„Kirche muss sich ehrlich machen“
Der Theologe Prof. Thomas Söding von der Ruhr-Universität Bochum spricht im Interview über Stärken und Schwächen der katholischen Kirche und erklärt, warum er nach wie vor an Reformen glaubt.
Herr Söding, steckt die Kirche in der schwersten Krise ihrer Geschichte?
Es ist mindestens eine der schwersten Krisen der neueren Zeit. Wir erleben einen großen Vertrauensverlust und der ist selbstverursacht durch die Art und Weise, wie Macht gebraucht und vor allem missbraucht wurde.
Wie muss sich Kirche verändern, um wieder glaubwürdiger zu werden?
Zuallererst muss sich Kirche ehrlich machen. Und ehrlich machen heißt: Nicht nur ein allgemeines Bedauern darüber ausdrücken, was alles schiefgelaufen ist. Kirche muss Verantwortung übernehmen und Konsequenzen ziehen. Sie muss sich wieder mehr auf ihre Stärken konzentrieren.
Welche sind das?
Die Stärken bestehen im Gottvertrauen, in der Liebe zu Gott, in der Suche nach Gott – das muss wieder in den Mittelpunkt des Handelns gerückt werden. Leider ist davon im Moment zu wenig zu sehen.
Um mal in Unternehmerdeutsch zu sprechen: Kirche muss zurück zum Kerngeschäft?
Ja, aber ohne Scheuklappen aufzusetzen. Es gibt eine frohe Botschaft, eine Verheißung von Gott, die ist aktuell wie immer und die spricht auch die Menschen an. Die Bereitschaft, die vorgekauten Antworten der Kirche dazu zu übernehmen, lässt aber nach. Deshalb heißt Besinnung auf das Kerngeschäft auch immer eine kluge Marktanalyse durchzuführen. Dabei muss sich Kirche die Fragen stellen: Wo steht Kirche? Was haben wir falsch gemacht? Und – das ist das eigentlich Erschütternde – inwiefern steht die Kirche der eigentlichen Botschaft Jesu im Wege?
War Kirche schon immer so veränderungsresistent, wie wir das aktuell meistens erleben?
Überhaupt nicht. Das Urchristentum war damals wirklich Avantgarde. Der Glaube, dass es einen Gott gibt, der ebenso über dem Kaiser wie über dem Sklaven steht, der für alle Menschen da ist und der ihnen auch ganz nahe sein will – das war über viele Jahrhunderte ein Erfolgsmodell. Aber der Erfolg ist der Kirche vielleicht auch zu Kopf gestiegen. Da ist der Spirit etwas verloren gegangen.
Gibt es gute Beispiele für eine „modernere“ katholische Kirche?
Selbstverständlich. Als Beispiel möchte ich mal den Religionsunterricht nehmen. Da ist eine Art und Weise über Glaube und Religion zu sprechen entwickelt worden, die sich wirklich sehen lassen kann. Außerdem bilden sich unter dem Druck des Priestermangels ganz neue Formen der Gemeindearbeit heraus. Das stimmt mich positiv.
Welche Rolle kann bei der Erneuerung auch der Synodale Weg spielen?
Meiner Wahrnehmung nach ist das der einzige Ort in der katholischen Kirche, an dem solche Themen aufgeworfen werden. Es wird verbindlich darüber gesprochen, und es werden Lösungsstrategien erarbeitet. Es wird auch in anderen Gremien über die Modernisierung gesprochen. Aber der Synodale Weg ist etwas Besonderes. Hier sind alle Fragen auf dem Tisch und Lösungen werden mit großen Mehrheiten entschieden.
Es gibt Kritiker, die sagen, dass auch der Synodale Weg keine wirklichen Veränderungen hervorrufen wird?
Warten wir es ab. Eine Wirkung ist ja auch schon erzielt. Es gibt viele nervöse Reaktionen auf der rechten, konservativen Seite der Kirche. Der Synodale Weg ist alles andere als eine Quasselbude. Aber natürlich muss sich das Gremium seine Reputation erst noch durch Beschlüsse erarbeiten. Der Synodale Weg kann für die Katholische Kirche in Deutschland einiges bewirken.
Was macht Sie so zuversichtlich?
Das Engagement derjenigen, die sich für Reformen einsetzen, sei es im Synodalen Weg oder auf andere Weise, zeigt, wie viel Leidenschaft auch für die Kirche, auch wenn man sich an ihr reibt, immer noch im System ist. Das kann man doch nutzen.
Gerade wenn es um die Rolle der Frau in der katholischen Kirche geht, kommen Reformen aber nur langsam voran.
Reformen gelingen Schritt für Schritt. Frauen in Leitungspositionen zu bringen, beginnt jetzt. Langsam, sicher zu langsam, aber immerhin. Daran werden sich weitere Fragen anschließen. Zum Beispiel, wenn es um Weiheämter für Frauen geht. Man muss dabei auch im Blick haben, dass das Entwicklungen sind, die nicht allein von Deutschland ausgehen können. Ich bin trotzdem der Meinung: Es hat eine Entwicklung begonnen, die noch längst nicht beendet ist – und die sich auch nicht mehr aufhalten lässt.
Der katholische Theologe Thomas Söding ist Professor für Neutestamentliche Exegese an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken und arbeitet im Synodalforum „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ mit.
Mehr zum Thema lesen Sie in unserem Dossier Zukunft Kirche.