20.05.2021

Pandemie als Nährboden für Antisemitismus

Trotz des Rückgangs antisemitischer Straftraten in Nordrhein-Westfalen warnt die Antisemitismusbeauftragte des Landes vor einer gefährlichen Entwicklung.

Im vergangenen Jahr registrierten die Behörden 276 antisemitische Straftaten, 39 weniger als ein Jahr zuvor. In Dortmund etwa wurde die Eingangstür zu einem Restaurant eines jüdischen Betreibers mit einem Hakenkreuz beschmiert. Außerdem entdeckte er auf einem Tisch vor dem Lokal ein Hakenkreuz und den Schriftzug „Juden Gasthaus“. In Bochum zerstörten Unbekannte wichtige Teile der Wanderausstellung „Zwischen Erfolg und Verfolgung – Jüdische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach“. In beiden Fällen konnten bisher keine Täter ermittelt werden.

Antisemitismus sei für Jüdinnen und Juden Alltag in unserem Land. Er werde wieder zunehmend offen und aggressiv geäußert, erklärt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, NRW-Antisemitismusbeauftragte, in ihrem zweiten Bericht, den sie nun der Landesregierung und dem Landtag vorgelegt hat. Das zeigte sich auch in der vergangenen Woche, als vor der Synagoge in Münster eine Israelfahne verbrannt wurde und vor der Synagoge in Gelsenkirchen von Demonstranten offen judenfeindliche Parolen skandiert wurden. „Die jüngsten antisemitisch motivierten Vorfälle und Übergriffe in Nordrhein-Westfalen als Reaktion auf die Eskalation der Gewalt zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen verurteile ich auf das Schärfste“, betonte Leutheusser-Schnarrenberger.

Zentrale Meldestelle Antisemitismus kommt

Ein Grund zur Entwarnung seien die gesunkenen Zahlen daher auf keinen Fall, so Leutheusser-Schnarrenberger weiter. Denn in der offiziellen Statistik tauchen nicht alle Taten auf, da nicht jedes Vergehen zur Anzeige gebracht wird oder strafbar ist. Das Dunkelfeld sei riesig. Die individuellen Eingaben, die ihr Büro erreichten, seien 2020 noch gestiegen, erklärt die Antisemitismusbeauftragte. Das zeige, dass eine zentrale Meldestelle Antisemitismus dringend erforderlich sei. Diese ist auf dem Weg und soll noch im ersten Halbjahr 2021 ihre Arbeit aufnehmen.

Die Pandemie habe einige Präventionsprojekte ausgebremst. Zugleich habe sie sich zu einem Nährboden für einfache Erklärungsmuster und Verschwörungsmythen entwickelt. „Dabei wird auf Muster zurückgegriffen, nach denen ‚finstere Hintergrundmächte‘ für das Unheil oder die Krise verantwortlich seien. Die Gruppierungen, die als solche dunklen Mächte ausgemacht werden, sind dabei austauschbar, jedoch sind diese Mythen fast immer antisemitisch konnotiert“, sagt Leutheusser-Schnarrenberg. Sorge bereitet ihr vor allem, dass sich bei Hygiene- und Querdenker-Demonstrationen erstmals Milieus der gesellschaftlichen Mitte mit Rechtsextremisten vereint hätten.

wsp

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