Starkregen kann die Kanalisation überfluten. Größer planen sollten die Kommunen die Kanäle aber nicht, sagt Experte Marco Schlüter. Foto: Pixabay
14.07.2021

„Starkregenvorsorge ist ein Thema für die gesamte Stadtgemeinschaft“

Am Institut für Unterirdische Infrastruktur in Gelsenkirchen gibt es regelmäßig Fortbildungen zum Thema „Beratung und Management der Starkregenvorsorge“. Diese richtet sich an Fachleute aus Ingenieurbüros und Kommunen. Diplom-Ingenieur Marcus Schlüter leitet diese Lehrgänge. Mit ihm hat der WESTFALENSPIEGEL über den Schutz der „eigenen vier Wände“  bei Starkregenereignissen und die Verantwortung der Kommunen gesprochen. 

Wie können Kommunen ihre Bürger vor lokalen Starkregenereignissen schützen?
Jeder Bürger ist nach Wasserhaushaltsgesetz zunächst mal selbst verantwortlich (WHG §5) . Ein vollständiger Schutz ist nicht möglich, es gibt jedoch Möglichkeiten vorzusorgen und manchmal kann mit vertretbarem Aufwand schon ein deutlich höheres Sicherheitsniveau erreicht werden. Nach einer ersten Gefährdungsbeurteilung, zum Beispiel auf Basis einer Starkregengefahrenkarte, können die Risiken von der Kommune analysiert werden und sogenannte Hotspots bearbeitet werden, so können risikobehaftete Fließwege entschärft werden durch Rückhaltung in Mulden und/oder umgelenkt werden in Notwasserwege.

Was kann der einzelne Bürger tun, um sein Grundstück zu schützen?
Da gibt es verschiedene Vorsorge-Schwerpunkte. Zum einen sollte ich das Gebäude gegen flutendes Wasser schützen. Dazu spielt man einfach durch wie es wäre, wenn sich Wasser von außen auf dem eigenen Grundstück aufstaut. Dann erkennt man die Schwachstellen und auch viele Schutzmöglichkeiten, zum Beispiel durch Grundstückseinfassungen, Schwellen, eine Änderung der Gefällesituation der Oberfläche oder Ähnliches. Eine Erhöhung von Hauseingängen und Lichtschachtoberkanten oder wasserdichte Kellerfenster und Türen bieten weiteren Schutz. Grundsätzlich ist es sinnvoll, auf wasserundurchlässige Flächen zu verzichten, um die Abflussspitzen im Siedlungsgebiet zu dämpfen.

Worauf kann ich noch achten?
Der Rückstauschutz gegen Abwasser aus der Kanalisation ist wichtig. Das Abwasser kann sich in der Kanalisation bis auf Höhe des Straßenniveaus aufstauen. Durch den Wasserdruck kann das Abwasser dann zurück in Richtung des Hauses gestaut werden und an den Ablaufstellen im Keller, wie Bodeneinläufe, Duschen und Waschmaschinenanschlüssen austreten, wenn diese nicht gegen Rückstau gesichert sind. Deswegen müssen Hauseigentümer, die Entwässerungsgegenstände unterhalb der Rückstauebene haben, diese gegen Rückstau aus dem Kanal sichern. Wenn solche Rückstausicherungen eingebaut sind, müssen sie auch gewartet werden, ansonsten können sie genau dann versagen, wenn sie gebraucht werden.

Und wenn der Keller doch überflutet wird?
Größere Schäden können vermieden werden, wenn wertvolles Inventar nicht direkt auf dem Boden, sondern auf Wandregalen gelagert wird, so sollten Elektrogeräte auf ein Podest gestellt werden. Besonders ist darauf zu achten, dass Heizöltanks gegen Auftrieb zu sichern sind und deren Anschlüsse und Öffnungen gegen Wassereintritt geschützt sind. Denn wenn Heizöl austritt, kann es in das Mauerwerk eindringen und aufwendige Sanierungsmaßnahmen notwendig machen. Eine Wasserpumpe vorzuhalten, die einsatzbereit installiert ist, kann helfen, die Überflutung möglichst schnell zu beseitigen. Ein Überprüfen des Versicherungsschutzes im Hinblick auf Schadensersatz bei Schäden durch einen Abwasser-Rückstau und Überflutung ist grundsätzlich ratsam.

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Müssten die Städte angesichts der steigenden Zahl von Starkregenereignissen nicht ihre Kanalisation anpassen?
Wenn man sich mit Starkregenvorsorge beschäftigt, erkennt man schnell, das die Starkregenvorsorge ein Thema für die gesamte Stadtgemeinschaft ist und nur gemeinsam zu lösen ist. Häufig hört man den Ruf der Bürger nach größeren Abwasserkanälen. Doch es ist ingenieurtechnisch betrachtet ineffizient, das Abwassersystem nicht nur für Abwasser, sondern auch zur Aufnahme von sturzflutartigen Regenfällen auszubauen.

Warum das?
Bei Starkregen konzentrieren sich große Regenmengen, die sonst über das ganze Jahr verteilt niedergehen, auf einen sehr kurzen Zeitraum und auf ein regional sehr begrenztes Gebiet. Zudem ist nicht vorhersehbar, wo der Starkregen sich konzentrieren wird. Diese Starkregen sind eine kurzzeitige und seltene Sondersituation im Wasserkreislauf, teils hundertjährliche Ereignisse. Der Abfluss findet über das Oberflächensystem von Straßen, Grünflächen und Grundstücken statt. Um dem Ereignis „die Spitze“ zu brechen, ist die effizientere Lösung im Gelände geeignete Fließwege und Rückhalteräume zu gestalten. Demgegenüber sind größere Abwasserkanäle technisch und auch wirtschaftlich betrachtet, nicht das Mittel der Wahl. Deswegen arbeitet die kommunale Stadtentwässerung gemeinsam mit der Straßenplanung, dem Grünflächenamt und weiteren Fachämtern an guten Lösungen. Der Regen braucht einfach Raum, sehr schnell und unmittelbar dezentral viel Raum, wo er sich unschädlich ausbreiten kann.

Wie hilft das IKT den Kommunen? 
Zum Beispiel mit dem „Starkregen-Check Kanalbetrieb“. Dieser dient zur bestmöglichen operativen Vorbereitung der Kanalbetriebe auf Starkregen sowie zur Bewältigung einer möglichen Krisensituation. Es geht dabei konkret um einfache betriebliche und organisatorische Maßnahmen des Kanalbetriebs, die unmittelbar vor einem prognostizierten Ereignis schnell und zeitnah umgesetzt werden können, und nicht um aufwändige und kostenintensive Baumaßnahmen an bestehenden Netzen. Das IKT hat das Konzept entwickelt und begleitet die Kommunen bei der Umsetzung.

Interview: Jürgen Bröker/wsp

Mehr dazu, wie sich Kommunen in Westfalen auf den Klimawandel einstellen, lesen Sie auch hier: Klimawandel – und jetzt?

Weitere Informationen zum IKT und zu den angebotenen Fortbildungen dort finden Sie hier.

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