Die Landrätin des Kreises Minden-Lübbecke, Anna Katharina Bölling, wird Regierungspräsidentin von Detmold. Foto: Kreis Minden-Lübbecke
12.02.2021

„Manchmal sind wir Frustableiter“

Nach der Kommunalwahl haben viele Rat- und Kreishäuser eine neue Führung bekommen. Etwa 100 Tage nach ihrem Amtsantritt haben wir mit Anna Katharina Bölling, Landrätin im Kreis Minden-Lübbecke, über ihre Erfahrungen gesprochen. 

Ein Start in ein neues Amt unter Coronabedingungen – wie sieht das aus?
Wenn es keine Pandemie gegeben hätte, wäre ich gerne viel mit und bei den Menschen unterwegs gewesen. Ich hätte viele Gespräche geführt. Ich hatte mir außerdem vorgenommen, mit Minipraktika ins Amt zu starten. Sowohl hier in den einzelnen Abteilungen im Kreishaus als auch in der Wirtschaft oder im Handwerk.

Genau solche Dinge hat Corona verhindert.
Leider ja. Alles, was mit Kommunikation und mit dem Zusammentreffen mit den Bürgerinnen und Bürgern zu tun hat, ist im Moment einfach schwierig. Ich habe am 1. November mein Amt mit einer Videokonferenz des Krisenstabes angetreten. Da war ich sofort als Krisenmanagerin gefragt und musste mir gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Krisenstabes Gedanken über Restriktionen zur Eindämmung der Pandemie machen. So hatte ich mir den Einstieg nicht gewünscht.

Ein Start von 0 auf 100 also?
Ich war vorher in Elternzeit und habe jetzt eine 60-Stunden-Woche – das ist schon von 0 auf 100. Aber ich glaube, ein Start in ein solches Amt ist nie langsam. Weil die Wählerinnen und Wähler ja auch zurecht ihre Erwartungen haben, die man gerne erfüllen möchte. Da wären die Tage auch ohne Corona sehr voll gewesen. Aber die Pandemie bringt ständig den Tagesablauf durcheinander. Man kommt nie so durch den Tag, wie man es geplant hat. Immer wieder gibt es neue Sachverhalte, über die man entscheiden muss.

Hat Ihnen der Kontakt zu den Mitarbeitern im Kreishaus beim Start ins Amt gefehlt?
Ja, natürlich. Ich hätte gerne eine Personalversammlung abgehalten oder wäre gerne durch die Flure gegangen und hätte mich in den Ämtern und auch in den Außenstellen vorgestellt. Das ging leider nicht. Im Moment gibt es nur die stark verkürzte Seite meines Amtes: Verwaltungsleitung und Krisenmanagement. Das ist aber nur die Hälfte des Jobs, für den ich gewählt worden bin, er füllt aber den ganzen Tag. Draußen bei den Menschen sein, Repräsentationstermine wahrnehmen, auch mal bei einem Schützenfest dabei sein – all das fehlt.

Bei regelmäßigen Telefonsprechstunden kommt Bölling mit den Bürgerinnen und Bürgern des Mühlenkreises ins Gespräch. Foto: Kreis Minden-Lübbecke

Bei regelmäßigen Telefonsprechstunden kommt Bölling mit den Bürgerinnen und Bürgern des Mühlenkreises ins Gespräch. Foto: Kreis Minden-Lübbecke

Gab es Themen, die Sie gerne schon angepackt hätten, die aber bisher von Corona zurückgedrängt wurden?
Manche Themen gehen ja auch trotz Corona weiter. Zum Beispiel der Breitbandausbau. Im Wahlkampf habe ich mich auch stark auf das Thema Digitalisierung fokussiert. Auch da haben wir jetzt hier im Hause die ersten Schritte gemacht. Wir haben uns die Arbeitsprozesse angesehen, um zu überlegen, was können wir als erstes digitalisieren können.

Hat Corona noch einmal die Dringlichkeit für solche Überlegungen gezeigt?
Ich finde, Corona ist ein Brennglas für viele Entwicklungen in der Gesellschaft. Zum Beispiel sind wir beim Thema Homeoffice mit riesengroßen Schritten weitergekommen. Das wird man auch nicht mehr zurückdrehen können. Wir haben gelernt, dass auch Videokonferenzen funktionieren. Corona hat aber auch gezeigt, dass Verwaltung noch digitaler werden muss.

