefühl der Verlassenheit und Traurigkeit begleitete ihn sein ganzes Leben hindurch, resümierte er später. Es sei einhergegangen mit Melancholie, Überempfindlichkeit und einer „ruhelosen, ziellos in alle Richtung zerfasernden und zerfließenden Fantasie“.
Die Musik war sein Ventil. Der gelernte Schaufensterdekorateur spielte im Mandolinenorchester seines Vaters, war dann ganz vom Dixie-Jazz fasziniert, lernte Klarinette, Saxofon, spielte in Schülerbands und begleitete einen Akkordeonspieler auf Schützenfesten und anderem Rummel. Und bekam dafür erste, bescheidene Gagen. Als er seinen Job verlor – er hatte in der Mittagspause Saxofon geübt –, fasste der Teenager den Entschluss, nur noch das zu tun, wofür er leidenschaftlich brannte. Und das war in erster Linie die Musik.
Authentische Songsprache
„Nur nichts Deutsches“, lautete zunächst die Devise. In seiner Zeit in Berlin, die er im Umfeld der 1968er-Studentenbewegung erlebte, änderte er, siehe oben, diese Meinung. Später lebte er in Nordfriesland, immer wieder in Hamburg, heute in Kassel, ohne den Kontakt zu Bielefeld und Umgebung aufzugeben.
Wader hat für seine Gefühle eine authentische Songsprache gefunden. In ihr hat er sein Leben ungeschönt gespiegelt. So wie er stets seine Umwelt kritisch und reflektiert wahrnahm. Er ging seinen eigenen Weg, auch um den Preis, seiner Karriere damit möglicherweise zu schaden. Es ist eben jene „Dickköpfigkeit“, die ihn von anderen Songschreibern seiner Zunft unterscheidet. Die Qualität der Lieder selbst steht außer Frage. Sie schließen Lyrisches, Anklage, Volkstümliches und immer wieder Persönliches ein. Eben jene Eigenständigkeit hat ihm seinen Erfolg beschert.
Walter Gödden
Dieser ist aus dem WESTFALENSPIEGEL Heft 4/2020.
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