Eine Außeninstallation der Kriwet-Ausstellung im Museum für Westfälische Literatur – Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde. Foto: Dirk Bogdanski
10.03.2021

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Wiederentdeckt: Der in Dortmund aufgewachsene Schriftsteller und Multimediakünstler Ferdinand Kriwet. Porträt eines Künstlers, dessen Performances oft im Eklat endeten.

Ferdinand Kriwet (1942–2018) hatte ein großes Ziel: Er wollte die Literatur aus ihrer Eindimensionalität befreien. An die Stelle traditioneller Vermittlung sollten multimediale Formen – Tonband, Schallplatte, Foto und Film – treten. Seine „Sehtexte“ erschienen auf Außen- und Innenwänden, Teppichen und Schwimmkissen, Fahnen und Fassaden. Er stanzte Wortkombinationen wie „Younguys“ und „Luckyeah“ in Aluminiumblech und druckte seine Texte mit Stempeln, später mit Siebdruck. Seine „Super-Sehtexte“ erschienen auf Plakatwänden oder bedeckten als Meterware Parkwiesen. Heute genießen seine Buttons, „Rundscheiben“, „Neonschriften“ und „Licht-Text-Säulen“ Kultstatus.

Auch in architektonischen Zusammenhängen hinterließ der in Dortmund aufgewachsene Künstler Spuren. Für renommierte Architekturbüros realisierte er Kunst-am-Bau-Projekte und für den Düsseldorfer Landtag das Landeswappen im Plenarsaal. Ähnlich innovativ war Kriwet in der Radiokunst. Er schuf „Hörtexte“, die ebenso wie seine Videoarbeiten in Hinsicht auf Schnitt- und Collagetechnik neue Wege beschritten. Auf der Avantgarde-Ausstellung „Szene Rhein-Ruhr ’72“ füllten seine Werke eine ganze Halle. Spätere Ausstellungsstationen waren u.a. in Berlin, Kassel und New York. Dennoch verstand sich Kriwet nicht in erster Linie als bildender Künstler, sondern als Schriftsteller. Hinter all seinen Texten und Experimenten verbirgt sich eine doppeldeutige, zeitkritische und oft humoristische „Botschaft“.

Erfolgreicher Teenager

Kriwet war das, was gemeinhin als „frühreif“ bezeichnet wird. Schon mit 14 Jahren hegte der in Düsseldorf geborene Künstler ernsthafte schriftstellerische Ambitionen, verfasste selbstreflexive und serielle Texte mit bleibender Nähe zur Konkreten und Visuellen Poesie. Mit 15 veröffentlichte er sein erstes Gedicht in der Anthologie „Orpheus“. Zwei Jahre später folgten Abdrucke seiner Texte in der Münchener Kunstzeitschrift „nota“. Diese stand dem Düsseldorfer Künstlerkreis Zero nahe, an dem sich Kriwet in frühen Jahren orientierte.

Prägender war jedoch das Eigenschöpferische. Kriwets Potenzial schien grenzenlos, eine konzeptionelle Idee erschuf die nächste. Es erstaunt, wie selbstbewusst und zielstrebig er seine Kontakte aufbaute. Er trat nicht etwa an Kleinverlage heran, sondern wandte sich gleich an das damals bedeutendste deutsche Literaturhaus, Suhrkamp. Dass der 18-Jährige von Hans Werner Richter, dem Vater der Gruppe 47, zur Tagung „Das literarische Hörspiel“ nach Ulm eingeladen wurde, versetzt ebenso in Erstaunen wie die Editionsgeschichte seines assoziativen „Rundbuchs ohne Anfang und Ende“, „Rotor“, das eine Kindheit und frühe Jugend in Düsseldorf nach dem Zweiten Weltkrieg spiegelt. Es erschien im renommierten Kölner DuMont Verlag.

In der Kriwet-Ausstellung. Foto: Bettina Brach

In der Kriwet-Ausstellung. Foto: Bettina Brach

Der Teenager erschloss sich im Eiltempo nicht nur einen umfassenden Literaturkosmos, sondern auch weitere neue Arbeitsfelder in Bereich der Typografie und akustischen Kunst. Im „Schneeballsystem“ knüpfte er Bekanntschaft mit Avantgardisten wie Franz Mon, Max Bense und Helmut Heißenbüttel. Daneben fand er Zugang zur Literatur- und Musikszene in Köln, Frankfurt, Heidelberg und Darmstadt. Bereits mit 20 Jahren inszenierte das damals durch Kurt Hübner berühmte Ulmer Theater eines seiner Stücke, mit 21 war seine erste Ausstellung in einer Düsseldorfer Galerie zu sehen.

