Übt heftige Kritik an den Plänen der Landesregierung zur schrittweisen Schulöffnung und zur Durchführung von Prüfungen: GEW-Landesvorsitzende Maike Finnern. Foto: GEW
16.04.2020

Schulen öffnen – Kritik an geplanten Prüfungen

In Nordrhein-Westfalen sollen die ersten Schüler bereits am kommenden Donnerstag (23.4.2020) wieder zur Schule gehen und sich auf die Prüfungen vorbereiten können. Kritik an den Plänen kommt von verschiedenen Seiten.

Die schrittweise Öffnung der wegen der Corona-Pandemie seit dem 16. März geschlossenen Schulen ist von Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder beschlossen worden. In NRW sollen zunächst die Abschlussklassen wieder die Möglichkeit haben, den Unterricht zu besuchen.

Somit haben die Abiturienten und die Schüler der 10. Klassen im Land nun Gewissheit, wie es für sie weitergeht. Sie sollen von der nächsten Woche an bis zum 8. Mai auf freiwilliger Basis wieder den Unterricht besuchen können und anschließend ihre Prüfungen ablegen. Landesweit stehen etwa 150.000 Schülerinnen und Schüler vor ihrem Abschluss. Schulministerin Yvonne Gebauer stellte klar: „Es wird keinen normalen Kurs- und Klassenbetrieb geben.“ Stattdessen sollen die Klassen aufgeteilt werden. Wie das organisiert wird, soll in den kommenden Tagen erarbeitet werden.

„Mich macht der Beschluss fassungslos“

Bei der Lehrergewerkschaft GEW und bei der Landesschülervertretung stößt die Regelung auf wenig Verständnis. „Mich macht der Beschluss fassungslos“, sagt Maike Finnern, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aus Bielefeld, im Gespräch mit westfalenspiegel.de. Vor allem das Festhalten an den Abschlussprüfungen ist der Gewerkschaft ein Dorn im Auge.

Nicht alle Schüler haben die Möglichkeit Zuhause digital zu arbeiten. Foto: pixabay

Nicht alle Schüler haben die Möglichkeit, Zuhause digital zu arbeiten. Foto: pixabay

Nach Finnerns Auffassung könnten die Prüfungen auf gar keinen Fall gerecht ablaufen. Zu unterschiedlich seien die Voraussetzungen beim Unterricht zuhause in den vergangenen Wochen gewesen. Damit meint sie nicht nur den teilweise fehlenden Zugang zu notwendigen Endgeräten. „Einige Schüler, die jetzt vor dem Abschluss stehen, müssen sich auch stärker in der Familie einbringen. Etwa in der Betreuung kleinerer Geschwister. Das wird sich in den kommenden Wochen eher noch verstärken“, sagt Finnern. 

Schülerverteter plädierten für Wahlmöglichkeit

Auch die Landesschülervertretung (LSV) NRW übt Kritik an den Beschlüssen. „Wir haben in den vergangenen Wochen immer wieder eine Wahlmöglichkeit gefordert“, sagt Johanna Börgermann, Vorstandsmitglied der Landesschülervertretung NRW gegenüber westfalenspiegel.de. Demnach hätte jeder Schüler für sich entscheiden sollen, ob er eine Prüfung ablegen wolle oder nicht. Zwar hätte die Politik die Meinung der Landesschülervertreter angefragt, „umgesetzt wurden unsere Vorschläge aber nicht“, sagt Börgermann. Die Schülerin des städtischen Gymnasium in Löhne ist „froh, dass ich in diesem Jahr kein Abitur machen muss.“

Positiv bewertet die LSV die Entscheidung, vor den Abiturprüfungen zwei Wochen freiwilligen Unterricht stattfinden zu lassen – sobald die dafür notwendigen hygienischen Voraussetzungen erfüllt sind. Auch die GEW hat zu den Hygienemaßnahmen weitere Fragen. So sei bisher nicht geklärt, welche Unterstützung durch die Schulträger und Gesundheitsämter die Schulleiter erhalten, damit sie sämtliche Vorbereitungen für einen risikolosen Hygieneschutz in ihren Schulen treffen könnten. Zudem sei offen, wie Lehrer und Schüler, die selbst zu Risikogruppen für eine Covid-19-Erkrankung zählten, oder aber mit Menschen zusammenlebten, die ein erhöhtes Risiko für die neue Lungenerkrankung haben, geschützt werden könnten.  

Städte fordern Hygienestandards an Schulen

Die Städte und Gemeinden in NRW bereiten sich inzwischen auf eine Wiederaufnahme des Schulbetriebs vor. „Die schrittweise Öffnung der Schulen stellt eine enorme Herausforderung dar, da enger Kontakt zwischen Kindern im Schulalltag kaum vollständig zu vermeiden sein wird“, erklärte Dr. Bernd Jürgen Schneider, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW. „Im Schulbetrieb müssen wir nun vor allen Dingen auf Hygiene, Abstandhalten und die Kapazitäten bei Personal und Räumlichkeiten achten.“ Bislang gebe es zum Beispiel keine einheitlichen Hygienestandards für den Schulbetrieb, keinen Zeitplan für die Staffelung des Unterrichts sowie keine Aussage zur Notwendigkeit und Verfügbarkeit von Ressourcen wie Masken, Desinfektionsmitteln oder Tests. Auch ob eine Schule bei einem nachgewiesenen Fall der neuen Lungenkrankheit erneut schließen muss, sei eine dringliche Frage, die beantwortet werden müsse.

Thomas Hunsteger-Petermann, Vorsitzender des Städtetages NRW und Oberbürgermeister der Stadt Hamm sagte: „Die Städte in NRW finden es richtig, dass es jetzt eine Perspektive gibt, die Beschränkungen zu lockern.“ Es seien aber gerade in Bezug auf die Öffnung der Schulen noch viele Vorbereitungen nötig. „Die Schulen müssen grundgereinigt werden, die hygienischen Voraussetzungen geschaffen, Räume vorbereitet und der Schülerverkehr organisiert werden“, so Hunsteger-Petermann weiter. Da der Aufwand enorm sei, hätten die Städte das Land gebeten, erst am 27. April mit dem Unterricht in den Schulen für die Prüfungsklassen zu beginnen.

Weitere Öffnung soll schrittweise erfolgen

Zu einem späteren Zeitpunkt sollen die Schulen dann auch wieder für die 4. Klassen der Grundschule sowie die Jahrgänge, die im kommenden Jahr ihren Abschluss machen, geöffnet werden. Wenn es die Entwicklung der Zahlen zulässt, wird der Unterricht bis zu den Sommerferien auch wieder für alle Schüler möglich sein. Allerdings nicht im herkömmlichen Klassenverbund, stellte Ministerin Gebauer klar. Das Landeskabinett hat zudem beschlossen, das Betreuungsangebot in den Kitas zu erweitern. Einzelheiten dazu sollen zeitnah bekannt gegeben werden.

Jürgen Bröker/wsp

 

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