Wenn Sie auf die ersten 100 Tage im Amt zurückblicken – welche Entscheidungen waren besonders schwierig? 
Mir sind viele Entscheidungen rund um das Thema Corona schwergefallen. Zum Beispiel, immer wieder abwägen zu müssen, wie weit man in Grundrechte eingreifen darf oder muss, um die Bevölkerung zu schützen. Aber auch, wenn ich zur Priosierung der Impf-Reihenfolge angeschrieben werde. Das sind schwierige ethische Entscheidungen, die ich mir so nicht gewünscht hätte und die mich auch nicht glücklich machen. Stolz macht mich der Einsatz der Mitarbeiter in der Coronakrise. Sie leisten wirklich Besonderes. Auch, dass wir in kurzer Zeit mit vielen Partnern ein Impfzentrum aus dem Boden gestampft haben, ist etwas sehr Positives.

Aber gerade zur Vergabe der Impftermine hat es viel Kritik gegeben. Kommt die auch bei Ihnen persönlich an?
Aber ja, es kommt viel Kritik an, für die man selbst oft gar nichts kann. Zum Beispiel bei der Anlieferung des Impfstoffes, bei der Priorisierung der zu impfenden Bevölkerungsgruppen oder auch bei der Vergabe der Termine. Das war alles nicht unser Thema beim Kreis, dennoch machen sich die Menschen hier Luft. Das ist aber auch in Ordnung, ich bin hier schließlich auch Anlaufpunkt für die Bürgerinnen und Bürger des Kreises. Manchmal sind wir auch einfach Frustableiter.

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Sollte die Pandemie in einigen Monaten nicht mehr den Alltag bestimmen, welche Schwerpunkte möchten Sie für 2021 im Mühlenkreis noch setzen?
Die Schwerpunkte ergeben sich aus der Lebensrealität und aus den Anforderungen. Ein großes Thema ist die Digitalisierung und das zweite große Thema, auf das Corona noch einmal das Brennglas gehalten hat, ist eine gut funktionierende medizinische Versorgung. Wir müssen unbedingt daran weiter arbeiten, dass es auch so bleibt. Sowohl ambulant als auch stationär. Ökonomisch ist der Druck auf die Krankenhäuser enorm. Das spüren wir als Träger der Mühlenkreiskliniken natürlich auch. Corona hat die finanzielle Lage vieler Häuser verschlechtert. Da müssen wir ran.

Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen?
Ich wünsche mir, dass wir sehr schnell mit dem Impfen vorankommen. Das wird aber maßgeblich an der Menge des Impfstoffs liegen, die man uns zur Verfügung stellt. Ich habe grundsätzlich Verständnis für die Verlängerung des Lockdowns, finde aber auch, dass die Kinder von den Einschränkungen am meisten betroffen sind. Für sie wünsche ich mir, dass wir sehr schnell wieder Schulen und Kindergärten in einem Regelbetrieb öffnen können. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass wir die Pandemie so weit eindämmen, dass das gewohnte Leben wieder einkehren kann.

Wie meistern Sie mit Ihrer Familie den neuen Alltag?
Ohne meinen Mann könnte ich das alles nicht schaffen. Er ist zuhause mit den Kindern. Wir haben also die Rollen umgedreht (lacht). Manchmal sage ich scherzhaft: Ich weiß nicht, wer den schwierigeren Job hat, mein Mann zuhause mit zwei kleinen Kindern oder ich hier im Kreishaus.

Interview: Jürgen Bröker

Das ist Anna Katharina Bölling: Seit dem 1. November 2020 ist die 40-Jährige Landrätin des Kreises Minden-Lübbecke. Bölling studierte nach ihrem Abitur in Minden an der Universität in Bonn Politik und Geschichte. Sie war anschließend mehrere Jahre in der Konrad-Adenauer-Stiftung tätig. Von 2011 bis 2017 arbeitete sie als Referentin für Gesundheit, Soziales, Frauen, Familie und Kinder, Integration und Europa bei der CDU-Bürgerschaftsfraktion Bremen. Danach war Bölling bis zu ihrer Wahl im September 2020 Sozialdezernentin beim Landkreis Uelzen in Niedersachsen. Die Mindenerin ist verheiratet und hat elf Monate alte Zwillinge.

 

 

 

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