
„Mit und nicht gegen uns“
Die Landwirte in Westfalen profitieren durch die Europäische Union. Zugleich haben sie aber auch mit der zunehmenden Bürokratisierung zu kämpfen. Ein Gespräch mit dem Präsidenten des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands (WLV) Hubertus Beringmeier über den Geldfluss aus der EU und die Wünsche an das neue EU-Parlament.
Die Agrarpolitik ist mit rund 55 Milliarden Euro einer der größten Posten im EU-Haushalt – was kommt davon in der Region an?
Die Direktzahlungen, die nach Deutschland fließen, umfassen 4,3 Milliarden Euro, davon kommen 240 Millionen Euro auf die Betriebe in Westfalen-Lippe. Aber das Geld ist gebunden an bestimmte Auflagen. Es fließt also nur, wenn bestimmte Maßnahmen, insbesondere für den Umwelt und Naturschutz, ergriffen werden. Einige wenige Betriebe verzichten wegen der damit verbundenen Kosten auf die Zuschüsse aus diesem Topf. Man muss aber schon sagen, dass die Mittel der EU dazu beitragen, dass wir im internationalen Vergleich bestehen können. Zusätzlich zu den Direktzahlungen fließen auch noch etwa 60 Millionen Euro nach Westfalen-Lippe in die sogenannte zweite Säule. Da geht es aber nicht nur um Landwirtschaft, sondern auch zum Beispiel um Dorferneuerungsprogramme.
Das meiste Geld bekommen die großen Betriebe, weil die Mittel nach Fläche ausgegeben werden. Ist das gerecht?
Nun ja, zunächst einmal gibt es eine Umverteilungsprämie zugunsten kleiner und mittlerer Betriebe. Und das System lässt sich auch nicht von heute auf morgen auf den Kopf stellen. Aber neben dem Trend, dass es das Geld immer häufiger nur für erbrachte Leistungen gibt, stellen wir auch fest, dass mehr kleinere Betriebe profitieren. Außerdem gibt es Programme für Junglandwirtinnen und Junglandwirte. Da ist in den vergangenen Jahren auch durch die Initiative des Bauernverbands in diese Richtung umgeschichtet worden.
Westfalen gilt als Region der Schweinehalter. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Betriebe aber zurückgegangen, weshalb?
Ich will das Ausmaß mal mit einer Zahl deutlich machen: Wir haben in den vergangenen fünf Jahren 30 Prozent der Schweinhaltungsbetriebe in der Region verloren. Das hängt auch mit der Wirtschaftlichkeit zusammen. Wir hatten durch Corona schwierige Jahre, die schwere Marktverschiebungen nach sich gezogen haben. Aber es hängt auch damit zusammen, dass wir in Deutschland hier in einigen Bereichen höhere Anforderungen an die Tierhalter haben, als das EU-weit der Fall ist.
Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen Sie das Tierhaltungskennzeichnungsgesetz. Hier sind die deutschen Standards deutlich höher als in anderen EU-Mitgliedstaaten. Hinzu kommt, dass sich die gesetzliche Lage stetig weiterentwickelt und dass der Standard heute nicht der Standard von morgen ist. Daher fehlt es uns an Planungssicherheit für notwendige Investitionen. Wenn ein Tierhalter an der Initiative Tierwohl teilnimmt und vor drei Jahren einen Stall für die Tierhaltungsform 2 gebaut hat, dann werden die damals verabredeten Standards heute schon wieder ganz anders definiert. Sein neuer Stall fällt unter Umständen schon wieder aus dieser Tierhaltungsform heraus.
Der Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir will den ökologischen Umbau der Landwirtschaft vorantreiben, unterstützen das die Bauern in der Region?
Wir sind für die landwirtschaftliche Vielfalt. Die ökologische Landwirtschaft wächst auch in Westfalen-Lippe. Aber man kann nicht von oben herab politisch verordnen, dass 30 Prozent der Betriebe ökologisch arbeiten sollen. Für die Produkte muss es auch einen Markt geben. Wenn die Verbraucher das nachfragen und es sich wirtschaftlich lohnt, werden auch weitere Betriebe umstellen.
Bei der Europawahl werden alle fünf Jahre die Mitglieder des Europäischen Parlaments gewählt. Wir blicken aus westfälischer Perspektive auf die Wahl am 9. Juni. Hier geht es zur Serie „Westfalen wählt Europa“.
Die Landwirte klagen seit Jahren über eine zunehmende Bürokratisierung. Was sagen Sie?
Wir brauchen auf jeden Fall eine Vereinfachung. Man kann nicht einfach vom Schreibtisch aus Vorgaben zum Beispiel für mehr Biodiversität machen. Im Rahmen der Mindestbegrünung gab es eine Vorschrift, dass Flächen bis zum 15. November grün sein müssen. Im letzten Herbst hatten wir aber das Phänomen, dass ein Großteil der Flächen unter Wasser stand, da kann man nicht mit schwerem Gerät auf den Acker fahren und Getreide aussäen, damit dort wieder etwas wächst. Die Regelung hat man inzwischen zurückgenommen. Nicht falsch verstehen: Wir Landwirte sehen, dass wir den Klimawandel bekämpfen und mehr für Biodiversität tun müssen und unterstützen das, aber dann bitte mit und nicht gegen uns.
Sie haben drei Wünsche für die Arbeit des nächsten EU-Parlaments frei, welche sind das?
Der erste Wunsch wäre, mit uns aktiv in den Austausch zu kommen und mit uns eine Strategie zu entwickeln, wie man die Flächenbewirtschaftung gestalten kann. Dazu gehört für mich auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Der zweite Wunsch wäre, dass wir vernünftige Rahmenbedingungen für die Tierhaltung bekommen. Und als drittes würde ich mir wünschen, dass die sehr starren Regeln beim Thema Düngung und Bewässerung einzelbetrieblich geregelt werden können.
Und mit welchen Erwartungen blicken die Landwirte aus Westfalen-Lippe auf die Europawahl?
Wir Landwirte wissen natürlich, was wir an Europa haben: Die EU bedeutet Frieden, Stabilität und Wohlstand für uns. Deshalb hoffen wir vor allem, dass sich eine stabile Mehrheit für die demokratischen Werte findet.
Interview: Jürgen Bröker