20.08.2012

Renaissance der Genossenschaften: Bürger retten leer stehende Läden und Gaststätten

Westfalen (wh). Angesichts leer stehender Läden und aufgegebener Gaststätten in westfälischen Dörfern nehmen die Bürger die Entwicklung ihrer Stadt selbst in die Hand " und gründen Genossenschaften zum Erhalt. Von der "Renaissance eines alten Wirtschaftsmodells" spricht der Rheinisch-Westfälische Genossenschaftsverband (RWGV).
Die "Gaststätte Franz" war viele Jahre in Tecklenburg-Brochterbeck eine Institution für Kaffee und Kuchen, Familienfeiern und den "Tanz bei Franz". Seit 2010 steht das historische Haus in der Dorfmitte leer. "Es stehen hohe Renovierungskosten an, das nimmt kein Investor in Kauf", berichtet Bürgermeister Stefan Streit. Nun wollen die Bürger des Ortes die Gaststätte mit einer Genossenschaft zu neuem Leben erwecken. 250 Euro sollen die Anteile kosten und die Renovierung und den Ankauf des Hauses mit insgesamt rund 200.000 Euro finanzieren, um es dann zu verpachten. Etwa jeder zweite Haushalt von Brochterbeck müsste bei dem Finanzierungsmodell mitmachen, damit es funktioniert.
Vorbild für die Brochterbecker Bürger ist "Unser Laden", ein genossenschaftlicher Lebensmittelmarkt in Ochtrup-Welbergen. Dieser stand 2010 eigentlich vor dem Aus " bis eine Genossenschaft den Laden kaufte und seitdem betreibt " inzwischen sogar mit einem kleinen Gewinn. "Die Menschen sehen sich in Zeiten der Globalisierung nach Ansprache und persönlichem Kontakt " eben nach dem guten, alten Tante-Emma-Laden", sagte Christoph Gottwald vom RWGV bei der Verleihung des Ideenfeuer-Preises 2011 an den Laden.
Gerade in Westfalen gründen Bürger oft Genossenschaften, berichtet RWGV-Sprecher Christian Fähndrich. "Die Agrargenossenschaften haben hier eine starke Präsenz. Viele Leute wachsen mit diesem Modell auf und kennen es gut", erklärt er. So wurden in der Region allein von Januar bis Juli 2012 neun Genossenschaften gegründet.
Eine davon ist der Dorfladen im sauerländischen Hüinghausen. Der Ortsteil von Herscheid hat eine Grundschule, einen Kindergarten, mehrere Vereine und einen Flugplatz, bis vor kurzem aber keinen Lebensmittelladen. Um das zu ändern, hat sich vor zwei Jahren eine Gruppe aus Bürgern zusammengetan, um den "Dorfladen" nach ihren eigenen Vorstellungen aufzubauen. Seit rund zwei Monaten werden nun in dem Geschäft Obst, Gemüse und Fleisch von lokalen Produzenten angeboten, es gibt eine Box mit kostenlosen Büchern und Zeit für ein Gespräch. Ermöglicht wurde das durch ehrenamtliche Helfer vom Handwerker bis zum pensionierten Bankdirektor und durch eine Genossenschaft. Durch die Ausgabe von Anteilsscheinen in Höhe von insgesamt 20.000 Euro konnte sie den Start des Ladens finanzieren. "Wir haben klar gesagt, dass die Anteilseigner in den nächsten Jahren nicht mit einer Ausschüttung von Gewinnen rechnen können und dass das Geld bei einem Misserfolg auch weg sein kann", berichtet die Initiatorin Anna Schulte. Doch offenbar überzeugten die Hüinghauser Bürger andere Werte: "Es gibt eine starke Verbundenheit im Dorf mit unserem Laden", erzählt Anna Schulte. "Familien können ihre Kinder zum Einkaufen zu uns schicken und das ist für viele eine ganz neue und tolle Erfahrung."

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