Die kleinen Unbekannten
Bei der Bundestagswahl stehen rund 40 Kleinstparteien auf dem Wahlzettel. Die Bürger können ihr Kreuz zum Beispiel bei der „Europäischen Partei Liebe“, bei „Die Urbane, Eine Hiphop Partei“ oder bei Volt machen. Eine Partei, die gerade rund um Münster bereits erste Erfolge zu verzeichnen hat. So ist Volt im Münsteraner Stadtrat vertreten und hat für die Bundestagswahl in Münster und Dortmund eine Direktkandidatin bzw. einen Direktkandidaten aufgestellt.
Häufig fokussieren sich die kleinen Parteien auf wenige Anliegen. Bei Volt stehen die Europa- und Digitalpolitik im Zentrum. Die Tierschutzpartei stellt das Mitgefühl für „jedes empfindungsfähige Wesen“ in den Mittelpunkt ihres Programms. „Solche Parteien nennt man „Single Issue Parties“, weil sie sich in erster Linie mit einem Thema beschäftigen. Ich bin aber skeptisch, dass man als Partei mit nur einem Thema erfolgreich sein kann. Das zeigen ja meist auch die Wahlergebnisse“, sagt Dr. Christian Zimmermann, Politikwissenschaftler an der Universität Siegen.
In der Tat spielen diese Parteien ungeachtet einiger Erfolge bei Kommunal- oder Europawahlen bei Bundestagswahlen eher eine untergeordnete Rolle. So erreichten die sogenannten „Sonstigen“ 2017 gemeinsam gerade einmal fünf Prozent. Dass sich die Parteien trotz ihrer relativen Chancenlosigkeit zur Wahl stellen, liege daran, dass sie zum einen ihre eigenen Interessen vertreten und gleichzeitig von einer größeren Öffentlichkeit wahrgenommen werden wollen, glaubt Zimmermann.
Diskussion über Fünf-Prozent-Hürde
Auch für die Bundestagswahl am 26. September rechnet er nicht damit, dass eine der „sonstigen Parteien“ die Fünf-Prozent-Hürde überspringen kann. Ganz ausschließen könne man das aber nicht. „Nehmen Sie zum Beispiel die Grünen. Die sind 1980 mit 1,5 Prozent noch ziemlich deutlich an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. 1983 erreichten sie dann 5,6 Prozent. Und nun kämpfen sie ums Kanzleramt“, so Zimmermann. Das Beispiel zeige, dass kleinere Parteien auch in kürzerer Zeit deutlich wachsen könnten. Ähnliches konnte man bei der AfD beobachten: 2013 scheiterte die Partei knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Heute ist die AfD die größte Oppositionspartei im Bundestag.
Weil 2013 zusätzlich auch die FDP knapp unter fünf Prozent der Wählerstimmen blieb, gab es damals eine öffentliche Debatte, ob die Fünf-Prozent-Hürde, eigentlich Sperrklausel genannt, weiterhin gelten soll. „In einem parlamentarischen Regierungssystem ist eine Sperrklausel auf jeden Fall sinnvoll“, sagt Zimmermann. Aufgabe des Bundestages ist es, die Regierung zu wählen. Säßen viele verschiedene Parteien im Bundestag, wäre das Parlament also zersplittert, würde das die Regierungsbildung erschweren. „Das ist eine Lehre aus der Weimarer Republik. Aber die Fünf-Prozent-Hürde ist letztlich willkürlich gewählt, sie könnte auch bei drei oder vier Prozent liegen.“
Über Direktmandate in den Bundestag
Kleine Parteien haben aber noch eine weitere Chance, in den Bundestag einzuziehen. Dann nämlich, wenn sie mindestens in drei Wahlkreisen das Direktmandat erreichen. Dann dürfen nicht nur diese drei Kandidaten nach Berlin, sondern anteilig auch so viele Abgeordnete, wie die Partei Stimmen erhalten hat, auch wenn dieser Anteil unter fünf Prozent liegt. Aber auch dieses Szenario ist sehr unwahrscheinlich. „Die PDS hat das einmal erreicht, aber sie hatte bundesweit auch einen Stimmenanteil von mehr als vier Prozent“, so der Siegener Wissenschaftler.
Welche Rolle die kleinen Parteien bei dieser Bundestagswahl spielen, sie schwer einzuschätzen, erklärt der Politologe. Manchen etablierten Parteien könnten einige Wähler von der Stange gehen. Gerade dann, wenn die kleinen Parteien ähnliche Themen besetzen wie CDU/CSU, SPD, FDP oder Die Grünen. Auch der Trend zur Individualisierung in der Gesellschaft könne dazu führen, dass kleinere Parteien ihre Anteile etwas ausbauen könnten. Doch weil die aktuelle Wahl durch das Ende der Ära Merkel eine echte Zäsur darstelle, vermutet Zimmermann, dass die Wähler sich auf die etablierten Parteien konzentrieren.
Die Gefahr einer zunehmen Radikalisierung oder gar die Bedrohung der parlamentarischen Demokratie durch einzelne Parteien mit extremen Programmen, sieht er nicht. Die Partei „Die Basis“ etwa wird der Querdenkerszene zugeordnet. „Wenn eine politische Gruppierung die Bühne der parlamentarischen Demokratie betritt und sich als Partei organisiert, dann ist das ja schon ein Schritt in den etablierten Diskurs“, erklärt Zimmermann. Die Parteien seien wahrnehmbar, sie hätten bestimmte Pflichten, müssten Rechenschaftsberichte abgeben, eine Satzung verabschieden, ein Programm vorlegen. Sie stehen dann im Licht der Öffentlichkeit. „Das ist besser als wenn sie im Verborgenen agieren. Das wäre, glaube ich, deutlich gefährlicher.“
Jürgen Bröker, wsp
Der Beitrag ist Teil unserer Serie zur Bundestagswahl 2021: