
„Parteien müssen sich aufeinander zu bewegen“
Der Münsteraner Politikwissenschaftler Prof. Norbert Kersting spricht über die Bundestagswahl – und die anstehenden Verhandlungen.
Herr Prof. Kersting, das Ergebnis der Bundestagswahl steht. Wie lautet Ihre Prognose für die Bildung der nächsten Bundesregierung?
Die CDU hat die Wahl gewonnen und ist beauftragt, den nächsten Kanzler zu stellen. Allerdings ist deren Mehrheit nicht so groß ausgefallen wie prognostiziert. Nachdem klar ist, dass FDP und BSW nicht in den Bundestag einziehen, wird es nun sehr wahrscheinlich auf eine große Koalition hinauslaufen. Problematisch bei den Verhandlungen wird allerdings sein, dass die Parteien sich im Wahlkampf mit ihren Positionen stark voneinander abgegrenzt haben.

Politikwissenschaftler Prof. Norbert Kersting. Foto: WWU/Anna Overmeyer
Und wie kommen die einstigen Kontrahenten nun wieder zusammen?
Nach den zum Teil heftigen Auseinandersetzungen gilt es nun, sich wieder aufeinander zu zu bewegen. Interessant dabei ist, dass die Wählerschaft von CDU/CSU und SPD inhaltlich näher beieinander liegt, als es im Wahlkampf schien. Umfragen zeigen, dass auch eine Mehrheit der CDU-Wähler beispielsweise das Deutschlandticket in Zukunft erhalten will. Diese Übereinstimmungen sollte man nun aufgreifen und zusammenkommen.
Blicken wir auf die Wahlergebnisse in Westfalen. Was fällt Ihnen auf?
Einige bekannte Tendenzen haben sich bestätigt: Das Ruhrgebiet bleibt größtenteils eine SPD-Hochburg, die ländlichen Regionen wählen konservativ und Münster ist überwiegend „grün“. Der starke Fokus auf das Thema Migration im Wahlkampf hat vor allem den Rechtspopulisten genutzt. Wählerinnen und Wähler haben sich mit der AfD gewissermaßen für das Original entschieden, also die Partei, die für dieses Thema steht. So sieht man: Im Münsterland hat die AfD zugelegt, in Gelsenkirchen ist sie bei den Zweitstimmen die stärkste Kraft und selbst in Münster haben die Rechtspopulisten mehr als fünf Prozent der Stimmen erhalten.
Welche Konsequenzen hatte die Debatte um Migration für die anderen Parteien?
Wir haben nach der Abstimmung im Bundestag zum Thema Migration, bei der die CDU auf die AfD-Stimmen setzte, eine sogenannte asymmetrische Mobilisation beobachtet. Heißt: Viele Menschen waren frustriert über diesen Zug, sind auch auf die Straße gegangen und haben dann verstärkt die Linkspartei gewählt. Das hatte zur Konsequenz, dass auch einige SPD- und CDU-Kandidaten mit guten Listenplätzen, darunter Svenja Schulze und Stefan Nacke aus Münster, um den Einzug in den Bundestag bangen mussten. Gerade der soziale Flügel der CDU, der in der Region traditionell stark ist, wird in Berlin mit weniger Abgeordneten vertreten sein.
Im Herbst stehen Kommunalwahlen an. Was erwarten Sie?
Nach der Wahl ist vor der Wahl. Und eine wichtige Frage wird sein, ob das Thema Migration einmal mehr den Wahlkampf, dann also in den Kommunen, dominieren wird. Die großen Volksparteien werden deutlich machen müssen, für welche Themen sie stehen und was ihre Qualitäten sind – anstatt vor allem auf die Themen von Rechtspopulisten einzugehen.
Interview: Annette Kiehl, wsp