Manfred Bergmann arbeitet für Europa
Europawahl-Serie: Seit 1988 ist Manfred Bergmann EU-Beamter. Der gebürtige Münsterländer hat in Brüssel eine neue Heimat gefunden. Er hat eine Menge über seine Arbeit und das Image der EU zu erzählen.
Die Kontaktaufnahme ist sehr unkompliziert, wenn auch zunächst wortkarg. Gerade einmal sieben Worte und die Uhrzeit benötigt Manfred Bergmann in seiner Mail, um einen Termin für ein Telefoninterview vorzuschlagen. Zeit ist knapp bemessen in seinem Beruf. Bergmann ist seit 1988 Beamter bei der EU-Kommission, inzwischen im Rang eines Direktors. Umso redseliger ist er dann aber im Gespräch.
„Ich habe mich damals sehr für internationale Zusammenarbeit interessiert. Außerdem hatte ich den Kriegsdienst verweigert. Mich hat das Konzept des friedlichen Zusammenlebens in Europa angezogen“, erinnert er sich an seine Anfänge. 1988 – damals war Deutschland noch durch eine Grenze geteilt, an der es verminte Gebiete und Schießbefehl für die DDR-Grenzer gab. Das ist lange her.
Sinn und Unsinn der EU
Bergmann, in Seppenrade geboren, hat Volkswirtschaft in Münster studiert und dort später auch promoviert. Das Thema seiner Dissertation befasste sich mit der rationalen Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten. Vor Schülern hat er dazu einmal gesagt, er habe seine Doktorarbeit über „Sinn und Unsinn der Europäischen Union“ geschrieben.
Seine Arbeit besteht heute unter anderem darin, Vorschläge für Verordnungen zu erarbeiten, über die EU-Parlament und -Rat dann abstimmen. In seinen Zuständigkeitsbereich fielen Regelungen zur Mehrwertsteuer, der Energiesteuer und der Finanztransaktionsteuer. Nicht immer werden die Vorschläge eins-zu-eins übernommen. „Europa funktioniert nur, wenn die Mitgliedsstaaten zu Kompromissen bereit sind“, sagt er. Weil diese dann aber oft nur schlecht in den Mitgliedsländern verkauft würden, hätte die EU ein entsprechend schlechtes Image, so Bergmann.
Mehr „Wir in Brüssel!“
Dabei ärgert es ihn am meisten, dass die Mitgliedstaaten sich selbst und Europa häufig im Weg stehen. Das trage im Kern zur Europaskepsis bei. „Zunächst beschließen sie zum Beispiel hehre Ziele wie beim Klimaschutz und dem Binnenmarkt, und wenn es dann um die Umsetzung geht, wie etwa Energieeinsparungen bei Haushaltsgeräten oder der Finanztransaktionsteuer, dann backen sie kleine Brötchen oder können sich nicht einmal auf eine gemeinsame Marschroute einigen“, sagt Bergmann.
Außerdem distanzierten sich die Politiker in den Mitgliedsstaaten zu leichtfüßig von „denen in Brüssel“. Vor allem, wenn ihnen von der Boulevardpresse oder aus den sozialen Medien ein „Shitstorm“ entgegenwehe. „Dabei sind sie es ja selbst, die diese Entscheidungen getroffen hatten“, so der EU-Beamte weiter: „Da würde ich mir eine Verteidigung und nicht eine Distanzierung von den Beschlüssen erwarten, halt etwas mehr von „Wir in Brüssel!“ und nicht „Die in Brüssel!““.
Schlechtes Image der EU-Beamten
Auch sein Berufsstand sieht sich in der Öffentlichkeit mit Vorurteilen konfrontiert: Brüssel sei ein Verwaltungsmoloch. Zu viele Beamte, die zu wenig leisten, heißt es oft. Aber das Vorurteil ist falsch. Etwa 50.000 Menschen arbeiten für die EU, davon etwas mehr als 30.000 für die EU-Kommission. Angesichts von mehr als 500 Millionen Menschen, die in der EU leben, ist das eine recht kleine Zahl. Zum Vergleich: Allein Nordrhein-Westfalen zählt fast eine Millionen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst bei knapp 18 Millionen Einwohnern.
Bergmann selbst erlebt seine Arbeit als sehr befriedigend. Europa habe schon viel bewegt, sagt er. Vieles davon, betrifft auch den Alltag der Menschen: von Sicherheitsstandards bei Spielplatzgeräten bis hin zu vielen Regelungen im Verbraucherschutz. „Das negative Image Brüssels kommt auch daher, dass die Erwartungen an die EU oft größer sind als das, was sie tatsächlich leisten kann“, sagt Bergmann.
Lebensmittelpunkt in Brüssel
Seit Juli 2016 ist er Direktor der Direktion „Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten I“ in der Generaldirektion „Wirtschaft und Finanzen“. Er ist zuständig für die makroökonomische Analyse von Mitgliedstaaten wie Deutschland und Spanien oder Österreich, Ungarn sowie Zypern. Zu seinen Kollegen zählen daher auch Menschen aus vielen Nationen. In seiner täglichen Arbeit hat er quasi Europa im Kleinformat vor der Bürotür.
Bergmanns Lebensmittelpunkt ist längst in Belgien. Auch seine inzwischen erwachsenen Kinder sind in Brüssel aufgewachsen. In der Anfangszeit sei er noch regelmäßig in die westfälische Heimat gereist, sagt er. Doch das wurde im Laufe der Jahre weniger. Sechs bis sieben Mal pro Jahr, so schätzt er, kommt er noch ins Münsterland. Den Draht in die alte Heimat hat er nicht gekappt. All seine Geschwister wohnen noch dort. Außerdem nimmt er regelmäßig am Münsterlandstammtisch teil, den der EU-Abgeordnete Markus Pieper organisiert. „Dabei geht es darum, sich auszutauschen und anderen EU-Beamten und Abgeordneten das Münsterland näher zu bringen. Wir wollen zeigen, dass Deutschland mehr als Berlin ist“, sagt Bergmann.
Jungen Menschen, die sich für internationale Zusammenarbeit interessieren und die keine Scheu davor haben, Fremdsprachen zu lernen, kann er auch aus heutiger Sicht eine Bewerbung für einen Job in der EU nur empfehlen. „Europe hat Zukunft“, sagt Manfred Bergmann.
Jürgen Bröker