Szene aus dem ersten Bundesligaspiel von Preußen Münster am 24. August 1964. Werner Lungwitz kommt vor Peter Wulf vom Hamburger SV an den Ball. Im Hintergrund sieht man, dass sich die Fans im Preußenstadion bis an den Spielfeldrand drängten. Foto: IMAGO / Horstmüller
18.08.2023

„Münster war eine Fußballstadt“

Vor 60 Jahren startete die erste Saison in der neu gegründeten Fußballbundesliga. Mit dabei: Preußen Münster. Der Fußballbuch-Autor Dietrich Schulze-Marmeling erklärt wie es dazu kam, und warum sich Münster nicht in der ersten Liga etablieren konnte.

Herr Schulze-Marmeling, 60 Jahre Bundesliga – ist das ein Grund zum Feiern?
Ja, auf jeden Fall. Deutschland war eines der letzten Länder in Europa, die eine solche Liga eingeführt haben, die zwangsläufig auch Profifußball bedeutete. Viel zu lange hat man hier an einem Amateurideal festgehalten – während z.B. in England seit 1888 in einer zentralen Profiliga gekickt wurde. Von daher war der Schritt zu einer Bundesliga längst überfällig. Und obwohl mit den Dauermeisterschaften von Bayern München eine gewisse Langeweile eingekehrt ist, ist die Liga immer noch attraktiv und fasziniert die Menschen.

Sie waren bei der Gründung der Liga sechs Jahre alt, haben Sie selbst Erinnerungen?
Nein, leider nicht. Ich bin in Kamen in der Nähe von Dortmund aufgewachsen und komme aus einem eher akademischen Milieu. Das war zumindest damals dem Fußball noch nicht so zugewandt. Viele Familien meiner Mitschüler kamen aus dem Bergbau und waren mit dem Fußball vertraut. Auf dem Schulhof war das ein großes Thema, aber für mich erst ab der Saison 1965/66. Damals gewann Dortmund den Europapokal der Pokalsieger und ich war fortan BVB-Fan.

Weshalb wurde die Liga überhaupt eingeführt?
Unter anderem hat man beim Deutschen Fußballbund registriert, dass man den Anschluss an andere Nationen verloren hatte. Bei der Weltmeisterschaft 1962 spielte Deutschland keine große Rolle. Die besten deutschen Spieler gingen damals schon nach Italien, weil man dort mehr Geld verdienen konnte. Also musste der DFB handeln. Mit Erfolg. Wie der WM-Titel 1974 zeigt. Ohne die Bundesliga und die damit verbundene Professionalisierung des Fußballs in Deutschland hätte es den Titel nicht gegeben. Und auch nicht die Erfolge von Bayern München in den europäischen Wettbewerben.

Die Mannschaft des SC Preußen Münster im Fußballbilder-Sammelalbum zur Saison 1963/64. Foto: Martin Zehren

Die Mannschaft des SC Preußen Münster im Fußballbilder-Sammelalbum zur Saison 1963/64. Foto: Martin Zehren

Zum Start der Liga vor 60 Jahren waren gleich drei westfälische Vereine dabei: Schalke, Dortmund und Münster – welche Bedeutung hatte es damals für die Vereine, einer von 16 ausgewählten Clubs zu sein?
Diese Vereine waren plötzlich nicht mehr auf Augenhöhe mit den anderen Clubs der Oberliga-West, die Einführung der Bundesliga bewirkte eine Leistungskonzentration. Sie schwebten über dem anderen Rest, hatten allein schon durch erheblich höhere Zuschauereinnahmen andere Möglichkeiten. Da ist eine riesige Kluft entstanden. Deshalb wollten auch so viele Clubs in der Bundesliga dabei sein. Mit der Gründung der Bundesliga wurde daher im Grunde genommen auch der Niedergang der Vorort-Vereine wie der Spielvereinigung Erkenschwick eingeläutet. Und ein Abstieg aus der ersten Liga bedeutete einen echten Absturz, da der Unterbau noch aus fünf Regionalligen bestand. Bei Preußen Münster etwa haben sich die Zuschauerzahlen nach dem Abstieg aus der Bundesliga um zwei Drittel verringert.

Welchen Stellenwert hatte der Fußball damals in den drei Städten?
Ich glaube schon, dass der Fußball im Ruhrgebiet intensiver gelebt wurde und mehr im Zentrum der Freizeitkultur stand, als es in Münster der Fall war. Trotzdem wird Münster immer ein wenig unterschätzt. Münster war eine Fußballstadt. Preußen hat in der Stadt und der Region schon eine gewisse Faszination ausgelöst. Als klar war, dass die Preußen in der Bundesliga dabei sind, wurde das in Münster auch groß gefeiert. Aber im Ruhrgebiet waren die Städte sicher mehr vom Fußball durchdrungen.

