Unter Denkmalschutz: Das Bocholter Rathaus erinnert durch seine Außenfassade an das französische Centre Pompidou, von welchem es auch seinen Spitznamen „Bocholter Centre Pompidou“ hat. Foto: LWL
08.04.2022

Nutzen statt schützen

Der NRW-Landtag hat das umstrittene neue Denkmalschutzgesetz beschlossen. Es sieht eine Liberalisierung des Denkmalschutzes vor: Die bei den Landschaftsverbänden angesiedelten Fachämter müssen künftig in Denkmalschutzverfahren nicht mehr ihre Zustimmung geben.

Die Themen Klimaschutz, Barrierefreiheit und Wohnungsbau sollen bei der Frage, ob ein Bauwerk schützenswert ist oder nicht, ein stärkeres Gewicht erhalten. Im Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL sprechen Dr. Holger Mertens, Chef des Denkmalfachamtes beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und Prof. Michael Rind, Chef-Archäologe in Westfalen, über die Folgen des Gesetzes.

Denkmale nutzen statt schützen. Bedeutet das Gesetz nun einen Paradigmenwechsel?
Mertens: Ja. Es geht im Gesetz nun nicht mehr primär um den Schutz der Denkmäler, sondern darum, mit den Denkmälern etwas machen zu können. Der Wegfall der sogenannten Benehmensherstellung und auch, dass das Gesetz Punkte erwähnt, die denkmalfremd sind – das öffnet die Tür dafür, dass sich Städte oder auch Privatleute leichter von vermeintlich unbequemen Denkmälern trennen können. Konkret kann das bedeuten, dass ein schützenswertes Bauwerk abgerissen wird, um den Baugrund gewinnbringend an einen Investor zu veräußern.
Rind: Das Gesetz hinterlässt zudem viele unsichere Verfahrenswege. Angetreten ist das Gesetz, um die Situation zu verbessern. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ein Beispiel: Für die Baudenkmalpflege wird die sogenannte Benehmensregel de facto abgeschafft. Für die Bodendenkmalpflege, die Archäologie also, bleibt sie bestehen. Was macht man in den Fällen, in denen ein Denkmal zugleich beides ist, Bau- und Bodendenkmal? Solche Fragen werden mit dem neuen Gesetz nicht beantwortet. Das stellt Eigentümer vor große Probleme.

Befürchten Sie, dass mehr Denkmäler abgerissen werden?

Dr. Holger Mertens, Chef des Denkmalfachamtes beim LWL. Foto: Hartwig Dülberg

Dr. Holger Mertens, Chef des Denkmalfachamtes beim LWL. Foto: Hartwig Dülberg

Mertens: Ja, ganz eindeutig. Wir sehen im Denkmalfachamt schon jetzt eine Vervierfachung der Abbruchanträge in den vergangenen sechs Monaten gegenüber dem halben Jahr zuvor. Da zeigt sich, dass Eigentümer annehmen, dass es nun leichter wird, sein Denkmal loszuwerden. Das neue Gesetz bietet ihnen Anknüpfungspunkte, mit denen sie für einen Abriss argumentieren können. Zum Beispiel eben der Wohnungsbau, der nun explizit als Abwägungsgrund erwähnt wird. Folgt man diesem Argument, könnten anstelle einer historischen Stadtvilla mit entsprechendem Garten gleich mehrere Neubauten errichtet werden. Natürlich wären damit Wohnungen geschaffen, ein zeithistorisches Baudenkmal aber unwiederbringlich zerstört.

Haben Sie Sorgen um spezielle Denkmäler?
Mertens: Wir haben zuallererst Sorge um die Denkmäler, zu denen jetzt bereits Abrissanträge vorliegen. Diese sind vielfach in Privatbesitz. Ich sehe diese Gefahr jedoch auch bei Baudenkmälern der öffentlichen Hand. Ein bereits viel diskutiertes Thema ist die Justizvollzugsanstalt in Münster. In der Stadt soll ein neues Gefängnis entstehen, da stellt sich die Frage, was mit der historischen JVA und dem Grundstück am Rande der Altstadt passieren soll. Zumal es sich dabei um wertvollen Baugrund handelt. Ähnliche Fragen stellen sich beim Stadttheater in Herford oder auch beim Fördergerüst Auguste Victoria 8, einem der jüngsten Denkmäler der Steinkohlenbergbau-Ära in Westfalen. Auf dem Zechenareal in Haltern soll ein Gewerbegebiet entwickelt werden. Ich habe Bedenken, dass der Schutz dieser und weiterer Bauwerke geschwächt wird, wenn Städte allein über deren Zukunft entscheiden dürfen. Dann könnten wirtschaftliche Interessen die Oberhand gewinnen.

