Meister der „Fliegenden Bauten“
Heute eröffnet die 678. Allerheiligenkirmes in Soest. Die Fahrgeschäfte des Bochumer Ingenieurs Werner Stengel sorgen für Nervenkitzel.
Als „Achterbahn-Guru“, „Pate des organisierten Erbrechens“ oder „Master of the Loop“ wurde er ehrfurchtsvoll bezeichnet: Seine Erfindungen tragen nicht weniger schillernde Namen wie „Olympia Looping“ oder „Wilde Maus“, die beide auf dem Oktoberfest in München stehen. Hier begann auch die außergewöhnliche Karriere des 1936 geborenen Werner Stengel aus Bochum. Stengel schloss 1962 sein Studium zum Bauingenieurwesen ab, heiratete und zog mit seiner Frau nach München, weil er noch Bauingenieurwesen mit Abschluss Diplom studieren wollte. „Da ich nicht mit goldenen Löffeln geboren wurde, musste ich in den Semesterferien als Baustatiker arbeiten“, erinnert sich Stengel. Im Ingenieurbüro, bei dem er tätig sein konnte, lag ein Auftrag der Firma Schwarzkopf für einen Autoscooter von den Schaustellern Schippers und van der Ville aus Hamburg vor. „Jeden Montag, wenn Herr Schwarzkopf ins Büro kam, wurden die Pläne auf den Tisch gelegt, und Herr Schwarzkopf erklärte, wie schwierig alles sei. Da habe ich den Chef gefragt, ob ich den Autoscooter für ein Wochenende mit nach Hause nehmen dürfe.“ Am Montagmorgen legte Stengel einen Plan für den Autoscooter vor. Herr Schwarzkopf sei „positiv überrascht aus allen Wolken“ gefallen. „Meine Berechnungen gingen glatt durch die TÜV-Prüfung“, blickt Werner Stengel zurück.

Der „Olympia-Looping“, hier auf dem Münchner Oktoberfest, ist nach den Ideen Werner Stengel entstanden. Und sorgt regelmäßig für kreischende Fahrgäste. Foto: movemotions.de/Wolfgang Payer
Der Selfmade-Achterbahnkonstrukteur gründete ein eigenes Ingenieurbüro für Baustatik in München. Bis heute ist sein Büro an der Konstruktion von über 800 Achterbahnen, 500 Karussellen, 30 Riesenrädern, Wasserbahnen, Kinderfahrgeschäften und Monorails beteiligt. Es gilt als eines der führenden Büros weltweit bei sogenannten „Fliegenden Bauten“. Mehrere bedeutsame Erfindungen Werner Stengels haben es erst ermöglicht, dass moderne Achterbahnen überhaupt gebaut und betrieben werden können. So konstruierte er die erste Stahl-Achterbahn 1964 für das Oktoberfest München, erdachte den ersten gefahrlos fahrbaren Looping und führte die Herzlinie bei der Konstruktion von Achterbahnen ein – das ist der gedachte Weg, den das Herz eines Passagiers während einer Achterbahnfahrt zurücklegt. Mit diesem Prinzip gelingt es, körperliche Belastungen für die Fahrgäste zu verringern. Immer noch erinnert sich Stengel gerne an die Anfangszeit zurück, an seine erste Achterbahn, die „Super 8“: „Beziehungen zu Schaustellern hatte ich vorher nicht, aber nach der Eröffnung der ersten Super 8 saß ich jeden Abend im Wohnwagen der Schausteller Schippers und van der Ville. Durch den wirtschaftlichen Erfolg und das große Interesse des Publikums habe ich meine berufliche Zukunft auf ‚Fliegende Bauten‘ gerichtet. Davor hatte ich mich als Brückenbaustatiker gesehen.“
Diesen Artikel und weitere interessante Beiträge lesen Sie in Heft 5/2025 des WESTFALENSPIEGEL mit dem Schwerpunkt Essen und Genießen.
Werner Stengel ist wahrlich ein Daniel Düsentrieb des Vergnügungsgeschäftes, und er war ein Pionier: „Beruflich gab es keine Vorbilder für mich. Knowhow und Erfindergeist kamen durch Learning by Doing. Auf den Olympia Looping bin ich besonders stolz, und es macht einen glücklich, Menschen Spaß zu bereiten.“ Weltweit wurde Stengel mit Ehrungen überhäuft, unter anderem wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und bekam die Ehrendoktorwürde der Universität Göteborg. In den USA wurde er in die „Hall of Fame“ der International Association of Amusement Parks and Attractions (IAAPA) aufgenommen. Das Motto „Höher–Schneller–Verrückter“ gelte immer noch, so Stengel: „Den Amerikanern kann es auf einer Achterbahn nicht zu hoch, zu schnell und zu wild sein. Und in Saudi-Arabien wird bald eine Achterbahn eröffnet mit 195 Metern Höhe und einer Geschwindigkeit von 250 Stundenkilometern. Wo der Trend der Kirmes hingeht, weiß ich nicht.“ Werner Stengel ist bescheiden, und doch wären ohne ihn die Cranger Kirmes oder der Münsteraner Send garantiert langweilige „Entenrennen“!
Matthias Schröder
Kirmesvergnügen
Mit den fallenden Temperaturen steigt bei Kirmesfans die Vorfreude: Im Herbst finden in Westfalen gleich mehrere große Jahrmärkte statt. Zum Beispiel in Soest, wo die 687. Soester Allerheiligenkirmes zum Flanieren in der Altstadt einlädt. Vom 5. bis 9. November locken mehr als 300 Schausteller mit ihren Attraktionen, vom „AirWolf“ für Wagemutige bis zum familienfreundlichen „Happy Sailor“.