„Man darf das nicht unterschätzen“
Am Wochenende verwüstete ein Tornado Teile Paderborn, Lippstadts und Höxters. Im Gespräch erläutert der Tornado-Experte vom Deutschen Wetterdienst Andreas Friedrich, wie ein Tornado entsteht und wie man sich im Falle eines aufziehenden Wirbelsturms am besten verhält.
Herr Friedrich, wie ungewöhnlich war das Auftreten der Tornados am vergangenen Wochenende in Ostwestfalen?
Tornados sind schon von der Definition her sehr ungewöhnlich, weil sie eines der seltensten Wetterphänomene sind, die wir in Deutschland haben. Bundesweit gibt es jährlich 20 bis 80 nachgewiesene Tornados. Für Nordrhein-Westfalen beschränkt sich das auf maximal zehn pro Jahr.
Warum haben sich die Tornados über Ostwestfalen gebildet?
Das war Zufall. Es hätte auch im Ruhrgebiet eine Großstadt treffen können. Es hängt einfach damit zusammen, wo sich die Gewitterzellen bilden. In den Vorwarnungen haben wir beim Deutschen Wetterdienst schon auf die Tornadogefahr hingewiesen, weil es für Deutschland eine ungewöhnliche Wetterlage war, mit entsprechend günstigen Zutaten für die Ausbildung von Tornados.
Welche sind das?
Es müssen mehrere Bedingungen gleichzeitig auftreten. Grundvoraussetzung ist eine Schauer- und Gewitterwolke, wie sie im Sommer öfter vorkommt. Das alleine reicht aber zum Glück nicht für die Entstehung eines Tornados. Die Wolkenuntergrenze muss sehr niedrig sein. Sie sollte weniger als 1000 Meter über dem Erdboden liegen. Außerdem muss die Luft unter der Wolke sehr feucht sein, nur dann kann sich der typische Tornadorüssel bilden. Und: Die Luft muss aufsteigen, wobei sich die Windgeschwindigkeit und -richtung vom Boden bis zur Wolke ändern müssen. Meteorologen sprechen von Windscherung. Erst wenn all das zusammenkommt, kann ein Tornado entstehen.
Waren Sie überrascht, dass sich die Tornados in Paderborn und Umgebung gebildet haben?
Nein, dass es diese Tornados gab, hat uns nicht überrascht. Nur, wo diese dann tatsächlich aufgetreten sind, war Zufall. Das kann mit einem Topf Wasser auf der Herdplatte vergleichen: Wenn sie die Platte anstellen, wissen Sie, dass in wenigen Sekunden die ersten Luftblasen hochsteigen, Sie wissen aber nicht wo. Genauso ist es bei einer Gewitterlage in der Atmosphäre: Sie wissen irgendwann gibt es starke Unwetterzellen. Wo diese auftreten, ist zufällig, chaotisch und lässt sich auch nicht vorhersagen.
Müssen wir häufiger mit solchen Phänomen rechnen?
Bisher gibt es dafür keinen Nachweis, dass Tornados aufgrund der Klimaerwärmung zugenommen haben. Weder in den USA noch in Deutschland. Die Zahl schwankt.
Wie schnell bewegt sich ein Tornado?
Gar nicht so schnell. Er zieht ja mit der Wolke, an die er sich angedockt hat. In der Regel sind das zwischen 20 und 60 Kilometer pro Stunde. Das ist aber für die entstehenden Schäden nicht entscheidend. Wichtiger als die Zuggeschwindigkeit ist die Drehgeschwindigkeit. Wenn ein Tornado mit mehr als 200 km/h rotiert und über ein Haus zieht, reichen wenige Sekunden aus, um es zu zerstören.
Weiß man schon etwas über die Stärke des Wirbelsturms?
Die European Severe Weather Database geht im Moment davon aus, dass es bis zu sechs Tornados waren, die sich am Freitag in Ostwestfalen und Südniedersachsen gebildet haben. Noch ist nicht alles ausgewertet. Aber von der Tendenz her sieht es nach einem sogenannten „F2-Tornado“ aus mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 200 Kilometern pro Stunde.
Reichen unsere Warnsysteme aus, um die Bevölkerung zu schützen?
Das Problem ist, dass man den genauen Ort, an dem die Tornados entstehen, nicht vorhersagen kann. Das gilt für Deutschland wie die USA, die sehr viel mehr Erfahrung mit den Wirbelstürmen haben. In den USA liegt die mittlere Vorwarnzeit bei 15 Minuten. Dann heulen die Sirenen und ein spezieller Radiosender des nationalen Wetterdienstes informiert über die Gefahr und die Menschen bringen sich in Sicherheit.
Wie war das in Paderborn, Lippstadt und Höxter?
Ganz ähnlich: Wir haben 15 Minuten vorher eine Unwetterwarnung mit dem Hinweis auf auftretende Tornados herausgegeben. Das Problem in Deutschland ist allerdings: Die Menschen nehmen das nicht ernst oder wissen nicht, wie man sich dann verhält.
Was sollte man denn tun?
Wenn man einen Wolkenrüssel sieht, sollte man schnellstmöglich in den Keller gehen, wenn man einen hat. Auch Räume im Erdgeschoss am besten ohne Fenster bieten einen guten Schutz. Auf keinen Fall sollte man sich ans Fenster stellen und mit dem Handy so lange filmen, bis der Tornado da ist, wie ich das jetzt zigfach gesehen habe. Man darf das nicht unterschätzen. Durch den Tornado können obere Gebäudeteile abgedeckt werden. Eine große Gefahr geht auch von umherfliegenden Trümmerteilen aus, die wie tödliche Geschosse durch Fensterscheiben und sogar Garagentore schlagen können. Wenn man mit dem Auto unterwegs ist, sollte man dem Tornado möglichst ausweichen. Schafft man das nicht, sollte man im freien Gelände eine Mulde suchen und sich flach mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen.
Interview: Jürgen Bröker