Wie sieht es in der Archäologie aus?
Rind: Die Lage ist ganz anders als in der Baudenkmalpflege. Der Begriff klingt seltsam, aber wir „zerstören“ die Denkmäler ja durch unsere Ausgrabungen. Mit der Grabungsdokumentation schaffen wir ein Sekundärdenkmal. Wenn wir aber ein Bodendenkmal erhalten möchten, gibt es oft Probleme. Ein Beispiel ist die Steinhauser Hütte in Witten. Dort ist viel Geld in die Ausgrabungen geflossen, und wir haben schon einen Großteil der Fläche zur Überbauung freigegeben. Aber wir wollen die Befunde, die wir dort vom ältesten Stahlwerk in Westfalen haben, zum Teil auch für die Öffentlichkeit zugänglich halten.

Wo könnte es noch Konflikte geben?

Prof. Michael Rind, Chef-Archäologe des LWL. Foto: LWL/AfW Stefan-Brentführer

Prof. Michael Rind, Chef-Archäologe des LWL. Foto: LWL/AfW Stefan-Brentführer

Rind: Zum Beispiel beim Neubau von Windrädern. Es geht dort eben nicht nur um den Mast, der in die Landschaft gestellt wird. Es sind Zuleitungen und Wege dorthin nötig. Jedes Windrad hat somit einen großen Flächenfraß. Die Böden müssen zuvor untersucht werden. Wir fürchten nun, dass man solche Bauvorhaben schnell durchzieht und dass der Bodendenkmalschutz dann nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen wird.
Mertens: Immer dann, wenn man ein Bodendenkmal erhalten will, gehen gleich die Diskussionen los. Es entsteht immer der Eindruck, als stände der Denkmalschutz anderen öffentlichen Belangen im Wege. Das ist aber gar nicht so. In der Vergangenheit haben wir Lösungen gefunden, die beiden Belangen gerecht werden – ohne dass spezielle Belange im Gesetz thematisiert wurden. Ob das in Zukunft noch so sein wird, daran habe ich große Zweifel.

Die Kirchen dürfen nun mitreden, wenn es um den Denkmalschutz ihrer Gebäude geht.
Mertens: Tatsache ist: Wir haben zum Teil sehr kleine Kirchengemeinden, die große Bauten zu unterhalten haben. Nun stehen diese Gemeinden mit ihren Kirchenbauten teilweise überfordert da. Das ist ein Problem. Hinzu kommt, dass die Gemeinden immer weiter schrumpfen und nicht mehr so viele Kirchen und kirchliche Gebäude benötigt werden. Daraus kann man aber nicht Sonderrechte im Gesetz oder gar den Verzicht auf Unterschutzstellungen ableiten.

Wie stellen Sie sich jetzt auf die Veränderungen ein?
Rind: Klar ist zunächst einmal, dass uns das Gesetz noch weiter beschäftigen wird. Am 15. Mai stehen ja Landtagswahlen an. Mal sehen, wie die nächste Regierung, das Gesetz auffasst.
Mertens: Wir werden uns jetzt zusammensetzen und diskutieren, wie wir auf verschiedene Szenarien reagieren. Leider mussten wir uns zuletzt zu sehr mit Macht- und Verwaltungsfragen beschäftigen. Das hat viel Zeit und Energie gekostet. Nun wollen wir endlich wieder an dem spannenden Thema Denkmalschutz und Denkmalpflege weiterarbeiten. Wir werden uns an jeder Stelle, an der das gewünscht ist, mit unserem gesamten Fachwissen weiter einbringen. Das gilt sowohl für die Kommunen und das gilt erst recht für die Eigentümerseite. Es bleibt jetzt allerdings abzuwarten, wo man unseren Rat noch möchte.

Interview: Annette Kiehl / JürgenBröker / wsp

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