Die Verwüstungen nach der Flut in Altena sind immens. Foto: Alexander Bange / Märkischer Kreis
16.07.2021

Land unter

Jahrhundert-Hochwasser: Vor allem Hagen und Altena sind in Westfalen von den Folgen des Starkregens betroffen. Aber auch andere Städte und Stadtteile wurden überflutet. 

Über Hagen gingen in den vergangenen Tagen enorme Regenmassen nieder. Dort wurde der Notstand ausgerufen, die Bundeswehr hilft mit Räumpanzern. Der Stadtteil Dahl war zwischenzeitlich nicht erreichbar. Bäche und Flüsse traten über die Ufer, Häuserwände stürzten ein. Auch andere Städte waren von den Unwettern betroffen. In Iserlohn mussten mehrere Menschen ihre Häuser verlassen, weil ein Damm des Lasbecker Bachs gebrochen war. Die Bahnstrecke zwischen Hagen und Siegen wurde zeitweise gesperrt. Altena im Märkischen Kreis riegelte zwischenzeitliche sämtliche Zufahrtsstraßen ab. Zwei Feuerwehrmänner kamen im Sauerland beim Einsatz gegen die Fluten ums Leben.

Am Donnerstag machte sich Ministerpräsident Armin Laschet in Hagen und Altena ein Bild von den Verwüstungen. Viele Menschen hätten alles verloren, die Schäden seien noch nicht genau zu beziffern, so der Ministerpräsident. In Dortmund standen große Teile der Nordstadt unter Wasser. Dort hatte es nach Angaben des WDR innerhalb von 48 Stunden 240 Liter pro Quadratmeter Niederschlag gegeben. Das Ruhrhochwasser bedrohte einige Stadtteile in Bochum. Auch im Regierungsbezirk Münster mussten Feuerwehr und Hilfskräfte zu mehr als 900 Einsätzen ausrücken. Meistens waren Keller vollgelaufen.

Talsperren sind voll

Stark- und Dauerregen sorgen zudem für Rekordstände in den Talsperren der Region. Am Donnerstag liefen Fürwigge-, Lister-, Bigge- und Ennepetalsperre über, so eine Sprecherin gegenüber dem WESTFALENSPIEGEL. Die Möhnetalsperre stehe kurz davor. Dabei hatte der Ruhrverband wegen der Rekordstände in seinen Talsperren schon für zusätzlichen Raum gesorgt. Man gebe etwa die viereinhalbfache Menge des Zulaufs ab, sagte ein Sprecher des Ruhrverbands noch Mitte der Woche.

Die Biggetalsperre ist die größte Talsperre des Ruhrverbands. Foto: Ruhrverband

Die Biggetalsperre ist die größte Talsperre des Ruhrverbands. Foto: Ruhrverband

Dann habe sich die Situation aber mit einer Schnelligkeit entwickelt, die auch die Fachleute beim Ruhrverband überrascht habe. Eine Gefahr, dass Talsperren brechen könnten, habe es im Bereich des Ruhrverbands aber zu keinem Zeitpunkt gegeben. Die Staumauern würden engmaschig überprüft. „Das Hochwasser hat bisher nicht dagewesene Ausmaße angenommen“, so die Sprecherin. Ein Beispiel: Der Pegel der Ruhr bei Hattingen ließ sich nicht mehr messen. Die Pegellatte reichte dafür nicht mehr aus. „Händisch wurden dort mehr als sieben Meter gemessen“, so die Sprecherin. Der Höchststand bisher lag bei 6,16 Metern. Inzwischen fallen die Pegel aber wieder.

Fröndenberg räumt auf

In Fröndenberg wurde in dieser Woche aufgeräumt, was die Flut der Vorwoche hinterlassen hat. Die verschlammten Bachläufe wurden ausgekoffert, damit wieder mehr Wasser abfließen kann. Die Kanalschächte sind von Hindernissen befreit worden. Viel mehr kann die Stadt derzeit nicht unternehmen. Man analysiere gerade mögliche Schwachstellen im System. Eine Erkenntnis gibt es aber jetzt schon: „Derartige Regenmengen mit bis zu 120 Litern pro Quadratmeter, wie sie innerhalb kurzer Zeit aufgetreten sind, kann das Kanalsystem nicht aufnehmen“, so eine Sprecherin der Stadt Fröndenberg.

Mit bangem Blick schauten die Verantwortlichen im Rathaus und bei Polizei und Feuerwehr auf die Wetterprognosen für die aktuelle Woche. „Wir haben die Feuerwehr, die aus freiwilligen Kräften besteht, in Alarmbereitschaft gesetzt, damit wir schnell vor Ort sein können“, erklärt die Sprecherin. Ein Krisenstab soll zudem untersuchen, ob es längerfristig Verbesserungsmöglichkeiten gibt, um sich vor solchen Ereignissen zu schützen.

Genauere Vorhersage für Starkregenzellen

Eine Möglichkeiten könnten genauere Voraussagen über das Zugverhalten der Starkregenzellen sein. Daran arbeitet ein Forscherteam aus Bochum. Mit Hilfe eines dichten Sensor-Netzwerks wollen sie zukünftig die Prognosen für lokale Starkregenereignisse revolutionieren. Im Idealfall wäre die Feuerwehr dann schon am Einsatzort, bevor die Keller der Häuser volllaufen. „Unser Ziel ist es, bis zu 30 Minuten bevor die Zelle einen Ort erreicht, zu warnen“, sagt Henning Oppel von Okeanos. Das Unternehmen im Bereich Digitalisierung der Wasserwirtschaft ging 2019 als Ausgründung der Ruhr-Universität Bochum an den Start. Gemeinsam mit zwei weiteren Bochumer Unternehmen hat es das Projekt „25square“ gegründet, das vom Bund mit mehr als 120.000 Euro gefördert wird.

Bisher könnten der Deutsche Wetterdienst (DWD) oder andere meteorologische Dienstleister zwar auf eine generelle Gefahrenlage für bestimmte Regionen hinweisen, für eine verlässliche standortspezifische Vorhersage fehle aber die Grundlage. Das will 25square ändern. Dabei klingen 20 bis 30 Minuten Vorlauf nicht nach besonders viel Zeit. Aber es dürfte ausreichen, um zum Beispiel wichtige elektrische Anlagen zu sichern. „Wenn eine Stadt außerdem weiß, welche Bereiche nicht vom Starkregen betroffen sein werden, kann sie das Wasser über ihr Kanalsystem auch dorthin umlenken, um andere Bereiche zu entlasten“, so Oppel weiter. Die ersten Sensoren sind in Bochum bereits installiert. Neben der Stadt Bochum haben auch die Stadtwerke Bielefeld bereits Interesse an diesem System bekundet.

 

Jürgen Bröker/wsp

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