11.03.2021

Studieren im Kinderzimmer

Die Corona-Pandemie hat das Leben an den Hochschulen ausgebremst. Forschung und Lehre gehen weiter – zumeist online.

Zwei Online-Semester liegen bereits hinter den Studierenden und den Dozenten, ein weiteres wird im Sommer an den meisten Hochschulen folgen. Für viele junge Menschen ist damit die Freiheit des Studentenlebens dahin. Vorlesungen finden am PC oder Tablet und häufig wieder zuhause bei den Eltern im alten Kinderzimmer statt. Treffen mit den Kommilitonen sind nicht möglich. Keine einfache Situation.

Für diejenigen, die zum Wintersemester 2020/21 direkt aus der Schule in das Online-Studium gestartet sind, sei die Situation besonders schwierig, erklärt Norbert Robers, Sprecher der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster: „Die Erstsemester starten voller Euphorie und gespannter Erwartung in ihren neuen Lebensabschnitt. Denn beim Studium geht es neben dem Wissenserwerb auch darum, das studentische Leben und das Hochschulleben allgemein zu erleben. Auf diese Eindrücke müssen sie bedauerlicherweise größtenteils verzichten.“

„Ich habe mich auf das Studentenleben gefreut“

Diese Erfahrung hat auch Josephine Reddemann aus Recklinghausen gemacht. Sie studiert im ersten Semester Jura an der WWU. Eigentlich wollte sie längst auf eigenen Beinen stehen, eine eigene Wohnung in Münster haben. Doch nun lebt und studiert sie zuhause bei ihren Eltern. „Die Motivation zum Online-Studium war am Anfang sehr schwer. Ich habe mich auf das Studentenleben gefreut, auf mehr Freiheit, auf die erste eigene Wohnung. Bei uns, den Studienanfängern 2020, ist das alles weggefallen. Wir konnten noch nicht mal unser Abi feiern und die Schulzeit richtig abschließen“, sagt die 18-Jährige.

Online-Semester bieten den Studierenden kaum Möglichkeiten für Begegnungen. Foto: WWU Münster

Online-Semester bieten den Studierenden kaum Möglichkeiten für Begegnungen. Foto: WWU Münster

Reddemann und die anderen Studierenden der WWU müssen sich auf ein weiteres Online-Semester einstellen. Denn damit sowohl Studenten als auch Lehrende Planungssicherheit haben, hat die Hochschule entschieden, auch das Sommersemester 2021 wieder digital stattfinden zu lassen. Daran wird sich auch bei sinkenden Inzidenzzahlen voraussichtlich nichts ändern. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne praktische Kurse und auch Prüfungen in Präsenz stattfinden, insgesamt werde das Sommersemester aber als digitales Semester durchgezogen, so Robers.

Neue Erfahrung für Dozenten

Nicht nur Studierende auch die Dozenten müssen sich umstellen. „Für mich ist es einfacher, im Hörsaal oder Seminarraum zu unterrichten. Jetzt spreche ich in einen virtuellen Raum hinein, sehe die Gesichter nicht. Normalerweise suche ich den direkten Kontakt und bekomme so auch besser mit, ob die Studierenden den Stoff verstanden haben“, sagt zum Beispiel Wolfgang Wiesmann, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bochum. Auch dort finden Vorlesungen und Seminare online statt.

Das bringt noch weitere Nachteile mit sich: „Studieren hat sehr viel mit Vertrauen zu tun. Zum Beispiel, wenn es darum geht, wer meine Abschlussarbeiten und Praxisphasen betreut, oder worauf ich meinen Schwerpunkt lege. Dazu müssen die Studierenden aber auch die Chance haben, den Dozenten persönlich zu erleben. Das geht aktuell nur sehr eingeschränkt“, sagt Wiesmann.

Im Online-Semester werden auch finanzielle und private Schwierigkeiten der jungen Menschen deutlicher. Aushilfsjobs fallen weg, teilweise sind auch die Eltern im Job betroffen. Das könne für weitere Spannungen sorgen und mache das Studieren von zuhause aus zusätzlich schwer, erklärt Wiesmann.

Schlagzeug zur Entspannung

Manch ein Student nutzt diese Phase aber auch, um sich noch stärker auf den Lernstoff zu konzentrieren. „Einige Prüfungen stehen an, darauf konzentriere ich mich. Es gibt ja sonst auch kaum Ablenkung“, sagt Yannis Vogler, der im dritten Semester Management und Economics in Bochum studiert. Kontakt zu Kommilitonen hat er derzeit kaum, nur zu einer kleinen Gruppe, mit der er einen Englischkurs macht.

Auch wenn er das Studieren von zuhause aus sehr eintönig findet, hat er durchaus einen Vorteil ausgemacht. „Weil die meisten Vorlesungen aufgezeichnet und immer abrufbar sind, kann man bei manchen Veranstaltungen den Stoff besser nachvollziehen“, so der 19-Jährige. Und wenn ihm zuhause doch mal die Decke auf den Kopf fällt? „Dann fahre ich in den Proberaum unserer Band und tobe mich allein am Schlagzeug aus“, sagt er.

Jürgen Bröker/wsp

Lesen Sie auch unser Interview mit dem Studierendenpfarrer Ulrich Melzer. Er berichtet über die Sorgen und Nöte der jungen Menschen, erklärt aber auch, warum er die Studierenden bewundert: „Das ist ein enormer Bruch“ 

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