In der ersten Bundesligasaison war Preußen dabei, Bayern München aber nicht – wie kam das?
Münster hat Glück gehabt, und Bayern aus ähnlichen Gründen Pech: Der ursprüngliche Zulassungskatalog ist damals kurzfristig geändert worden. Plötzlich war das Abschneiden in der letzten Oberligasaison ausschlaggebend. Da war Preußen Münster Vierter. Wäre es nach dem alten Zulassungskatalog gegangen, hätte wohl Alemannia Aachen den Zuschlag erhalten und Münster wäre nicht dabei gewesen. Im Süden wurde 1860 München als Meister der Oberliga Süd berücksichtigt. Weil man nicht zwei Vereine aus einer Stadt in der Bundesliga haben wollte, fielen die Bayern hinten runter. Zum Glück für Bayern. So konnte eine junge Mannschaft mit Beckenbauer, Müller und Maier in der Regionalliga wachsen. Und zwei Jahre später mit den nun gereiften Spielern im Oberhaus durchstarten. Wären die Bayern beim Start dabei gewesen, hätte der Klub erfahrene Kräfte einkaufen müssen, wofür er aber kein Geld besaß – für Beckenbauer und Co. wäre kein Platz gewesen. Und der Club hätte sich verschuldet.

Dietrich Schulze-Marmeling kam 1956 in Kamen zur Welt. Seit Mitte der 1960er Jahre ist er Fan von Borussia Dortmund. Schulze-Marmeling hat zahlreiche Fußballbücher verfasst. Unter anderem über den FC Bayern München, Borussia Dortmund und Preußen Münster. 2011 wurde sein Werk „Der FC Bayern und seine Juden“ zum Fußballbuch des Jahres gewählt. Er lebt heute in Altenberge. Regelmäßig trifft man ihn Fußballstadion, vorzugsweise in Dortmund oder Münster.

Dietrich Schulze-Marmeling kam 1956 in Kamen zur Welt. Seit Mitte der 1960er Jahre ist er Fan von Borussia Dortmund. Schulze-Marmeling hat zahlreiche Fußballbücher verfasst. Unter anderem über den FC Bayern München, Borussia Dortmund und Preußen Münster. 2011 wurde sein Werk „Der FC Bayern und seine Juden“ zum Fußballbuch des Jahres gewählt. Er lebt heute in Altenberge. Regelmäßig trifft man ihn im Fußballstadion, vorzugsweise in Dortmund oder Münster.

Schalke und Dortmund sind die großen Clubs im Revier geworden. Hat Münster es verschlafen, mehr aus der Vorlage, die die erste Bundesligasaison geboten hat, zu machen?
Es gab eine sich über mehrere Dekaden hinziehende „Münsteraner Krankheit“. Diese bestand aus einer gewissen Überheblichkeit und dem mangelnden Vermögen zu erkennen, was um den Verein herum passierte, wohin sich der Fußball entwickelte. Man meinte, man wäre modern und zeitgemäß aufgestellt. Außerdem herrschte lange Zeit der Glaube vor, man habe ohnehin – weil man eine so wunderbare Stadt ist und ein Traditionsverein – ein Anrecht darauf, in der obersten Liga mitzuspielen. Das ist eine brutale Selbsttäuschung. Ich glaube, dass man sich damals bei Preußen nicht gut auf die Bundesligasaison vorbereitet und sich selbst maßlos überschätzt hat.

Wenn der BVB oder Schalke spielen, ist die ganze Stadt elektrisiert. Warum ist das in Münster anders?
Ich empfinde das nicht so drastisch. Ich glaube, das hat auch mit einem Generationswechsel zu tun. Mein jüngster Sohn ist 25 Jahre alt und er ist regelmäßig in der Kurve bei den Preußen. Für diese Generation ist die Bundesligazugehörigkeit Schnee von gestern. Die jungen Leute haben die alten Sätze wie „Wir in Münster gehören mindestens in die zweite Liga“ gar nicht mehr im Kopf. Die haben selbst in der vierten Liga ihren Spaß und das ist auch gut so. Außerdem ist es den Verantwortlichen in den vergangenen Jahren gelungen, eine Brücke in die Stadtgesellschaft zu schlagen. Das hat auch die Anteilnahme in der Stadt beim Aufstieg jetzt in die 3. Liga gezeigt. Ich hoffe, dass diese gute Stimmung lange anhält.

Gehen Sie selbst zu den Preußen?
Ich habe sogar eine Dauerkarte und fahre gerne mit dem Rad zum Stadion. Der Fußball ist durchaus ordentlich, man trifft Bekannte, mit denen man in der Halbzeit ein Bier trinken und eine Wurst essen kann, ohne, dass man gleich eine Bezahlkarte wie in den großen Bundesligastadien zücken muss. Ich finde das perfekt.

Blicken wir noch kurz auf die neue Bundesligasaison: Wird es einen anderen Meister als in den vergangenen 10 Jahren geben?
Dies setzt zwei Dinge voraus: Bei den Bayern läuft ganz viel schief, trotz eines großen Kapitaleinsatzes. Und in Dortmund – ein Meister RB Leipzig interessiert mich nicht – läuft alles nahezu perfekt. Neuneinkäufe schlagen ein, nur wenige Verletzungen und so weiter. Ich will das nicht völlig ausschließen. Aber daran glauben…

Interview: Jürgen Bröker, wsp

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