Buchstaben sind für Millionen Menschen immer noch eine Hürde. Der Weltalphabetisierungstag macht auf die Chancen vom späten Lernen aufmerksam. Foto: pixabay
08.09.2022

Schreiben lernen nach der Schule

Das „Alfa-Telefon“ in Münster hilft Menschen bundesweit, die nicht richtig lesen und schreiben können. 6,2 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen. Zum Weltalphabetisierungstag macht der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung auf Chancen aufmerksam.

Gegründet wurde der Verband 1984 als „Schreibwerkstatt für neue Leser und Schreiber“ in Münster von dem Pädagogen Peter Hubertus. Er rief 1995 das „Alfa-Telefon“ ins Leben. Erwachsene mit Lese- und Schreibschwierigkeiten konnten dort anrufen und wurden – anfangs noch persönlich von Hubertus – beraten. Die Kampagne „Schreib dich nicht ab“ rückte in den 1990er Jahren die Aufmerksamkeit auf das Thema Analphabetismus und machte das „Alfa-Telefon“ als anonymes und niederschwelliges Hilfsangebot bekannt.

Damals wie heute stehen Menschen mit sogenanntem funktionalem Analphabetismus im Fokus der Aufklärung und Beratung, berichtet Dr. Nicole Pöppel, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Analphabetisierung und Grundbildung: „Viele dieser Menschen können sich mit Grundkenntnissen im Alltag zurechtfinden. Schwierig wird es für sie jedoch, wenn sie zum Beispiel am Arbeitsplatz neue Aufgaben erhalten, wenn sie beim Arzt ein Formular ausfüllen müssen oder sich informieren wollen.“ Die Digitalisierung sei für viele Betroffene nicht unbedingt eine Erleichterung, sondern eine zusätzliche Hürde, bilde doch das Verständnis von Texten oft die Voraussetzung, um online Dinge erledigen zu können.

Anruf beim „Alfa-Telefon“ als erster Schritt

Betroffene suchen sich häufig aber erst in einer späteren Lebensphase Unterstützung, erzählt Pöppel. Der Anruf beim „Alfa-Telefon“ ist dann oft der erste Schritt zum Erlernen von Lesen und Schreiben. „Wir informieren kostenlos und anonym über Lern- und Unterstützungsangebote in der Nähe, zum Beispiel in Volkshochschulen“, berichtet die Geschäftsführerin, die selbst mehrere Jahre als Kursleiterin in Siegen tätig war. Das Erlernen von Lesen und Schreiben als Erwachsener brauche Zeit, bedeute aber für viele Betroffene einen Aufbruch. „In den Kursen erfahren sie, dass andere Menschen ähnliche Schwierigkeiten haben. Wenn dann die ersten Fortschritte gemacht sind, bedeutet das für viele Lernende einen Schritt zu mehr Unabhängigkeit, der viele Lebensbereiche positiv beeinflusst“, erzählt Pöppel.

Zum heutigen Weltalphabetisierungstag will der Verband auf diese Chancen aufmerksam machen, wirbt aber auch um Verständnis. Immerhin sei jeder achte Deutsche betroffen. „Ob Angehörige oder Kollegen – jeder kann Menschen, die Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben haben, ermutigen, sich Unterstützung zu suchen und zu lernen“, appelliert die Verbandsleiterin.

Das „Alfa-Telefon“ ist unter der Nummer 0800/53334455 erreichbar.

aki/wsp

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