Der Hammer Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann in einem Problemhaus. Foto: Kruse
30.07.2017

Problemimmobilien: Auferstehung aus Ruinen

Heruntergekommene Gebäude prägen das Bild an vielen Orten, insbesondere im Ruhrgebiet. Um soziale Not und kriminelle Geschäfte zu stoppen, gehen immer mehr Städte aktiv dagegen vor.

„Wenn man es sich aussuchen kann, wohnt man hier nicht.“ Martin Zerle deutet auf eine Wand, die von einer schwarzen Schimmelschicht überzogen ist. Einen Raum weiter ragen Stromkabel aus einer offenen Steckdose. Aufgeklebte Leuchtsterne unter der Zimmerdecke lassen vermuten, dass hier bis vor kurzem noch Kinder geschlafen haben. Am Türrahmen steht in krakeligen Buchstaben der Name „Valentin“ geschrieben.

Ortstermin in der Heessener Straße 4, unweit der Innenstadt von Hamm: In dem 70er-Jahre-Hochhaus, eingezwängt von einer großen Straßenkreuzung, haben bis vor wenigen Monaten 160 Männer, Frauen und Kinder gelebt, fast ausschließlich aus Bulgarien und Rumänien. Sie teilten sich oft zu mehreren ein Zimmer, schliefen auf Matratzen, die Erwachsenen malochten als Zeitarbeiter in einer Fleischfabrik.

Abzocke mit Schlafplätzen

Martin Zerle, der als Geschäftsführer die Hammer Stadtentwicklungsgesellschaft leitet, hat mit den Menschen gesprochen. Er hat erfahren, dass die meisten von ihnen für die Arbeit in Deutschland in ihrer Heimat angeheuert wurden. Und dass vom Lohn monatlich 200 Euro für den Schlafplatz abgezogen wurden. „Für den Untervermieter ein lukratives Geschäft, wenn eine Wohnung, die 450 Euro Miete kostet, mit fünf oder sechs Menschen belegt ist“, sagt Zerle.

Die Heessener Straße 4 in Hamm ist das Paradebeispiel einer Problemimmobilie. In das Haus wurde seit Jahren kein Geld mehr für dringend notwendige Sanierungen investiert. Feuchtigkeit setzte der nach Norden ausgerichteten Fassade zu und drang irgendwann auch in die Wohnungen ein. Zuletzt wohnten hier nur noch Menschen, die auf dem normalen Mietmarkt kaum eine Chance haben, sei es, weil sie kein Deutsch sprechen oder weil sie illegal in Deutschland leben.

„In der Konsequenz hat sich diese Ecke zu einem baulichen, aber auch zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt“, beschreibt Hamms Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann den weiteren Verlauf. Um diese Entwicklung zu stoppen, entschied sich die Stadt, die Immobilie über eine eigens gegründete Entwicklungsgesellschaft zu kaufen. Schon bald sollen die Abrissbagger anrücken.

Dass Städte in Eigenregie verfallene Häuser aufkaufen und sie anschließend abreißen oder sanieren, kommt immer häufiger vor. Es ist die Notbremse einer Entwicklung, die schon seit mehreren Jahren insbesondere das Ruhrgebiet betrifft und durch die seit 2014 auch für Rumänen und Bulgaren geltende Freizügigkeit von Arbeitnehmern noch einmal extrem verschärft wurde.

Abwärtsspirale im Quartier

So wie in der Heessener Straße 4, wo 18 der 40 Wohnungen vom Subunternehmer einer Fleischfabrik angemietet wurden, um sie als Matratzenlager weiterzuvermieten, kommen immer mehr Hausbesitzer auf die Idee, mit ihren verfallenen Gebäuden noch Profit zu erzielen. Indem die Wohnungen an Armutszuwanderer oder skrupellose Zwischenhändler vermietet werden, lässt sich mit einem vermeintlich wertlosen Haus noch sehr viel Geld verdienen. Die Wirkung von solchen Schrottimmobilien – egal ob sie leer stehen oder als Matratzenlager missbraucht werden – ist immer dieselbe: Weil niemand neben einem verwahrlosten Haus leben möchte, gehen auch die Mietpreise in der Nachbarschaft nach unten. Somit fehlt weiteren Vermietern das Geld, um ihre Häuser in Schuss zu halten – und unter Umständen sind die nächsten Problemimmobilien geboren. Wird diese Abwärtsspirale zusätzlich befeuert durch Vermüllung, Drogenhandel oder andere kriminelle Machenschaften, steht oft ein kompletter Straßenzug auf der Kippe, im schlechtesten Fall sogar ein ganzes Stadtquartier.

Insbesondere in sozial schwachen Vierteln, wo der Mietmarkt ohnehin am Boden liegt, greifen immer mehr Städte als letztes Mittel zur Abrissbirne oder sanieren die Häuser in Eigenregie – falls das Bausubstanz noch zulässt. Unterstützung bekommen sie dabei erstmals in diesem Jahr vom Land NRW: Über das „Modellvorhaben Problemimmobilien im Kontext der Zuwanderung aus Südosteuropa“ fließen Millionenbeträge an besonders betroffene Kommunen wie Dortmund, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm und Herne. „Ein wichtiger Schritt und eine tolle Anerkennung für die Arbeit hier vor Ort“, sagt Susanne Linnebach vom Amt für Wohnen und Stadterneuerung in Dortmund.

