„Papst und Kardinal müssen liefern“
Der Papst hat das Rücktrittsangebot des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, abgelehnt. Welche Auswirkungen das auf mögliche Reformen hat, erklärt der Bochumer Theologen Prof. Thomas Söding.
Am vergangenen Freitag (4.6.) hatte Marx sein Rücktrittsgesuch öffentlich gemacht und damit für ein Erdbeben in der katholischen Kirche in Deutschland gesorgt. „Das war ein Hammer, zeigt aber auch eine gewisse Konsequenz. Und im Nachhinein wird auch der Verzicht von Kardinal Marx auf eine weitere Amtszeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz zu Beginn des Jahres in einem anderen Licht wahrgenommen“, sagt Thomas Söding, Theologe an der Ruhr-Universität Bochum.
Nun ist aber klar: Den Rücktritt wird es nicht geben. Papst Franziskus hat diesen Schritt abgelehnt. In einem Brief an Marx schrieb er: „Das ist meine Antwort, lieber Bruder. Mach weiter, so wie du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising.“ Bei Gläubigen und Theologen hat das ein gespaltenes Echo hervorgerufen. Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sieht die Rücktrittsablehnung als Aufruf für Reformen. Auch einige Mitstreiter der in Münster gegründeten Laienbewegung Maria 2.0 werten den Brief des Papstes als ersten Schritt zu Reformen. „Auf diese Weise bestärken beide – Papst Franziskus und Marx – den richtigen Weg; den Reformwillen“, schreibt eine Nutzerin unter die Facebook-Nachricht von Maria 2.0 zum Franziskus-Brief. Andere sind skeptisch. So ist dort auch zu lesen: „Der Club der Old Boys hält zusammen. Es wird sich nichts ändern.“
Strukturelle Probleme der Kirche
Söding sieht vor allem strukturelle Probleme: „Rücktritt und Rücktritt vom Rücktritt können nicht nur zwischen Papst und Bischof ausgehandelt werden. Wo bleiben die Gläubigen? Es braucht Strukturen der Verantwortung, der Rechenschaftslegung und der Kontrolle.“ Der Bochumer Theologe engagiert sich selbst beim Synodalen Weg. Darin diskutieren unter anderem Bischöfe und Laien der katholischen Kirche in Deutschland in vier Themenforen darüber, wie die Kirche wieder mehr Nähe zu den Menschen finden kann. Ein wichtiger Mitstreiter im Synodalen Weg ist auch Kardinal Marx. „Hätte der Papst sein Rücktrittsgesuch angenommen, wäre Kardinal Marx nicht mehr Mitglied der Synodalversammlung gewesen. Das wäre sicher ein Verlust gewesen – aber auch nicht das Ende der Kirche. Ohnehin sind die Laien noch mehr gefordert, den Reformprozess zu einem guten Ende zu führen“, ist Söding überzeugt.
Dass entschlossene Reformen notwendig sind, steht für ihn außer Frage. Das hat der Theologe schon in einem Interview mit dem WESTFALENSPIEGEL vor einigen Wochen deutlich gemacht. „Die katholische Kirche steckt in einer tiefen Krise. Dass diese Krise gut ausgeht, ist keineswegs ausgemacht“, sagt Söding heute. Ein wichtiger Schritt aus der Krise könne aber ein erfolgreicher Abschluss des Synodalen Weges sein. „Es gibt eine Grundspannung zwischen geistlicher Erneuerung und strukturellen Reformen. Die muss aufgelöst werden. Die katholische Kirche braucht eine Strukturreform, und sie braucht neuen Spirit. Beides muss zusammenpassen. Der Papst und der Kardinal sind in der Verantwortung. Sie müssen liefern“, sagt Söding.
Marx’ Anfänge als Bischof liegen in Westfalen
Die Anfänge der bischöflichen Karriere von Kardinal Marx liegen in Westfalen. Nach seinem Studium an der Ruhr-Universität in Bochum und der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster wurde er 1996 zum Weihbischof im Erzbistum Paderborn ernannt. 2002 wurde Marx Bischof von Trier, seit 2008 ist er Erzbischof von München und Freising. Im Sommer sollen Gutachten veröffentlicht werden, die sich mit dem Umgang von Missbrauchsfällen in den beiden Bistümern beschäftigen.
Jürgen Bröker/wsp
Lesen Sie auch unser Dossier zum Thema „Zukunft Kirche“