Mit Herz und Verstand
Tischmanieren können zu Weihnachten nicht schaden. Knigge-Trainerin Birte Steinkamp spricht im Interview über Benimmregeln am Tisch und darüber, was man unter gutem Benehmen versteht.
Adolph Knigge hat von 1752 bis 1796 gelebt. Sind seine Benimmregeln heute nicht veraltet?
Adolph Knigge wird häufig als Regel-Onkel missverstanden. Er hat aber nie Regeln aufgestellt, wo welches Besteck liegen soll. Sein Hauptwerk heißt „Über den Umgang mit Menschen“. Und genau darum geht es. Knigge ist eine Geisteshaltung. Es geht um Herzensbildung, Wertschätzung und Achtsamkeit. Und das ist wichtiger denn je.
Was heißt heutzutage denn gutes Benehmen?
Man muss sich immer klarmachen: Wir alle brauchen einander, damit die Welt funktioniert. Daher sollte man auf andere Menschen achten, aufmerksam sein. Das heißt zum Beispiel: sich nicht vordrängeln, anderen Menschen die Tür aufhalten, jemandem im Bus seinen Sitzplatz anbieten, einfach einem anderen Menschen etwas Gutes tun. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, aus einer inneren Haltung herauskommen. Und es bedeutet, ganz bewusst mal auf das Wohl der anderen zu achten, anstatt den Blick nur auf sich selbst zu richten.
Wie sieht es denn mit dem Benehmen bei Tisch aus? In Familien isst man häufig nicht mehr gemeinsam – oder der Fernseher läuft dabei. Es wird mit dem Handy hantiert, auch in Restaurants. Finden Sie das problematisch?
Auf jeden Fall. Wir opfern gemeinsame Zeit und verlernen, uns ganz bewusst mit einer einzigen Sache zu beschäftigen. Wir jammern alle, wir hätten zu wenig Zeit miteinander. Dabei ist es ganz einfach, etwas zu ändern. Auch den Tag am Abendbrottisch gemeinsam zu beenden, dient einem aufrichtigen Miteinander. Das gemeinsame Essen ist die perfekte Bühne, einander zuzuhören. Ich stelle sogar den Coffee to go in Frage. Wir schaffen es tatsächlich, Angenehmes mit Hektik zu verbinden: Wir haben Kaffeepause – aber wir rennen noch dabei!
Ich habe als Kind gelernt: Nicht mit den Ellenbogen aufstützen, die Hände gehören auf den Tisch. Gilt das heute noch?
Beides stimmt. Man legt die Hände während des Essens nur bis zum Knöchel auf den Tisch. Zwischen den Gängen darf es etwas bequemer zugehen. Ellenbogen auf dem Tisch wirken auch heute noch burschikos, ebenso ein gebeugter Rücken. Und wenn ich nur mit einer Hand esse, ist die Gefahr des Kleckerns größer. Gutes Benehmen heißt ja: Was mache ich für einen Eindruck? Wie kann ich anderen die Zeit mit mir am Tisch schön machen? Und dazu gehört, wenig Geräusche beim Essen zu erzeugen, nicht mit Besteck zu gestikulieren, Weingläser am Stiel anzufassen und ruhig mal die Serviette zu benutzen.
Dieser Beitrag ist aus Heft 5/2022 des WESTFALENSPIEGEL. Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Gerne senden wir Ihnen im Rahmen unseres Probeabos zwei kostenlose Ausgaben des Magazins zu. Hier geht es zum Probeabo.
Stichwort Serviette: Wie benutzt man sie genau?
Eine Serviette wird gleich zu Beginn gebrochen und locker zusammengefaltet und mit der Öffnung zum eigenen Bauch auf den Schoß gelegt. Man tupft sich mit der Innenseite ab, so kann man Flecken von oben nicht sehen. Nach dem Essen legt man sie links neben den Teller. Gleiches gilt für die Papierserviette. Bitte nicht zerknüllt auf den Teller legen, schon aus Respekt vor dem Servicepersonal, das die Essenreste von der Serviette getrennt entsorgen muss. Man sollte also auch im Biergarten praktisch denken.
Sind die Tischsitten also nicht abhängig vom Restaurant?
In einem Fast-Food-Restaurant muss ich nicht unbedingt mit Besteck essen, aber es schadet auch nicht, den Speisen gegenüber genauso Respekt zu zollen wie in einem Zwei-Sterne-Restaurant. Das heißt: Wenn eine Pommes runterfällt, kann ich sie aufheben. Und ich kann auch hier die Serviette benutzen und nicht denken: Nach mir die Sintflut. Es sollte immer eine Tischkultur erkennbar sein.
Eine Essenseinladung beim Chef oder der Chefin zuhause oder ein Rendezvous: Wie verhalte ich mich jeweils richtig?
Grundsätzlich gilt: Jeder Mensch verdient den gleichen Respekt am Tisch. Und es geht immer darum, den bestmöglichen Eindruck zu hinterlassen. Das beginnt mit der Frage: Was ziehe ich an? Und hört auf mit der Frage: Wie viel Alkohol trinke ich? Wenn man zu zweit romantisch essen geht, steht die schöne Zeit im Fokus, beim Geschäftsessen der Businesstalk. Zu wissen, wie man Hummer isst oder welches Glas man benutzt, ist förderlich, aber nicht kriegsentscheidend.
Wie reagiert man denn, wenn das Gegenüber in ein Fettnäpfchen tritt – oder man selbst?
Ruhe und Humor bewahren! Wenn mir das Glas Rotwein über den Tisch kippt, sind erstmal alle froh, dass es ihnen nicht passiert ist. So ein Missgeschick sagt nichts darüber aus, ob ich ein guter Mensch bin. Mein Rat: Cool bleiben, keine große Sache daraus machen. Wenn ich meiner Gastgeberin die Tomatensuppe auf die Bluse kippe, bitte ich natürlich um Entschuldigung und biete die Reinigung an.
Haben Sie noch einen Tipp für ein gutes Gespräch bei Tisch?
Themen wie Politik, Religion und Intimes sind tabu. Das Tischgespräch sollte Nähe schaffen und Sympathie erzeugen. Man sollte Gemeinsamkeiten suchen. Meist schafft der Anlass der Einladung einen guten Anknüpfungspunkt. Jeder sollte die Möglichkeit bekommen über etwas zu sprechen, das ihn interessiert. Und je sicherer ich bei den Umgangsformen bin, desto mehr kann ich mich auf andere Menschen einlassen und mit ihnen eine gute Zeit haben.
Interview: Sabine Müller