Münster als Bastion gegen Rechts
Im Interview analysiert der Münsteraner Politikwissenschaftler Prof. Norbert Kersting die Ergebnisse der Europawahl und erklärt, welche Auswirkungen der Rechtsruck in Europa haben könnte.
Wie ordnen Sie das Ergebnis der EU-Wahl ein?
Schon im Vorfeld haben die Prognosen gezeigt, dass die Grünen Stimmanteile verlieren würden und die AfD Stimmen hinzugewinnen würde. Das Ausmaß der Verluste der Grünen ist dann aber doch etwas überraschend. Gewinner sind die Rechtspopulisten. International wird das noch deutlicher, ganz gleich, ob man nach Frankreich, in die Niederlande oder auch nach Italien schaut. Dass das so deutlich ausgefallen ist, war dann schon überraschend.
Was bedeutet dieser Rechtsruck für Europa und die Arbeit des EU-Parlaments?
Europa ist auf Kompromissen aufgebaut. Es wird nun auf jeden Fall schwieriger, ebensolche Kompromisse zu finden. Wenn wir uns aber mal allein das deutsche Ergebnis anschauen, dann ist das Gesamtergebnis für die progessiven etablierten Parteien gar nicht so schlecht.
Wie meinen Sie das?
Die AfD kommt bundesweit auf 15,9 Prozent der Stimmen, das ist das beste Ergebnis der AfD bei einer Europawahl, das stimmt. Aber man muss das andersherum interpretieren. Es gibt eine sehr deutliche Mehrheit für die Parteien jenseits der Rechtspopulisten. Die etablierten Parteien müssen jetzt stärker kooperieren, um in Europa etwas auf den Weg zu bringen. Es wird sich in der Politik einiges ändern. Ökologische Themen werden sicher nicht mehr so einfach durchzusetzen sein, auch in Bezug auf Migration wird sich der Ton weiter verschärfen.
Lesen Sie auch unsere Serie zur Europawahl 2024. Unter anderem mit einem Interview mit dem langjährigen Europapolitiker Elmar Brok, Ergebnissen und Analysen. Hier geht es zur Seite „Westfalen wählt Europa“
Die CDU ist stärkste Kraft in Westfalen – gibt das einer möglichen Kanzlerkandidatur von Friedrich Merz Rückenwind?
Es war schon interessant zu sehen, dass der Wahlkampf zur Europawahl ja schon auf Merz gemünzt war. Das zeigt, in welche Richtung die Union gehen will bei der Bundestagswahl im Herbst 2025, wenn nicht noch Unvorhergesehenes passiert. Aber das Ergebnis der Union mit jetzt rund 30 Prozent ist ja alles andere als überragend. Ja, man hat zugelegt im Vergleich zur letzten Europawahl, aber da hatte man auch das historisch zweitschlechteste Ergebnis eingefahren. Wenn man sich das Ergebnis ehrlich anschaut, muss man sagen, die Strategie der CDU/CSU hat nicht gezündet.
Welche Strategie?
Man hat das Thema Migration als ein wichtiges Thema im Wahlkampf zugelassen. Bei der vergangenen Bundestagswahl und der Landtagswahl in NRW war das nicht in dem Maße der Fall. Daran zeigt sich: Es zahlt sich für die konservativen etablierten moderaten Parteien nicht aus, die Themen der Rechtspopulisten zu besetzen. Dann wird das Original gewählt, nämlich die AfD, und nicht die CDU. Man sollte vielmehr seine eigenen Gewinnerthemen in den Vordergrund stellen.
Gibt es Ergebnisse aus Westfalen, die Ihnen aufgefallen sind?
Wenn man sich das Abschneiden der AfD in Münster (Anmerkung der Redaktion: 4,8 Prozent) ansieht, ist das schon ein starkes Signal. Münster zeigt sich damit als Bastion gegen den Rechtspopulismus. Aber diese Bastionen werden immer weniger. In den umliegenden Kreisen hat die AfD deutlich zugelegt.
In Gelsenkirchen haben mehr als 21 Prozent der Menschen die AfD gewählt, wie kommt es zu diesen regionalen Unterschieden in Westfalen?
Die AfD wird inzwischen von allen Altersstufen gewählt, auch von den Erstwählern. Sie ist sicher auch in der sozialen Mittelschicht angekommen, aber vor allem rekrutiert sie ihre Wähler in den sozial schwächeren Schichten. In Gelsenkirchen und in anderen Ruhrgebietsstädten leben mehr Menschen, die von den hohen Teuerungsraten besonders betroffen sind. Das treibt der AfD Stimmen zu. Aber es ist nicht mehr nur auf untere Einkommensschichten begrenzt.
Die Wahlbeteiligung war für Europawahlen relativ hoch. Es gibt aber auch große regionale Unterschiede. In Münster haben drei Viertel der Bürger ihrer Stimme abgegeben, in Gelsenkirchen nur etwa jeder Zweite…
Die Wahlbeteiligung war tatsächlich überraschend hoch. Europawahlen sind sogenannte Sekundärwahlen. Da ist das Interesse auch der Medien eigentlich nicht so hoch, das war dieses Mal aber anders. Die regionalen Unterschiede haben etwas mit den verschiedenen Milieus zu tun. In Münster gibt es einen großen Anteil Bildungsbürgertum an der Bevölkerung, daher ist die Wahlbeteiligung hier immer relativ hoch, das ist in Gelsenkirchen anders. Bei Europawahlen ist das Interesse auch der Medien eigentlich nicht so hoch, das war dieses Mal aber anders. Deshalb sind sicher auch mehr Menschen zur Wahl gegangen.
Interview: Jürgen Bröker