Christian Speck hat mit seinem Kompagnon in der Tischlerei 3form in Dortmund die Vier-Tage-Woche eingeführt. Foto: Jürgen Bröker
25.07.2023

Schöne neue Arbeitswelt?

Immer mehr Unternehmen testen die Vier-Tage-Woche, auch im Handwerk. Dahinter steht die Frage: Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?

Im Mai und Juni haben viele Arbeitnehmer ein Gefühl dafür bekommen, wie sie sich anfühlen könnte, die Vier-Tage-Woche. Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Fronleichnam – dank der Feiertage standen die Maschinen vielerorts einen Tag in der Woche still, mussten die Computer an nur vier statt an den üblichen fünf Tagen hochgefahren werden. Was die meisten Menschen nur ausnahmsweise erfahren durften, ist für die Mitarbeiter in der Dortmunder Tischlerei 3form Normalität. Und das schon seit drei Jahren.

Dort sägen, schleifen und schrauben die Tischler von Montag bis Donnerstag, dann ist Wochenende. Initiiert haben das die beiden Geschäftsführer des Möbelbauers Axel Schlüter und Christian Speck. „Wir standen damals vor der Frage: Wollen wir weiter wachsen oder passt uns die Größe unseres Unternehmens so, wie sie ist“, sagt Christian Speck. Statt immer noch mehr zu arbeiten, zogen die Geschäftsführer die Bremse. Sie entschieden sich, die Vier-Tage-Woche auszuprobieren, weil sie mehr Zeit für die Familie und andere Dinge außerhalb der Arbeit haben wollten.

Zwei Modelle für die Vier-Tage-Woche

Ihre Mitarbeiter haben sie auf diesem Weg mitgenommen. „Dabei haben wir über zwei Modelle nachgedacht“, erklärt Speck. Modell A: Die bisherigen 37,5 Wochenarbeitsstunden werden bei gleichem Lohn auf vier Tage verteilt. Das hätte einen längeren Arbeitstag bedeutet. Modell B: Die Kollegen arbeiten nur noch 32 Stunden in der Woche und verzichten dafür auf einen Teil des Gehalts. Bei 3form hat sich die zweite Variante durchgesetzt. Nur einer der fünf Gesellen wollte beim Fünf-Tage-Modell bleiben. Ihm waren die Einbußen für die spätere Rente zu groß. Er betreut nun am Freitag die Auszubildenden, für die eine Vier-Tage-Woche im Betrieb aufgrund tariflicher Vereinbarungen nicht möglich ist. Geschäftsführung und Mitarbeiter verständigten sich in der Folge in einer Betriebsvereinbarung auf eine einjährige Testphase. Diese ist so gut gelaufen, dass die Tischlerei dabei geblieben ist.


Lasse Rheingans Foto: Frederick Tanton

Der Bielefelder Lasse Rheingans berät Unternehmen zu New-Word-Methoden. Im Interview erklärt er, warum er an die Vier-Tage-Woche für jeden glaubt. Lesen Sie auch das Interview mit dem New-Work-Experten:
„Arbeit neu denken“


Dass sich Unternehmen aus Industrie, Handwerk, Handel oder auch Dienstleistung mit neuen Arbeitsmodellen – zusammengefasst unter dem Stichwort „New Work“ – befassen, hat zahlreiche Ursachen: So erleben wir einen Wandel der Arbeitswelt wie lange nicht mehr. Globalisierung und Digitalisierung haben in vielen Branchen die Abläufe und Anforderungen enorm verdichtet. Corona hat die Umsetzung von Methoden des New Work beschleunigt. So zum Beispiel beim Thema Homeoffice. Viele Unternehmen sind bei den in der Pandemie erprobten Lösungen geblieben. Das bedeutet aber auch: Die Arbeit kommt ins Zuhause. Grenzen zwischen Freizeit- und Arbeitswelt verschwimmen.

Work-Life-Balance wird wichtiger

Zugleich drängt eine neue Generation von potenziellen Mitarbeitern auf den Markt, für die Karriere und ein hoher Verdienst längst nicht mehr alles sind. Viele junge Menschen legen mehr Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance als auf ein gut gefülltes Bankkonto. Hinzu kommt der Fachkräftemangel. Der Arbeitgebermarkt, in dem sich Unternehmen die Mitarbeiter aussuchen konnten, ist Geschichte. Die Bewerber haben die Karten in der Hand. Im Werben um neue Mitarbeiter müssen sich die Unternehmen also etwas einfallen lassen. Zum Beispiel die Vier-Tage-Woche.

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Aber werden wir bald alle nur noch von Montag bis Donnerstag arbeiten? Experten wie Lasse Rheingans, dessen Bielefelder Agentur andere Unternehmen auf dem Weg zu New-Work-Arbeitsmodellen berät und begleitet, jedenfalls glauben, „dass kein Unternehmen darum herumkommen wird, die Vier-Tage-Woche als Basismodell einzuführen.“ Er begründet das so: „Zum einen erzeugt der Fachkräftemangel einen enormen Druck auf die Unternehmen. Auf der anderen Seite wird es sicher irgendein ,verrücktes’ Unternehmen aus der gleichen Branche geben, das den Mut hat, die Vier-Tage-Woche einzuführen. Dann geht die gesamte Fachkräftemannschaft in diese Richtung. Schließlich hängt die Entscheidung, für welches Unternehmen ich arbeiten möchte, auch von der Lebensqualität ab, die mir der Arbeitgeber verspricht.“

„Für die Umsetzung braucht es auch Mut und Kreativität“

Erste Studien zu dem Thema zeigen, dass Rheingans mit seiner Vermutung richtig liegen könnte. So kamen bei einer Untersuchung aus Großbritannien, an der knapp 3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 61 Firmen teilgenommen haben, viele positive Effekte für die Angestellten heraus. Demnach waren sie motivierter, weniger gestresst und fehlten seltener. 56 der 61 Unternehmen wollen daher an der Vier-Tage-Woche festhalten. Ganz ähnliche Erfahrungen hat auch die Geschäftsleitung der Tischlerei 3form gemacht. „Unser Krankenstand hat sich verringert, die Mitarbeiter sind entspannter, auch weil wir unsere Abläufe besser organisiert haben“, erklärt Geschäftsführer Speck. Er freut sich darüber, dass inzwischen mehr über flexible Arbeitszeitmodelle diskutiert wird. Speck glaubt, dass Unternehmen in vielen Branchen ähnliche Modelle entwickeln könnten. Aber: „Für die Umsetzung braucht es auch Mut und Kreativität. Man muss es einfach machen.“

Jürgen Bröker, wsp

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version der Reportage „Schöne neue Arbeitswelt?“ aus Heft 4/2023 des WESTFALENSPIEGEL. Im Magazinbeitrag lesen Sie außerdem, wie Kommunen, Handwerkskammern oder auch Pflegestationen in Krankenhäusern New-Work-Methoden thematisieren und umsetzen. Hier können Sie das Magazin kostenlos im Rahmen unseres Probeabos bestellen: Zum Probeabo 

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