Solistin mit Charakter
Die Stadt Soest, lange Zeit die größte und bedeutendste Stadt Westfalens, feiert ihren 1400. Geburtstag.
Soest spielt seit jeher eine besondere Rolle. Eine Solistin im Konzert der westfälischen Städte. Andere sind an ihr vorbeigezogen, was schiere Größe, Wirtschaftskraft und Dynamik angeht. Aber die Stadt am Hellweg hat etwas bewahrt, was andernorts verloren gegangen ist: Identität, Eigenständigkeit, Charme und Charakter. Die fruchtbare und quellenreiche Region rund um das heutige Soest war schon seit der Steinzeit besiedelt. In karolingisch-ottonischer Zeit befestigten die Soester ihre Siedlungszelle rund um die St. Petrikirche. 965 wurde dann das Patroklistift auf der Grundlage des Testaments des Kölner Erzbischofs Bruno gegründet. Und dann ging es richtig los! Die Bürger ummauerten ein gigantisches Gelände von 102 Hektar und bewehrten es mit nicht weniger als 27 Türmen, von denen einer erhalten ist. Zehn mächtige Tore schützten die Stadtbevölkerung.
Einst die bedeutendste Stadt Westfalens
Soest war um 1450 mit rund 10.000 Einwohnern die größte, reichste und bedeutendste Stadt Westfalens. Ihre Rechtsvorstellungen schrieb sie auf Kuhhäuten nieder, die immer noch im Stadtarchiv in Ehren gehalten werden. Das Soester Stadtrecht wurde zum Vorbild für nicht weniger als 65 Städte im gesamten norddeutschen Raum. Die Kaufleute, die sich an den Märkten und entlang der Ausfallstraßen prächtige Häuser bauten, betätigten sich am hochprofitablen hansischen Fernhandel im Ostseeraum bis hin zum Baltikum. Besonders das rund um Soest gewonnene Salz war hoch begehrt. Aber auch das reiche Umland, die Börde mit ihren 48 Bauerndörfern, sorgte auf den Märkten für verlässlichen Wohlstand. Und so bauten die Soester „Pfeffersäcke“ eine Kirche nach der anderen, in jedem Stadtteil, den sie „Hofe“ nannten, eine. Sieben von den acht sind heute immer noch vorhanden. Hinzu kommen die vielen Kapellen, alle im unverwechselbaren regionalen Sandstein errichtet. In der Soester Fehde 1444 bis 1449 schüttelten Rat und Bürgerschaft die weltliche Oberhoheit Kölns ab und schlossen sich dem Herzog von Kleve an. Um sich gegen tatsächliche und vermeintliche Feinde verteidigen zu können, ließen die Herren viele tausend Armbrustbolzen anfertigen, die die Zeitläufte im mächtigen Turm des Patroklistifts überdauerten und sich heute im letzten erhalten Stadttor, dem Osthofentor, befinden – eine Waffensammlung, die weltweit ihresgleichen sucht.
Der Dreißigjährige Krieg und spätere Konflikte zerstörten manches, aber die Soester bauten ihre Stadt immer wieder auf. Nachdem sie unter die Brandenburger und dann unter die Preußen gekommen waren, ging jedoch ihre Selbstständigkeit verloren. Mit der einstigen Pracht und Größe war es nun vorbei. Soest fiel in einen Dornröschenschlaf, auch wenn es noch 1843 mehr Einwohner zählte als Dortmund. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entdeckten junge Maler die eigenwillige Schönheit der Stadt. Im Museum Wilhelm Morgner direkt neben St. Patrokli hat die reiche Kunstsammlung eine Heimat gefunden.
„So ist Soest“
Die Luftangriffe des Zweiten Weltkriegs trafen Soest schwer, aber irgendwie ist es den Bürgern gelungen, die Aura, das Unverwechselbare der alten Straßen und romantischen Winkel zu bewahren. An die „autogerechte Stadt“ wollte man hier nicht so recht glauben. Bürgermeister und Rat legten den alten Wegeplan und die überkommenen Traufenhöhen bei der Rekonstruktion zugrunde. „So ist Soest“ – um hier einen Werbeslogan des Stadtmarketings zu zitieren. Die Bürgerinnen und Bürger sind eben stolz auf ihre Stadt, ihre Kultur und ihre Traditionen.
Dieser Beitrag ist zuerst in Heft 4/2024 des WESTFALENSPIEGEL erschienen. Möchten Sie mehr lesen? Gerne senden wir Ihnen zwei kostenlose Ausgaben unseres Magazins zu. Hier geht es zum Schnupperabo.
Heute zählt Soest rund 48.250 Einwohner. Eine lebendige Mittel- und Kreisstadt im Herzen Westfalens. Eine Stadt der Schulen, mit einem Landesinstitut und einer Fachhochschule, mit modernen Dienstleistern und Industriebetrieben. Integraler Mittelpunkt aber ist und bleibt das historische Zentrum. Und dort wird in diesem Jahr der 1400. Geburtstag der Stadt gefeiert. Wobei das Datum der ersten namentlichen Erwähnung, so sagen es jedenfalls die Historiker übereinstimmend, auf einer Fälschung beruht. Die Dagobert’sche Schenkung, von der ein unbekannter Mönch im 12. Jahrhundert fabulierte, hat es wohl nie gegeben. Zweifel sind jedenfalls angebracht. Aber das lässt die Soester kalt. Immerhin haben die Bürgerschützen schon 1924 und 1974 dieses Jubiläum festlich begangen. Wie die Soester feiern können, beweisen sie alljährlich mit der „Allerheiligenkirmes“, die erstmals 1338 urkundlich erwähnt wurde und die die gesamte Altstadt mit Budenzauber erfüllt. Aber vorher gibt es in diesem Jahr noch ein Stadtfest, das zum 1400. Geburtstag viele kulturelle, musikalische und sportliche Highlights verspricht.
Volker Jakob