Das Westwerk des Klosters Corvey. Foto: Pixabay
22.09.2022

Leuchtturm an der Weser

Vom geistig-kulturellen Zentrum zum Welterbe: Das Kloster Corvey bei Höxter wird 1200 Jahre alt.

Die Liste des UNESCO-Welterbes umfasst aktuell 1154 Stätten von universeller Bedeutung. In Deutschland sind es 51. Nordrhein-Westfalen ist mit sechs Objekten vertreten, von denen allerdings nur ein einziges in Westfalen verortet ist: die ehrwürdige Benediktinerabtei Corvey bei Höxter an der Weser, die in diesem Jahr ihr 1200-jähriges Jubiläum feiert. Sie verdankt diese 2014 verliehene hohe Auszeichnung dem karolingischen Westwerk und „Civitas Corvey“, einer einst südlich des Klosters gelegenen Stadt, die 1265 infolge politischer Streitigkeiten dem Erdboden gleichgemacht und nicht wieder überbaut wurde.

Doch der Reihe nach: 815, nur ein Jahr nach dem Tod Karls des Großen, gründeten zwei seiner Vettern, die Brüder Adalhard d. Ä. und Wala, im fernen Osten des Reiches ein Kloster, das die fränkische Herrschaft über die besiegten Sachsen sichern und die Mission fördern sollte. Nachdem sich eine erste Niederlassung im Solling als nicht Erfolg versprechend erwies, wurde sie sieben Jahre später auf das linke Weserufer verlegt. Der Kaiser selbst stattete das Kloster reich mit Gütern und Rechten aus und übertrug ihm die Reliquien des Hl. Stephanus. Wenig später kamen die Gebeine des Hl. Vitus hinzu.

Mutterkloster Corbie an der Somme

Die Reichsabtei, deren Name Corvey übrigens vom Mutterkloster Corbie an der Somme abgeleitet ist, entwickelte sich während der karolingischen Renaissance zu einem kirchlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum von großer Ausstrahlung im Sachsenland und darüber hinaus. Hier war Widukind, der Verfasser der Sachsengeschichte, ebenso tätig wie Ansgar, der spätere Apostel des Nordens. An diese große Zeit erinnert jenes mächtige und mit seinen Doppeltürmen hoch aufragende Westwerk, das einzig erhalten gebliebene im europäischen Kulturraum.

Die barocke Pfarrkirche St. Stephans und Vitus steht unter Denkmalschutz. Foto: Teutoburger Wald-Tourismus/M. Schoberer

Die barocke Pfarrkirche St. Stephans und Vitus steht unter Denkmalschutz. Foto: Teutoburger Wald-Tourismus/M. Schoberer

Im Spätmittelalter sank die Abtei zur Bedeutungslosigkeit herab. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde das Kloster verwüstet und die Kirche zerstört. Auch die kostbare Bibliothek ging verloren. Das alles baute man in der Folgezeit im barocken Stil wieder auf. 1792, die Französische Revolution erreichte ihren Höhepunkt, wurde Corvey zum Fürstbistum erhoben. Das Ende der frommen Herrlichkeiten kam mit dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Damit ging nun der geistliche Besitz in weltliche Hände über.

Bedeutende Bibliothek

Nach verschiedenen Wechseln fiel Corvey an den Landgrafen von Hessen-Rotenburg. 1825 übertrug dieser seine außerhessischen großen Landgüter an das Haus Hohenlohe-Schillingsfürst. Erbprinz Viktor wurde 1840 vom Preußischen König zum ersten Herzog von Ratibor und Fürsten von Corvey erhoben. Er war es, der das alte Kloster zu einem Schloss umgestaltete und eine eindrucksvolle Büchersammlung aufbaute – mit rund 75000 Bänden in 15 Sälen eine der größten Privatbibliotheken Deutschlands. Zum Bibliothekar bestellte er keinen anderen als August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der hier 14 Jahre tätig war. Der Dichter des „Deutschlandliedes“ hat neben der Abteikirche sein Grab gefunden. Das Schloss befindet sich heute noch im Besitz der Fürstenfamilie.

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Sein markanter dreigeschossiger Baukörper wird dominiert von dem Westwerk mit Resten karolingischer Wandmalereien. Aber da ist auch die angeschlossene Kirche, die nach den Kriegszerstörungen des 17. Jahrhunderts wiederaufgebaut wurde und die, wie überhaupt die ganze Klosteranlage, damals eine barocke Ausstattung erhielt. Das Schloss umfasst ein Areal von nicht weniger als 80000 Quadratmetern. Und da gibt es für den heutigen Besucher viel zu bewundern: im Inneren die Äbtegalerie und den Kreuzgang, die Bibliothek und die Fürstlichen Salons, den Geweihgang mit dem Barocksaal, den Kaiser- und den Sommersaal und vieles mehr. Draußen warten Kapellen und verschiedene historische Gebäude, die 1716 angelegte Kastanienallee, die vom Kloster ins nahe Höxter führt, und die „Civitas“, deren Ausgrabungen Einblicke in das Leben einer mittelalterlichen Stadt ermöglichen. Sie bildet zusammen mit den Ruinen der zum Kloster gehörenden Propstei „tom Roden“, die bis ins 16. Jahrhundert hinein bestand, einen archäologischen Schatz erster Klasse.

Auf und Ab der Geschichte

Corvey, eingebettet in eine weitgehend intakte Kulturlandschaft, ist ein Gesamtkunstwerk, an dem viele Jahrhunderte lang gebaut wurde und in dem sich das Auf und Ab der Geschichte nachverfolgen lässt. Der Weg von der mittelalterlichen Reichsabtei zum Schloss war weit. Fast jede Generation hat in dieser langen Zeit etwas entfernt, etwas verändert und etwas hinzugefügt. Um den Auflagen entsprechen zu können, die sich aus den hohen Anforderungen der UNESCO ergeben, haben das Herzogliche Haus, die Kirchengemeinde, in deren Besitz sich das Westwerk und die alte Abteikirche heute befinden, sowie Stadt und Kreis Höxter gemeinsam einen „Managementplan“ entwickelt. Hier geht es darum, nicht nur die Erhaltung des historischen Bauensembles und der umgebenden Landschaft zu gewährleisten, sondern auch zukunftsweisende Nutzungskonzepte zu entwickeln.

Am Anfang seiner Geschichte vor 1200 Jahren war das Kloster ein geistig-kulturelles Zentrum von großer Strahlkraft im gerade eroberten Sachsenland. Und das ist Corvey mit dem dort eingerichteten Museum sowie einem ambitionierten Kulturprogramm mit wechselnden Ausstellungen, Konzerten und Events bis heute geblieben: ein Leuchtturm, der weit strahlt.

Volker Jakob

Dieser Beitrag ist aus Heft 4/2022 des WESTFALENSPIEGEL. Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Gerne senden wir Ihnen im Rahmen unseres Probeabos kostenlos zwei Ausgaben unseres Magazins. Hier geht es zum Probeabo.

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