Die Musik gibt den Puls vor: Tobias Karsten mit Tanzpartnerin Inka Hauptvogel im "El Beso" in Münster. Foto: Jürgen Bröker
29.06.2023

Swingendes Glück

Kaum ein Tanzstil steht so sehr für Lebensfreude wie der in den 1920er Jahren entwickelte Lindy Hop.

Nach und nach trudeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Lindy-Hop-Kurses von Tobias Karsten im „El Beso“ in Münster ein. Ein Ort wie geschaffen für diesen Tanz. Ein paar einfache dunkle Holzstühle stehen an runden Tischen mit dicken Kerzen darauf. Von der Decke hängen Kristallleuchter, links vom Eingang lädt eine Bar zum Verweilen ein und auf dem dunklen Parkettboden sind die Spuren von so mancher Tanzsession zu sehen. Fast könnte man meinen, einen Zeitsprung in die 1920er oder 1930er Jahre gemacht zu haben. Auch die Musik passt: Beschwingte Klänge längst vergangener Tage tönen aus den Boxen. Schon vor der Unterrichtsstunde wippen die Tänzerinnen und Tänzer in den Knien, swingen sich ein. „Das ist das Schöne am Lindy Hop: Die Musik gibt den Puls vor. Die Musik bewegt den Tänzer. Man kann sich so bewegen, wie man die Musik fühlt“, sagt Karsten.

Aktive Lindy-Hop-Szene

Lindy Hop stammt aus der Familie der Swingtänze. Entstanden ist er in den 1920er Jahren in der schwarzen Community in den USA. Wichtigster Ort damals: der Savoy Ballroom im New Yorker Stadtteil Harlem. Der Ballroom galt als Schmelztiegel verschiedenster Musik- und Tanzkulturen. Wirklich bekannt wurde der Lindy Hop aber erst später, vor allem durch Tanz-Formationen wie die Whitey’s Lindy Hoppers. Ihre Künste waren in den 1930er- und 1940er-Jahren auf Bühnen und Kino-Leinwänden zu sehen. Kreativer Kopf der Gruppe war Frankie Manning. Er habe den Lindy Hop geprägt wie kaum ein anderer, sagt Karsten. In Westfalen gibt es heute eine durchaus aktive Lindy-Hop-Szene. Sie reicht von Ostwestfalen-Lippe über Münster bis ins Ruhrgebiet. Im Raum Detmold, Bielefeld, Herford belebte Maja Bernard diese Szene als eine der ersten. Als Jugendliche stand sie zunächst auf Rock’n’Roll, ging im Petticoat zur Schule. In den 1990er Jahren kam sie durch den Film „Swing Kids“ dann zum Lindy Hop. „Swingmusik und Lindy Hop haben einfach meine Seele berührt“, sagt sie. Gemeinsam mit ihrem Partner hat sie in der Folge Musik aufgelegt. Vor allem Jazz und Swing. Irgendwann haben die beiden auch getanzt und gesehen, dass es den Leuten gefällt. Noch gab es für solche Lindy-Hop-Abende aber kein Angebot. Auch Tanzkurse fehlten. Bernard zog als Swing-DJane – stilecht gekleidet – umher, bot Kurse im Lindy Hop an. „Für mich sind solche Abende ein Sprung ins Gestern. Da blüht meine Seele auf“, erklärt sie. Corona habe die Szene allerdings ausgebremst. Erst langsam kehrt der alte Schwung zurück.

Maja Bernard als Swing-DJane "Miss Rhapsody". Foto: privat

Maja Bernard als Swing-DJane „Miss Rhapsody“. Foto: privat

In Münster startete die Lindy-Hop-Szene Mitte der Nuller Jahre durch. „Inzwischen gibt es an jedem Wochenende Partys mit entsprechender Musik oder Kurse und Workshops“, erzählt Karsten. Auch im Ruhrgebiet kann man regelmäßig zu Swingmusik tanzen. Dort laufen die Lindy-Hop-Fäden bei Marina Fischer und Peter Bieniossek zusammen. Sie haben 2006 gemeinsam die Community „LindyPott“ gegründet. Diese organisiert Kurse, Trainingsgruppen, Workshops und andere Veranstaltungen. Manch ein Teilnehmer kommt zu diesen Ereignissen in weiten Hosen oder im Rock der an die Schnittmuster der 1920er bis 1930er Jahre angelehnt ist. Andere in Jeans und T-Shirt. Fischer hat vor allem die Musik zum Lindy Hop gezogen. „Swingmusik hat etwas Ansteckendes und Positives, ganz gleich ob sie eher langsam oder feurig, schnell und fetzig ist“, schwärmt sie. Wahrscheinlich werde der Tanz deshalb auch meist auf die „Goldenen 20er Jahre“ reduziert. „Dabei waren die Umstände damals ja gar nicht so fröhlich“, sagt Fischer und erinnert an die große Depression, die Weltwirtschaftskrise. Auch Karsten ist es wichtig, dass man sich der Wurzeln dieses Tanzes bewusst ist. „Dabei geht es um Respekt und das Wissen, wo der Lindy Hop herkommt“, sagt er. Die People of Color hätten auch all ihre Sorgen und Ängste mit in den Tanz eingebracht. „Deshalb ist Lindy Hop pures Leben“, so der 48-Jährige.

Federnd, frei und verrückt

Der Tanz ist „federnd“, frei, auch verrückt. Dennoch gibt es einige Grundschritte, die man beherrschen sollte. Diese heißen z. B. Lindy-Turn, Tuc-Turn oder Swing-out. „Wie man diese dann aber interpretiert und mit dem Partner tanzt, bleibt den Tänzerinnen und Tänzern selbst überlassen“, so Karsten. Falsch oder richtig gibt es nicht. Deshalb wirkt Lindy Hop wohl auch so energiegeladen und lebensfreudig. Einstudierte Schrittfolgen oder technisch korrekte Ausführungen sind weniger wichtig als der Dialog zwischen den Partnern, erklären Fischer und Karsten übereinstimmend. Marina Fischer stellt immer wieder fest, dass Menschen, die Swing tanzen, gut gelaunt sind und lächeln. „Das wirkt ansteckend“, sagt sie. Genau deshalb ist auch Friederike Petersohn-Brunnert zum Lindy-Hop-Kurs von Tobias Karsten gekommen. „Ich habe das bei einer öffentlichen Veranstaltung gesehen. Die Menschen sahen alle so glücklich aus, das wollte ich auch“, sagt die 65-Jährige. Und Rita Tücking (63) ergänzt: „Der Tanz hat für mich eine unheimliche Lebendigkeit und strahlt so viel Lebensfreude aus, das finde ich toll.“ Dann geht es für die beiden mit wippenden Schritten zurück auf die Tanzfläche.

Jürgen Bröker, wsp

Dieser Artikel ist zuerst im WESTFALENSPIEGEL 03/2023 erschienen. Im Schwerpunktthema „Die Welt im Umbruch“ lesen Sie mehr über die 1920er Jahre.

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