Die Lebensmittelausgaben der Tafeln haben mit weniger Spenden und mehr Hilfesuchenden zu kämpfen. Foto: Thomas Lohnes, Getty Images
07.04.2022

Tafeln am Limit

Immer mehr Tafeln in der Region stoßen an ihre Grenzen. Corona, steigende Preise und die Flüchtlingswelle aus der Ukraine lassen die Zahl der Hilfesuchenden bei der Lebensmittelausgabe steigen.

„Die Flüchtlingswelle hat uns komplett überrollt. Wir haben seit knapp zwei Wochen eine Warteliste. Unsere Waren reichen für die Anzahl der Menschen, die auf unsere Hilfe angewiesen sind, einfach nicht mehr aus“, sagt Thomas Doussier, Vorstand der Bielefelder Tafel. In den vergangenen Tagen musste er immer wieder Menschen abweisen. Das macht ihm schwer zu schaffen. „Wir versorgen von Dienstag bis Freitag normalerweise etwa 2700 Menschen. Nun sind auf einen Schlag noch einmal 300 hinzugekommen. Wir brauchen dringend Warenspenden.“

Die angespannte Lage hat viele Gründe: Schon in der Pandemie hat die kostenlose Versorgung mit Lebensmitteln an den Tafeln eine größere Nachfrage erlebt. Hinzu kommt, dass es im ersten Quartal eines Jahres immer wieder einen Rückgang im Spendenaufkommen vor allem bei Obst und Gemüse aber auch bei Milchprodukten gibt. Dieser habe nun aber später eingesetzt und halte länger an, sagt Doussier. Und: es gibt mehr Organisationen, die sich auf die Fahne geschrieben haben, Lebensmittel zu retten. Diese treten in Konkurrenz zu den Tafeln. Daher bleiben für die Tafeln weniger Spenden übrig.

„Geld reicht vorne und hinten nicht“

Mehl- oder Ölspenden gebe es aktuell gar nicht mehr, berichtet Tim Müller, Sprecher der Tafel in Siegen. Auch in Südwestfalen haben die Helfer einen Anstieg bei den auf Lebensmittelspenden angewiesenen Menschen registriert. „Bei uns kommt die Flüchtlingswelle erst langsam an“, sagt Müller. Allerdings: Wenn sich geflüchtete Menschen melden, kommen sie meist im Familienverbund. Dadurch erhöhe sich die Zahl der Kunden auf einen Schlag deutlich.

Immer weniger Spenden kommen bei den Tafeln an. Foto: Thomas Lohnes, Getty Images

Immer weniger Spenden kommen bei den Tafeln an. Foto: Thomas Lohnes, Getty Images

Dabei suchen seit Beginn der Pandemie ohnehin schon mehr Menschen die Hilfsangebote auf. „Früher kamen vor allem Rentner, Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger zu uns. Heute kommen Wohngeldempfänger, die zum Teil zwei Arbeitsstellen haben, und bei denen das Geld trotzdem vorne und hinten nicht reicht“, erzählt Doussier. Besonders erschüttert ist er, wenn Menschen in die Warenausgabe kommen, die sich früher selbst für die Tafel engagiert haben. Auch das komme immer wieder vor, so der Bielefelder Tafel-Vorstand.

Kritik an Verteilung

In Siegen haben es die Ehrenamtlichen in den vergangenen Tagen noch geschafft, alle Gäste zu versorgen. Allerdings werden die Lebensmittelpakete kleiner. „Deshalb haben wir auch schon die ersten Beschwerden bekommen, wir würden die ukrainischen Flüchtlinge bevorzugen“, sagt Müller. Das kann er aber ausschließen: „Jeder, der zu uns kommt, wird gleich behandelt.“ Auch bei der Tafel in Borken stehen aktuell schon 30 Familien auf der Warteliste. Dort hat man den Inhalt der ausgegebenen Kisten je Kunde ebenfalls reduziert. „Bis zu ein Drittel weniger Inhalt haben wir bei den frischen und haltbaren Lebensmitteln“, sagt Birgit Menslage-Blum von der Borkener Tafel.

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Zugleich haben die Helfer mit den hohen Sprit- und Energiepreisen zu kämpfen. In Siegen fahren die Diesel betriebenen LKW teilweise bis zu 100 Kilometer, um die Waren einzusammeln. In Bielefeld wurden bereits Touren, auf denen Spenden gesammelt werden, gestrichen, weil sie unwirtschaftlich sind.

Neue Warenspender werden gesucht

Für die Vorstände der Tafeln in der Region ist klar, sie müssen kreativ werden, um die weiter steigende Zahl der Menschen zu versorgen. Doussier will daher die Kooperation mit weiteren Lebensmittelketten ausbauen. Aber auch gezielt auf die Erzeuger wie Landwirte, Schafhalter und Hühnerzüchter in der Region zugehen und um Spenden werben. Denn Waren zukaufen dürfen die Tafeln laut Satzung nicht.

Jürgen Bröker, wsp

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