Die Diplom-Raumplanerin steht im Innenhof der Brunnenstraße 51 in der Dortmunder Nordstadt. Das Haus leuchtet in frisch gestrichenen Rot- und Rosa-Tönen. Weiß getünchte Stuckfiguren und Reliefs schmücken die Gründerzeitfassade. Das Projekt zeigt beispielhaft, wie die Abwärtsspirale, die eine Schrottimmobilie auslösen kann, auch in umgekehrter Richtung funktioniert.

Heute ein Vorzeigeobjekt: Die Brunnenstrasse 51 in der Dortmunder Nordstadt.

Heute ein Vorzeigeobjekt: Die Brunnenstrasse 51 in der Dortmunder Nordstadt.

„Als das Haus 2013 von der Dortmunder Gesellschaft für Wohnen aufgekauft wurde, war es in einem katastrophalen Zustand“, erinnert sich Susanne Linnebach. 22 Tonnen Müll wurden herausgeschleppt, die Kammerjäger trafen auf Ungezieferarten, die es in der Region eigentlich nicht gibt. Dann wurde das Haus saniert, im Rahmen eines Sozialprojekts auch mit Hilfe von Jugendlichen und Arbeitslosen aus der Nachbarschaft. Kaum war das Gebäude eingerüstet, passierte etwas, das Linnebach als Schneeballeffekt bezeichnet: „Mit dem Start des Umbaus fing auch der Besitzer des Nachbarhauses an, seine Immobilie zu renovieren und war am Ende sogar schneller fertig als wir. Es gab also direkt einen Aufwertungseffekt auf das Umfeld.“

 

Heute sind die Wohnungen der beiden sanierten Häuser komplett vermietet. In der Brunnenstraße 51 sind mit einer Ausnahme alle Bewohner unter 30 Jahre alt. „Die meisten sind Studenten, und es gab in den vergangenen drei Jahren nur vier Auszüge“, so Linnebach. Aber hat dieser Aufwertungseffekt eines instandgesetzten Hauses dieselben Kräfte wie die Abwärtsspirale der Schrottimmobilien?

Rund 80 Häuser in der Dortmunder Nordstadt fallen aktuell in die Kategorie „Problemimmobilien“. Vier sind bislang von der Stadt gekauft worden mit dem Ziel, sie abzureißen oder nach dem Vorbild der Brunnenstraße zu sanieren. Weitere sollen in den nächsten Monaten folgen. Kann diese verschwindend geringe Zahl tatsächlich zum Schneeballeffekt führen oder ist es eher der Tropfen auf dem heißen Stein? Susanne Linnebach ist vorsichtig optimistisch: „Natürlich können wir immer nur Impulse setzen. Und der Ankauf von Schrotthäusern alleine reicht nicht aus. Es sind viele Bausteine, die zusammengesetzt werden müssen. Dann sind wir auf einem guten Weg.“

„Nur abreißen nützt nichts“

Das sieht auch Hamms Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann so: „Nur abreißen nützt nichts. Wir müssen immer eine Kombination aus baulichen und sozialen Maßnahmen anbieten, damit die Menschen, die in den Häusern wohnen, auch eine Perspektive haben. Ob sie diese dann annehmen, ist eine andere Frage.“

Die Bewohner der Heessener Straße 4 haben sie angenommen. „Keiner von ihnen sitzt auf der Straße“, weiß Stadtentwicklungsgeschäftsführer Martin Zerle. Als er im vergangenen Jahr mit rumänischen und bulgarischen Übersetzern durch das Haus ging, um die Bewohner auf den Auszug vorzubereiten, war zur Sicherheit auch das Ordnungsamt mit dabei. „Völlig unbegründet“, sagt Zerle rückblickend. „Es gab keinerlei Aggressivität gegen uns. Im Gegenteil: Die Leute waren dankbar, weil wir ihnen Hilfe angeboten haben.“

Noch in diesem Jahr soll an der Heessener Straße ein neues Haus gebaut werden: kleiner als das alte, mit Laubengängen, die den Autolärm abhalten, und Wohn- und Schlafzimmern, die zum ruhigen Innenhof ausgerichtet sind, statt zur großen Straßenkreuzung. Der Neubau erfolgt von einem privaten Investor, aber bis es so weit ist, hat die Stadt Hamm – unterstützt durch das „Modellvorhaben Problemimmobilien“ – rund 2,7 Millionen Euro in den Kauf und Abriss der Schrottimmobilie gesteckt.

Oberbürgermeister Hunsteger-Petermann ist sich sicher, dass das Geld gut investiert ist, „denn die Frage ist ja: Welche Belastungen kommen auf die Stadt zu, wenn man alles so lässt? Gegen die laufenden Kosten für Hartz IV, Sozialamt und Ordnungsamt ist das einmal investierte Geld zu vernachlässigen. Unterm Strich rechnet sich das.“

Um auch die Hammer Bürger, um deren Steuergelder es schließlich geht, für das Konzept zu gewinnen, hat sich Hunsteger-Petermann etwas Ungewöhnliches einfallen lassen: In der Schrottimmobilie Heessener Straße 4 findet eine Abrissparty statt. Eine Abrissparty an einem Ort, wo bis vor kurzem noch Not und Elend das Bild prägten? Hamms Oberbürgermeister ist von seiner Idee überzeugt: „Wer das hier mit eigenen Augen gesehen hat, zweifelt nicht daran, dass wir das Richtige tun.“ Alexander Kruse

Ein Artikel aus dem WESTFALENSPIEGEL 4/2017.

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