Mit Schaufel, Pinsel und Kratzer
Vor 125 Jahren wurden die ersten archäologischen Ausgrabungen in Haltern durchgeführt. Im Interview spricht der Leiter des LWL-Römermuseums Haltern am See, Dr. Josef Mühlenbrock, über Ausgrabungen gestern und heute und verrät, dass Interessierte in diesem Jahr selbst an den Arbeiten teilnehmen dürfen.
Was waren bisher die bedeutendsten Funde aus Haltern?
Da fällt mir auf jeden Fall die Adlerlampe aus Bronze ein. Ein wichtiger und nach wie vor ikonischer Fund. Dabei handelt es sich um einen vollplastischen Adler, der als Öllampe fungierte. In Haltern wurde aber auch das Pfostenloch „entdeckt“. Das klingt nicht so spektakulär. Doch man konnte nachweisen, dass ein Pfostenloch die gleiche Bedeutung als historische Quelle hat, wie eine schriftliche Quelle von Tacitus über die Zeit, als die Römer versucht haben, das Land zu einer römischen Provinz zu machen.
Wie ist man vor 125 Jahren auf die Idee gekommen, in Haltern nach Funden aus der Römerzeit zu graben?
Eigentlich hat man schon eher vermutet, dass dort im Boden bedeutende Funde liegen könnten. Erste Hinweise gibt ein Briefwechsel aus dem Jahr 1816. Aus dem Jahr 1834 gibt es zudem einen Zeitungsartikel, der davon berichtet, dass man bei Bauarbeiten am Annaberg in Haltern auf verschiedene Funde aus Römerzeit gestoßen sei.
Aber richtig gegraben hat man dann erst 1899.
Ja, genau. Das war eine kurze Grabung, die nur fünf Tage gedauert hat. Dort hat die Altertumskommission für Westfalen versucht, dem Geheimnis des Annabergs auf die Spur zu kommen. Hierzu konnte man einen der namhaftesten Archäologen seiner Zeit aus Nord-Westdeutschland gewinnen, Dr. Carl Schuchhardt. Dieser hat dann auch den ersten Spatenstich auf dem Annaberg gemacht.
Was hat man damals dort vermutet?
Man glaubte, dort ein Römerlager zu finden. Das ist aber in allen folgenden Generationen von Archäologen sehr kritisch gesehen und hinterfragt worden. Schuchhardt hat dort vermeintlich römische Funde gemacht. Heute vermutet man, dass diese nicht direkt vom Annaberg stammen, sondern von einem Hang, der in Richtung Haltern liegt. Dort gibt es ein römisches Gräberfeld.
Was weiß man über die Ausgrabungstechniken vor 125 Jahren?
Vom Handwerk her hat sich gar nicht viel verändert. Aber natürlich setzt man heute zum Beispiel einen Bagger ein, der erst einmal die Humusschicht abzieht, bis man zu den Schichten gelangt, die für die Archäologie interessant sind. Wenn es aber um die Feinheiten geht, sind auch heute noch Schaufel, Pinsel und Kratzer angesagt.
Hat man damals schon dokumentiert?
Ja, die Ausgrabungen wurden in Zeichnungen und Fotos festgehalten. Heute hilft uns da die Technik und die Digitalisierung. Wir können mit Drohnen Aufnahmen aus der Luft machen oder mit einem Klick mit Hilfe eines Tachymeters die Ausgrabungsstelle vermessen. Das musste man früher mit Maßband und Zollstock machen.
Welche Bedeutung hat die Ausgrabung von 1899 für Haltern?
Carl Schuchhardt hat dazu selbst einmal geschrieben: „Im Juni 1899 war auf dem St.-Annenberge der erste Zipfel gefasst von dem großen Tafeltuche, mit dem sich die Römer den germanischen Tisch zu decken gedachten.“ Selbst wenn Schuchhardt kein Römerlager entdeckt hat, sondern etwas anderes, war doch seine Untersuchung der Beginn von etwas ganz Bedeutendem. Denn die Römerlager hier in Haltern gehören zu den am besten erforschten römischen Militäranlagen aus der Zeit des Kaisers Augustus. Das ist ein Pfund, das wir in Haltern haben und bewahren wollen.
Wie geht es mit den Ausgrabungen in Haltern am See weiter?
Der Boden hält immer noch Überraschungen bereit. So ist ja 2019 im römischen Gräberfeld noch einmal ein kompletter Dolch mit einem Gürtel zu Tage gekommen. Das zeigt, es stecken immer noch spannende Funde in der Erde. In diesem Jahr werden wir erneut in dem Bereich hinter dem Römermuseum graben. Wir vermuten in diesem Areal eine römische Kaserne mit einem Zenturionenhaus, also mit einem Wohnhaus des befehlshabenden Offiziers. Wenn wir dem in diesem Sommer etwas näher kommen könnten, wäre das wirklich ein großer Fortschritt.
Welche Aktionen sind in diesem Jahr noch geplant?
Wir wollen an unseren Ausgrabungen auch Besucherinnen und Besucher beteiligen. Auch Aktionen für Kinder sind geplant. Außerdem möchten wir das Programm „Grabungshelfer gesucht“ starten. Denn selbst wenn der Sand aus der Erde geholt ist, muss er noch untersucht werden. Er wird gesiebt oder auch geschlämmt, um mögliche Funde zu bergen, die noch im Sand stecken. Wir hoffen, dass viele, die dort mitmachen, auch einen Indiana-Jones-Moment erleben und tatsächlich etwas entdecken.
Interview: Jürgen Bröker, wsp
Zum 125. Jubiläum der Ausgrabungen in Haltern am See findet am Freitag, 19. April, ein besonderer Nachmittag, organisiert von der Altertumskommission für Westfalen des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL). In Vorträgen geht es ab 14 Uhr um die Geschichte der Ausgrabungsstätten in der Seestadt. Unter anderem stellt Museumsleiter Dr. Josef Mühlenbrock die Forschungsgeschichte zu den archäologischen Untersuchungen in Haltern vor. Außerdem werden Führungen angeboten.