Aus dem "Bielefelder Studio" auf die große Bühne: Fabienne-Deniz Hammer (links) in der Tanztheater-Inszenierung „A f***cking crazy Show about the Madness of the Stage“ am Theater Bielefeld. Foto: Joseph Ruben
13.06.2023

Neue Perspektiven

Die Landesregierung fördert das bundesweit einmalige „Bielefelder Studio“ am Theater Bielefeld im Rahmen des Programms „Neue Wege“ mit knapp einer Million Euro. Nachwuchskünstler werden dort gefördert und Sparten zwischen Gesang, Tanz und Schauspiel überwunden. Lesen Sie hier einen Artikel über das Residenzprogramm aus dem WESTFALENSPIEGEL 01/2023.

Die Sopranistin Mayan Goldenfeld ist als Interpretin von barocker und zeitgenössischer Musik europaweit gefragt. In der Bühnenfassung von Saša Stanišićs Erfolgsroman „Herkunft“ verkörpert sie aktuell im Bielefelder Stadttheater die Großtante des 14-jährigen Jungen, der mit seinen Eltern aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflüchtet ist – es ist ihre erste Sprechrolle. „Da Deutsch nicht meine Muttersprache ist, war es für mich eine große Herausforderung, aber auch eine sehr spannende Erfahrung, vor Publikum einen Monolog zu halten. Ich lerne dadurch eine ganz neue Perspektive kennen“, sagt die italienisch-israelische Sängerin.

Die Sopranistin Mayan Goldenfeld in der Oper "At your doorstep" am Theater Bielefeld. Foto: Sarah Jonek

Die Sopranistin Mayan Goldenfeld in der Oper „At your doorstep“ am Theater Bielefeld. Foto: Sarah Jonek

In der Spielzeit 2022/23 gehört Mayan Goldenfeld ebenso wie die Schauspielerin Amy Lombardi und der Tänzer Luca Völkel dem „Bielefelder Studio“ an. Das bundesweit einmalige Projekt des Theaters Bielefeld bietet drei jungen Künstlerinnen und Künstlern aus den Bereichen Gesang, Tanz und Schauspiel jeweils eine Saison lang die Möglichkeit, in allen Sparten des Hauses mitzuwirken. „Der große Unterschied zu bereits an vielen Theatern etablierten Formaten wie den Opernstudios ist der spartenübergreifende Gedanke. Ziel ist es, die Grenzen herkömmlicher Professionalisierung zu überwinden und traditionelle Berufsbilder zu hinterfragen“, betont Intendant Michael Heicks. 

Beratung durch Mentoren aus allen Sparten

Die Mitglieder des „Bielefelder Studio“, das seit 2019 im Rahmen des Förderprogramms „Neue Wege“ vom Land Nordrhein-Westfalen unterstützt wird, werden im Verlauf der Spielzeit in vier Produktionen eingebunden. In jeweils zwei Inszenierungen bekommen sie die Gelegenheit, ihre fachspezifische Ausbildung zu vervollständigen. Darüber hinaus – und das ist die Besonderheit dieses Konzeptes – wirken sie in zwei Produktionen der anderen beiden Sparten mit. So schlüpft der 21-jährige Tänzer Luca Völkel, der bereits an der Oper Wuppertal sein Debüt als Choreograf gegeben hat, in dem Familienstück „Löwenherzen“ in die Rolle eines Stofflöwen, während Amy Lombardi, die ihr Schauspielstudium an der Zürcher Hochschule der Künste absolviert hat, sich in der Tanz-Performance „Land im Land“ auf künstlerisches Neuland begibt. „Weil ich keine Tanzausbildung habe, gibt es Momente, in denen ich mich überfordert fühle.  Aber ich gebe mein Bestes und nutze die Chance, mich in einem ganz neuen Metier weiterzubilden – auch wenn ich dabei unweigerlich an einen Punkt komme, an dem ich scheitere“, sagt die 24-Jährige. Mit der Arbeit im „Bielefelder Studio“ sei nicht zuletzt auch ein Umdenken verbunden. „Man löst sich von der Frage, ob die Anderen auf der Bühne besser sind als man selbst“, berichtet Luca Völkel. Eine Erfahrung, die auch Mayan Goldenfeld macht: „Ich weiß, dass ich als Schauspielerin oder Tänzerin nicht perfekt sein kann. Es geht darum, dies zuzulassen. Denn wichtiger als Perfektion sind der Austausch und die gegenseitige Bereicherung.“ 

Mayan Goldenfeld (Gesang), Amy Lombardi (Schauspiel) und Luca Völkel (Tanz) gehören in der Spielzeit 2022/23 dem "Bielefelder Studio" an. Foto: Philipp Ottendörfer

Mayan Goldenfeld (Gesang), Amy Lombardi (Schauspiel) und Luca Völkel (Tanz) gehören in der Spielzeit 2022/23 dem „Bielefelder Studio“ an. Foto: Philipp Ottendörfer

Die jungen Künstler des „Bielefelder Studio“ werden nicht nur in den Theaterbetrieb eingebunden, sondern besuchen parallel dazu Workshops und erhalten Coachings in Gesang, Tanz und Spiel. Außerdem stehen ihnen Ensemblemitglieder aus allen drei Sparten als Mentoren zur Seite. „Ich würde das Konzept gern weiterentwickeln und um die Bereiche Medien, Schreiben und Komposition ergänzen“, erklärt Intendant Michael Heicks, der auf eine Fortführung des zunächst auf drei Jahre befristeten Projektes hofft. Als Absolvent der Otto-Falckenberg-Schule in München, an der Heicks nicht nur Schauspiel und Regie studiert, sondern auch eine Ausbildung zum Beleuchter gemacht hat, liegt ihm der spartenübergreifende Gedanke seit jeher am Herzen. „Mein Ziel ist es nicht, die Sparten aufzuweichen, sondern Verbindungen zwischen ihnen zu schaffen und damit neue Sichtweisen zu eröffnen“, sagt er. 

Gemeinsam auf der Bühne

Gegen Ende der Spielzeit – und darauf freuen sich die Drei ganz besonders – werden Mayan Goldenfeld, Amy Lombardi und Luca Völker gemeinsam auf der Bühne stehen: Sie wirken in Ruggero Leoncavallos Oper „Zazà“ mit, die am 3. Juni Premiere hat. In der kommenden Saison bleibt Amy Lombardi dem Theater Bielefeld als Mitglied des Schauspielensembles erhalten, während auf ihre beiden Mitstreiter bereits freie Engagements warten. Von dem Blick über den eigenen Tellerrand, den ihnen das „Bielefelder Studio“ ermöglicht hat, werden sie dabei sicher profitieren. „Die Arbeit hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich mir gut vorstellen kann, auch in Zukunft bei interdisziplinären Projekten mitzuwirken“, betont Luca Völkel.

                                                                                                      Regina Doblies

Ein Beitrag aus dem WESTFALENSPIEGEL 01/2023

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