Opfer oder Mittäter
Im LWL-Klostermuseum Dalheim beleuchtet eine Ausstellung das Verhältnis zwischen den christlichen Kirchen und dem Nationalsozialismus.
Im April 1933, kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland, schrieb Edith Stein einen Brief an Pius XI., den Papst in Rom. Darin zeigt sich die Dozentin eines katholischen Instituts in Münster sehr besorgt über den Judenhass der Nationalsozialisten, der Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Nächstenliebe widerspreche. Sie fordert den Heiligen Stuhl auf, die Stimme dagegen zu erheben. Und sie drückt ihre Befürchtung aus, dass die Nationalsozialisten auch den Katholizismus systematisch bekämpfen werden.
Ein Auszug des Briefs ist in der aktuellen Sonderausstellung „Und vergib uns unsere Schuld? Kirchen und Klöster im Nationalsozialismus“ zu sehen, die das LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Stiftung Kloster Dalheim in Lichtenau bis zum 18. Mai 2025 zeigt. Papst Pius XI. nahm damals nicht öffentlich Stellung zu Edith Steins Brief. Die spätere katholische Ordensfrau, die aus einer Familie jüdischen Glaubens stammte, wurde 1942 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet. 1998 sprach sie Papst Johannes Paul II. heilig.
Zehn Leitfragen
Edith Steins Geschichte ist eine von vielen im ehemaligen Kloster Dalheim. „Die groß angelegte Ausstellung soll die komplexe Wechselbeziehung zwischen Christentum und Nationalsozialismus aufarbeiten“, sagte Dr. Georg Lunemann, Direktor des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, bei der Präsentation. Im Zentrum der Schau, die sich gezielt an ein breites Publikum richtet, steht die Frage, ob die christlichen Kirchen während der NS-Zeit Opfer oder Täter, ob sie Gegner oder Partner des NS-Regimes waren. Um eins gleich vorwegzunehmen: Endgültige Antworten gibt es in Dalheim nicht. „Die Ausstellung will ihrem Publikum eine Meinung nicht aufnötigen, wohl aber ermöglichen“, so Georg Lunemann.
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Zehn Leitfragen führen durch die vom Museumsteam um Direktor Dr. Ingo Grabowsky und Kuratorin Carolin Mischer erstellte Schau, die mit rund 200 Exponaten das Spannungsfeld zwischen Kollaboration und Widerstand beleuchtet. Briefe, Tagebücher, Plakatkunst, Fotografien und Alltagsgegenstände verdeutlichen, wie verbreitet die Ideologie des Nationalsozialismus in der Bevölkerung war und auch vor den beiden großen christlichen Kirchen nicht haltmachte. „Erstmals widmet sich eine Ausstellung in diesem Umfang und dieser Komplexität diesem Thema“, betonte Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, die Vorstandsvorsitzende der Stiftung Kloster Dalheim und LWL-Kulturdezernentin. Ein wissenschaftlicher Beirat hat die Ausstellungsvorbereitung begleitet und seine Expertise eingebracht, darunter auch der Theologe Prof. Hubert Wolf aus Münster, der für seine Forschungen Zugang zu bisher nicht öffentlich zugänglichen Dokumenten aus den Vatikanischen Archiven hat – einige sind sogar in Dalheim zu sehen.
Die Ausstellung beginnt mit der Vorgeschichte der NS-Zeit: Anfang der 1930er Jahre wählten evangelische Christen, die einen anderen Staat wollten, mehrheitlich die Nationalsozialisten. Einige Pfarrer engagierten sich sogar in der paramilitärischen Organisation SA (Sturmabteilung). Versuche, eine geeinte Reichskirche zu bilden, die einen „artgerechten Christusglauben“ vertreten sollte, stießen dennoch auf Widerstand, unter anderem der evangelischen Bewegung der Bekennenden Kirche.
Verstrickungen der Kirchen
Die katholische Kirche lehnte den Nationalsozialismus zunächst entschieden ab, arrangierte sich aber ab 1933 mit dem NS-Regime: Das Reichskonkordat, ein Vertrag zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich, sollte das Verhältnis regeln. Das NS-Regime brach jedoch die Bestimmungen und versuchte, den christlichen Glauben aus dem Alltag zu verdrängen, zum Beispiel indem es statt des Weihnachtsfests die Feier des heidnischen Julfests propagierte.
Die christlichen Kirchen und viele ihrer Mitglieder waren auf verschiedene Weise in die nationalsozialistische Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik verstrickt. „Unter den Unterstützern des NS-Regimes gab es auch kirchliche Amtsträger und Ordensleute. Diese Kollaborateure verbreiteten nationalsozialistisches Gedankengut oder setzten Zwangsarbeiter ein. Sie waren aber zum Beispiel auch Teil der systematischen Ermordung von Kranken durch das NS-Regime“, sagte Museumsleiter Ingo Grabowsky. Geistig und körperlich behinderte junge Menschen wurden vielfach getötet, so auch in einer Heil- und Pflegeanstalt in Marsberg – die dortigen Todesfälle hat der evangelische Pfarrer der Gemeinde im Kirchenbuch notiert.
Christlicher Widerstand
Auf der anderen Seite war der christliche Glauben für viele bedeutende Akteure des Widerstands von großer Bedeutung wie für die Geschwister Hans und Sophie Scholl, den Theologen Dietrich Bonhoeffer, die Lehrerin Elisabeth Schmitz und den Pastor Martin Niemöller. „Viele der Christinnen und Christen zahlten ihren Widerstand mit ihrem Leben“, sagt Ingo Grabowsky. Protest gegen die NS-Politik ging weniger von den beiden großen christlichen Kirchen selbst aus, sondern vielmehr von einzelnen Gläubigen und richtete sich meist gegen bestimmte Regierungsmaßnahmen. So wie 1941, als Münsters Bischof Clemens August Graf von Galen in Predigten die Tötung von Kranken und Menschen mit Behinderungen kritisierte.
Nach Kriegsende grenzten sich Kirchen und Klöster vom Nationalsozialismus ab. Die kritische Aufarbeitung setzte erst in den 1960er Jahren ein und dauert bis heute fort, zum Beispiel bei der Frage, ob der 1939 gewählte Papst Pius XII. trotz der Judenverfolgung und -vernichtung geschwiegen hat. „Die Ausstellung versteht sich angesichts gegenwärtiger Herausforderungen auch als Anstoß für eine persönliche Auseinandersetzung mit der Verantwortung jeder und jedes Einzelnen gestern und heute und mündet in der Frage: Wie hätte ich gehandelt?“, sagte LWL-Direktor Georg Lunemann.
Martin Zehren
„Und vergib uns unsere Schuld? Kirchen und Klöster im Nationalsozialismus“, bis 18. Mai 2025, im LWL-Landesmuseum für Klosterkultur, Stiftung Kloster Dalheim. Geöffnet täglich außer Mo. 10 bis 18 Uhr. 130-seitiger Begleitband im Verlag Schnell und Steiner 19,95 Euro. Begleitprogramm mit Vortrag „Kirchlicher Widerstand und kirchliche Kooperation im Nationalsozialismus“ des Historikers Olaf Blaschke aus Münster am 8. September. Mehr Informationen hier