Schlagfertig und argumentativ stark: Carla Reemtsma bei einer Demonstration von „Fridays for Future" im Herbst 2021. Foto: Imago Image/Eibner
22.09.2022

„Es braucht den Druck von der Straße“

Unter dem Motto #PeopleNotProfit ruft Fridays for Future (FFF) an diesem Freitag zum globalen Klimastreik auf. Carla Reemtsma ist ein Kopf der Bewegung. Als Studentin war sie in Münster als Klimaaktivistin erfolgreich. Nun arbeitet sie von Berlin aus für FFF.

Sie sagt, es sei schwer, Gehör zu finden, wenn man jung ist. Doch genau das hat sie geschafft. Nicht nur für sich, sondern für hunderttausende junge Menschen in Deutschland. Carla Reemtsma ist 24 Jahre alt, bereits seit über drei Jahren Sprecherin der Fridays-for-Future-Bewegung und durch ihre unermüdliche Präsenz in den Medien eine der bekanntesten Aktivistinnen bundesweit.

Wann sie begann, sich für Politik und Klima zu interessieren, kann sie gar nicht so genau sagen: „Eigentlich schon immer.“ In ihrem Elternhaus in Berlin wurde zwar nicht übermäßig viel über Politik gesprochen, doch Berührungen zu politischem Aktivismus gab es durchaus. „Meine Großmutter war in der Anti-Atomkraft-Bewegung aktiv“, erzählt Carla Reemtsma. Und auch das Talent, Meinungen zu vertreten und für eine Gruppe zu sprechen, zeigte sich schon früh: Sie war Klassen- und Schulsprecherin an ihrem Gymnasium.

Studium und Engagement in Münster

Als Carla Reemtsma 2016 ihr Studium an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster begann, entschied sie sich für die Fächer Politik und Wirtschaft, hierzulande keine sehr geläufige Kombination. Doch das Zusammenspiel interessierte sie, und wurde auch für sie plötzlich ganz konkret, als sie – zum ersten Mal von zu Hause ausgezogen – viele Konsumentscheidungen selbst habe treffen müssen: „Es bringt wenig, in unserer Wohngemeinschaft Ökostrom zu beziehen, wenn meine Uni gleichzeitig Millionen Euro bei RWE investiert.“

Was sie also machte? Sie engagierte sich bei der münsterschen Regionalgruppe von „Fossil Free“, einer Gruppe, die sich dafür einsetzt, dass öffentliche Institutionen nicht mehr in Kohle, Öl und Gasunternehmen anlegen, sondern nur noch in nachhaltige Fonds. Im Jahr 2018 erhielt die Gruppe den Umweltpreis der Stadt Münster für ihr Projekt „Kein Münsteraner Geld für Kohle, Öl und Gas! / Divestment in Münster“. In der Pressemitteilung hieß es zur Begründung: „Die Regionalgruppe hat entscheidenden Anteil daran, dass sowohl die Stadt Münster als auch die Westfälische Wilhelms-Universität Gelder aus klimaschädigenden Investitionsanlagen zurückgezogen haben.“

„Ich muss etwas tun“

Was für ein Erfolg. Doch sich darauf auszuruhen, ist nicht ihr Ding. Es geht immer weiter, stets hat sie das nächste Ziel vor Augen, die nächste Institution schon im Blick, die überzeugt werden muss.

Die Initialzündung für das, was Carla Reemtsma heute auf die Beine stellt, war die Rede von Greta Thunberg im Dezember 2018 auf der UN-Klimakonferenz in Kattowitz. „Ich habe diese Rede gesehen und gewusst, ich muss etwas tun“, erinnert sich Reemtsma. „Das war ein inspirierender Moment.“ Schon im Januar 2019 war sie dabei, begann in Münster, Demonstrationen zu organisieren, gründete eine Aktionsgruppe. Plakate malen, Veranstaltungen organisieren, Pressearbeit. Es wurde immer mehr, immer größer. Ein Hauptjob, wie sie selbst sagt.

Warum das so wurde, erkennt man schnell, wenn man sie bei ihren zahlreichen Fernsehauftritten und in Talkshows beobachtet. Bei einem ihrer ersten TV-Auftritte bei „hart aber fair“ erntete sie bereits großen Respekt, weil sie sich schlagfertig, argumentativ stark und sicher dem damaligen CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak stellte. Bei einem anderen Auftritt diskutierte sie mit dem Philosophen Richard David Precht auf Augenhöhe zum Thema „Revolution für das Klima – eine Generation steht auf“.

Demonstration für den Klimaschutz. Foto: Pixabay

Demonstration für den Klimaschutz. Foto: Pixabay

In ihren Interviews und Statements geht es ihr nicht nur um Tipps, wie jeder Einzelne nachhaltiger leben kann. Das sei alles gut und schön, meint sie, das eigentliche Problem behebe dies aber nicht. „100 große Konzerne sind für über 70 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich.“ Für eine klimagerechte Zukunft brauche es also klare Gesetze, anstatt darauf zu hoffen, dass die einzelnen Menschen die richtigen Entscheidungen träfen, die sie an vielen Stellen auch gar nicht treffen könnten. „Wer auf dem Land wohnt, muss Auto fahren. Wer wenig Geld hat, kann nicht immer nachhaltig einkaufen.“

Klimagerechtigkeit

Sie wendet sich gegen Floskeln, gegen Bequemlichkeit, spricht von systematischen Veränderungen, von „Klimagerechtigkeit“, die „auf keinem Wahlzettel steht“, von der Hoffnung in die Menschen und in die Politik. Sie weiß aber auch, dass die vergangenen zwei Jahre die öffentliche Wahrnehmung verschoben haben. Corona, Krieg, Inflation –andere Themen beherrschen die Medien. Dennoch: Umfragen hätten gezeigt, dass dem Klima immer noch eine große Rolle zugesprochen wird, dass es ein größeres Bewusstsein für das Thema gibt. Das merke sie auch bei Fridays for Future. „Wir stellen uns breiter auf“, sagt sie. „Und es gibt viel Nachwuchs.“

Den Bachelor-Abschluss an der Uni hat Carla Reemtsma ganz nebenbei auch gemacht. Seit zwei Jahren ist sie wieder in Berlin und studiert Ressourcenökonomik im Master. Ihr Berufsziel? „Es gibt nicht das eine logische Ziel“, sagt sie zurückhaltend. Sie wird oft gefragt, ob sie nicht einer Partei beitreten will, doch sie verneint schon seit Jahren. „Wir müssen uns außerhalb des Systems organisieren“, ist sich Carla Reemtsma sicher. „Es braucht den Druck von der Straße. Mein größter Beitrag für den Klimaschutz ist, dass ich politisch aktiv bin. Das ist der Hebel.“

Sabine Müller

Der Beitrag stammt aus Heft 4/2022 des WESTFALENSPIEGEL. Ihnen gefällt, was Sie hier lesen? Gerne senden wir Ihnen im Rahmen unseres Probeabos zwei kostenlose Ausgaben unseres Magazins zu. Hier geht es zum Probeabo

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