Lasse Rheingans Foto: Frederick Tanton
24.07.2023

„Arbeit neu denken“

Der Bielefelder Lasse Rheingans berät Unternehmen zu New-Word-Methoden. Im Interview erklärt er, warum er an die Vier-Tage-Woche für jeden glaubt.

Schon vor sechs Jahren haben Sie mit der Einführung des Fünf-Stunden-Tags international für Aufsehen gesorgt. Was planen Sie als nächstes?
Damals waren wir unserer Zeit extrem voraus. Corona hat dann für einen Einschnitt gesorgt. Wir selbst haben festgestellt, dass wir den Fünf-Stunden-Tag unter den Coronabedingungen nicht halten können. Homeschooling und Homeoffice zur gleichen Zeit ließen das nicht mehr zu. Also haben wir uns gefragt, wie können wir mit dieser Situation am besten umgehen?

Welche Lösungen haben Sie gefunden?
Unsere Mitarbeiter organisieren sich stärker selbst. Zeit und Raum müssen dann aus dieser Gleichung gestrichen werden. Das heißt, wir haben uns angesehen, welche Menschen arbeiten auf welche Art und Weise, wie am besten? Und wie wenig oder wie viel Rahmenwerke braucht es, damit man die drei Kerninhalte von guter Arbeit erreichen kann – Produktivität hochhalten, agil auf veränderte Bedingungen reagieren und ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Das hat uns dazu gebracht, dass wir stärkenorientiert arbeiten. Wir machen dazu von jedem Mitarbeiter ein Stärkenprofil und richten die Aufgaben daran aus. Damit könnte man das Konzept des New Work auf diesen Satz begrenzen: New Work ist die Arbeit, die ein Mensch wirklich will.

Während Corona haben Sie alle Büros leergeräumt und die Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt.
Ja, Corona hat auch bei uns zu vielen Veränderungen geführt. Wir erleben jetzt, dass New Work – und hier vor allem die Vier-Tage-Woche – bundesweit ein großes Thema ist. Und es wird noch größer. Wir glauben, dass kein Unternehmen darum herum kommen wird, das als Basismodell einzuführen.

Warum das?
Zum einen erzeugt der Fachkräftemangel einen enormen Druck auf die Unternehmen. Auf der anderen Seite wird es sicher irgendein „verrücktes“ Unternehmen aus der gleichen Branche geben, dass den Mut hat, die Vier-Tage-Woche einzuführen. Dann geht die gesamte Fachkräftemannschaft in diese Richtung. Schließlich hängt die Entscheidung, für welches Unternehmen ich arbeiten möchte, auch von der Lebensqualität ab, die mir der Arbeitgeber verspricht.

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Woran machen Sie den Wandel fest?
Ein Indiz ist unsere eigene Entwicklung. Wir haben uns gewandelt von der Digitalagentur hin zu einer Beratungsagentur für New-Work-Modelle. Wir bekommen immer mehr Anfragen von Unternehmen, die uns nach Begleitung auf dem Weg fragen, zum Beispiel neue Arbeitszeitmodelle zu entwickeln und einzuführen. Das heißt die Arbeitgeber fragen sich verstärkt: Wie können wir sinnvolle Arbeit so attraktiv für unsere Mitarbeiter anbieten, und dabei die Produktivität mindestens genauso hoch halten, dass wir als Unternehmen gut funktionieren.

Sie haben für den Fünf-Stunden-Tag den vollen Lohn gezahlt. Die Vier-Tage-Woche wird aber mit zwei Modellen diskutiert. Kurz: Weniger Arbeit, bedeutet weniger Geld oder gleiches Geld und die gleiche Arbeit wird auf weniger Tage verteilt. Was halten Sie davon?
Beides ist quatsch. Ich halte nicht viel von langen Tagen, das kennt doch auch jeder von sich selbst. Nur in Ausnahmen kann man auch mal zehn oder zwölf Stunden am Stück durchziehen. Das kann aber nicht der Regelbetrieb sein. Wie soll ich denn meine sozialen Belange und Bedürfnisse befriedigen können? Wie soll Partnerschaft und Elternschaft funktionieren? Wie soll man ältere Angehörige unterstützen? Auch gesellschaftlich demokratische Fragen werden in solchen Modellen nicht berücksichtigt. Außerdem würde das zu noch höheren Burnout-Raten führen. Und Gehaltskürzungen? Teilzeitarbeit gibt es in vielen Berufen schon lange, das ist wirklich nicht neu.

Es gibt aber auch Stimmen, die fordern, dass jetzt alle mehr arbeiten sollen.
Das wird nicht lange funktionieren. Wir können in dieser hoch anstrengenden Zeit, in der multiple Krisen in einer nie dagewesene Geschwindigkeit auf uns einprasseln, nicht den ganzen Tag nachdenken und Lösungen finden, für Dinge, die gestern noch nicht einmal ein Problem waren. Wir müssen über Leistung und Leistungsfähigkeit neu nachdenken. Einfach mehr Stunden pro Tag oder Woche zu arbeiten, kann für die neuen Anforderungen nicht die Lösung sein. Was wir in unserer Beratung darüber hinaus auch feststellen: Menschen – vor allem auch Führungskräfte – laufen doch schon am Limit. Dort noch eine „Schippe drauf“ einzufordern klingt wie blanker Hohn. Wer soll hier noch gute, nachhaltig erfolgreich Arbeit leisten können? Und das ist doch, worum es geht.

Muss Arbeit deshalb neu gedacht werden?
Ja, denn die Welt ist ganz anders als vor 40 Jahren. Welcher Job, welche Branche hat nicht massive Disruptionen hinter sich? Oder wird diese noch vor sich haben? Denken Sie nur an neue Formen der künstlichen Intelligenz (KI) wie das Sprachprogramm ChatGPT. Das ist die größte Zäsur seit der Erfindung des Internets. Und es ist ja noch gar nicht so lange her, dass das Internet die Welt verändert hat. Das Gleiche wird nun wieder passieren. Alle Jobs, und besonders die, die mit Texten oder Bildgenerierung zu tun haben, werden durch KI auf den Kopf gestellt. Das zeigt, wir können nicht mehr so arbeiten wie gestern. Unsere Umgebung hat sich komplett verändert und sie wird das weiter tun.

Was wird in den kommenden Jahren wichtig?
Wir sehen viel zu einseitig das Problem, dass durch die geburtenschwachen Jahrgänge der Nachwuchs in den Unternehmen fehlt. Dabei verlieren wir aus dem Blick, dass sehr viele ältere Menschen bald in den Ruhestand gehen. Sie nehmen oft ihr Wissen mit und dieses Wissen verschwindet dann aus den Unternehmen. Hier kommt bestenfalls die KI ins Spiel. Wir sind in der Lage das Wissen zu speichern und mittels ChatGPT oder anderen Tools abrufbar zu machen. Oder ein anderes Beispiel: Die globale Vernetzung ermöglicht es manchen Unternehmen, weltweit neue Mitarbeiter zu rekrutieren, die dann noch nicht einmal vor Ort arbeiten müssen. Angesichts dieser Veränderungen ist es besonders wichtig, die Menschen in einem Unternehmen, emotional und sozial mitzunehmen.

Interview: Jürgen Bröker, wsp

Infos zum Unternehmen von Lasse Rheingans finden Sie hier.

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