
Missbrauchsvorwurf gegen Kardinal
Missbrauchsvorwürfe gegen den Gründerbischof des Bistums Essen Franz Hengsbach: Es geht um „gravierende“ Vorfälle aus den 1950er bis 1970er Jahren, so das Ruhrbistum. Der amtierende Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck räumte Fehler im Umgang mit den Vorwürfen gegen Hengsbach ein. Die Hengsbach-Skulptur auf dem Domhof in Essen soll entfernt werden.
Die Missbrauchsvorfälle sollen sich in Essen und Paderborn ereignet haben. Der 1910 im sauerländischen Velmede geborene Hengsbach war seit Gründung des Ruhrbistums 1958 bis zu seinem Todesjahr 1991 der erste Bischof von Essen, zuvor hatte er das Erzbischöfliche Seelsorgeamt in Paderborn geleitet und war dort Weihbischof, so das Ruhrbistum.

Der erste Essener Bischof Franz Hengsbach. Foto: Martin Engelbrecht/Bistum Essen
In einer schriftlichen Erklärung erläutert Overbeck, dass ein anonymer Hinweis im Oktober 2022 den Impuls zu den aktuellen Ermittlungen gegen den Kardinal gegeben habe. Darin habe die Person zu Protokoll gegeben, „dass sie einen sexuellen Übergriff durch Kardinal Hengsbach im Jahr 1967 erlitten habe“, heißt es in dem Schreiben. Im Zuge weiterer Nachforschungen wurde bekannt, dass ein Missbrauchsvorwurf in Paderborn aus dem Jahr 1954 gegen Hengsbach bekannt war. Darin werden Franz Hengsbach und sein Bruder Paul, ebenfalls Diözesanpriester des Erzbistums Paderborn, gemeinsam beschuldigt, eine minderjährige Jugendliche sexuell missbraucht zu haben.
Bistum macht Vorwürfe öffentlich
Die Vorwürfe dort gehen auf eine Frau zurück, die sich 2011 bei der Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums Paderborn gemeldet hatte, heißt es weiter. Nach einer Befragung des damals noch lebenden Paul Hengsbach wurden die Vorwürfe als nicht plausibel angesehen. Nun schreibt das Erzbistum Paderborn dazu: „Aus heutiger Perspektive und nach erneuter Prüfung des Personalaktenbestands von Paul Hengsbach, die mittlerweile auch durch Mitglieder der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Erzbistum Paderborn erfolgt ist, muss die damalige Plausibilitätsbeurteilung leider deutlich in Frage gestellt werden.“
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Auch Overbeck wusste damals von den Anschuldigungen in Paderborn gegen Hengsbach. Nun räumte er in einem Brief an die Gemeinden seines Bistums Versäumnisse im Umgang mit diesen Vorwürfen ein. „Ich bitte Sie nun alle um Entschuldigung für meine Fehler”, schrieb Overbeck. Er habe 2011 nach der Rückmeldung der Kongregation für die Glaubenslehre, dass diese die Vorwürfe für nicht plausibel halte, nichts weiter unternommen, weil er den Fall als bearbeitet ansah. Deshalb habe er auch ein Forschungsteam nicht auf diesen Vorgang aufmerksam gemacht, das die im März vorgestellte Aufarbeitungsstudie zu sexuellem Missbrauch im Bistum Essen erarbeitet hat.
„Vorwurf ist neu zu bewerten“
„Im Ergebnis muss ich nun eingestehen, dass die Vorwürfe im Jahr 2011 falsch eingeschätzt wurden und den Betroffenen Unrecht geschehen ist“, betont Overbeck in seinem Schreiben. Mit dem Wissen aus einem weiteren Missbrauchsvorwurf, der im März dieses Jahres intensive Recherchen ausgelöst hat, „ist der Vorwurf aus dem Jahr 2011 aus gutem Grund vollkommen neu zu bewerten“, so Overbeck.

Eine Statue vor dem Essener Dom erinnert an den ersten Ruhrbischof Kardinal Hengsbach Sie soll alsbald entfernt werden. Foto: Bistum Essen
Daher sah sich das Bistum Essen nun auch veranlasst, die Vorwürfe öffentlich zu machen. Kardinal Hengsbach war im Bistum Essen hoch angesehen. Er gilt als Gründer des Lateinamerika-Hilfswerks „Adveniat“ und war Träger des Bundesverdienstkreuzes. Daher schreibt Bischof Overbeck: „Mir ist dabei sehr bewusst, was diese Entscheidung, die ich nach gründlicher Abwägung der gegenwärtig zur Verfügung stehenden Erkenntnisse getroffen habe, bei vielen Menschen auslösen wird, die Kardinal Hengsbach als geschätzten Gründerbischof unseres Ruhrbistums in Erinnerung haben.“
Overbeck ermutigte zugleich weitere Betroffene, sich zu melden: „Sollten Sie selbst sexualisierte Gewalt durch Kardinal Hengsbach erlitten haben, dann wenden Sie sich bitte an die beauftragten Ansprechpersonen im Bistum Essen. Das Gleiche gilt auch, wenn Ihnen Hinweise bekannt sind, die für die weitere Aufarbeitung hilfreich sein können.“
In einem Punkt hat das das Bistum entschieden, Fakten zu schaffen. Die Skulptur für Hengsbach auf dem Essener Domhof soll alsbald entfernt werden, haben Domkapitulare am Freitagnachmittag einstimmig entschieden. Stattdessen wolle man einen Gedächtnisort für Betroffene sexuellen Missbrauchs schaffen, kündigt Domprobst Thomas Zander an.
jüb, wsp