Mitglied der Düsseldorfer Kunstszene

Ende der 1960er Jahre war Kriwet eines der jüngsten Mitglieder der bundesweit wahrgenommenen Düsseldorfer Kunstszene. Sie traf sich in der Düsseldorfer Diskothek Creamcheese, die von 1967 bis 1976 existierte und deren Interieur Kriwet maßgeblich künstlerisch mitgestaltet hatte. Sie ging auf Andy Warhols Idee zurück, Pop-Musik und Kunst zu verbinden. Joseph Beuys, Anatol Herzfeld und Günther Uecker waren Stammgäste. Das Lokal war durch seinen progressiven Musiksound bekannt. Zu hören und sehen waren bekannte Bands wie Pink Floyd, Supertramp, Genesis, Deep Purple oder Frank Zappa, der mit seinem Song „Son of Suzie Creamcheese“ den Namen für den Insidertreff lieferte.

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1968 legte Kriwet sein „Manifest zur Umstrukturierung des Ruhrreviers zum Kunstwerk“ vor. Er forderte darin, dass endlich Schluss sein müsse mit einer „falschen Romantisierung der Ruhr-Tristesse“: „Als größte künstliche Landschaft Europas hat das Ruhrrevier die Chance zum größten Kunstwerk der Welt zu werden.“ Beteiligen sollten sich Maler, Bildhauer, Architekten, Städteplaner, Techniker, Ingenieure, Psychologen, Soziologen, Politiker, Gewerkschafter, Dichter, Musiker, Filmer, Regisseure, Arbeiter und Unternehmer. Die Kunstaktion zeigt einmal mehr, dass es dem Autodidakten nicht an Selbstbewusstsein fehlte. Der Senkrechtstarter des Kunstbetriebs galt damals als Fixstern am Himmel der Pop-Art und Beat-Literatur. Viele westfälische Underground-Autoren bezogen sich auf ihn, etwa Frank Goehre oder Wolfgang Körner. Kriwets Sehtexte, „Textfilme“ und seine anarchischen Radio-Collagen wurden als Befreiung empfunden. Kriwet eröffnete der Literatur neue Ausdrucksformen.

Pop-Art und Beat-Literatur

Seine Performances waren damals keineswegs unumstritten. Oft endeten sie im Eklat. Das bekannteste Beispiel hierfür ist Kriwets Auftritt bei den Essener Songtagen 1968, als seine monumentale Mixed-Media-Show völlig aus dem Ruder lief. Angeblich habe man den Künstler anschließend mit Knüppeln aus dem Saal vertreiben wollen. In die kritischen Stimmen mischte sich jedoch auch Zustimmung, die das Innovative seines Gesamtkonzepts würdigte.

Nach einer Phase ungemeiner Produktivität und zahllosen Ausstellungen und Aktionen wurde es stiller um Kriwet. Mitte der 1970er Jahre zog er sich aus dem Kunstbetrieb und der Öffentlichkeit zurück, lebte 14 Jahre in der Eifel und sieben Jahre in Ostfriesland, später in Dresden. 2004 wurde er von der Berliner Galerie BQ wiederentdeckt. Zu weiteren Auseinandersetzungen kam es in den 2010er Jahren, wobei vor allem die 2011 gezeigte große Ausstellung „Yester’n’Today“ in der Düsseldorfer Kunsthalle zu nennen ist.

Walter Gödden

Cover des Kriwet-Lesebuchs. Foto: Aisthesis-Verlag

Cover des Kriwet-Lesebuchs. Foto: Aisthesis-Verlag

Das Museum für Westfälische Literatur – Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde und das Düsseldorfer Heine-Institut widmen dem Künstler jetzt eine Doppelausstellung. Konzipiert wurde sie von Bettina Brach, die Kriwets Archiv und Nachlass betreut. Zugleich hat die Kunsthistorikerin ein Ferdinand-Kriwet-Lesebuch zusammengestellt, das anhand ausgewählter Texte Einblick in Leben und Werk des Künstlers gewährt (Aisthesis-Verlag: Bielefeld. 169 Seiten. 8,50 Euro. ISBN 978-3-8498-1568-4). Infos zur Ausstellung in Oelde (bis 10. April) unter www.kulturgut-nottbeck.de

Dieser Test erschien zuerst in Heft 1/2021 des WESTFALENSPIEGEL. Gerne senden wir Ihnen zwei Ausgaben im Rahmen unseres Probeabos kostenlos zu. Dazu klicken Sie einfach hier.

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