„Bildungsgerechtigkeit ist Teil unserer DNA“
Fachhochschulen setzen gesellschaftliche Impulse: An der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen wurde die Talentförderung entwickelt. Talentscouts wie Harald Barduhn ermutigen und unterstützen leistungsstarke Schüler.
Einen „Impulsgeber und Realitätenkellner“ nennt sich Harald Barduhn. Als Talentscout begleitet er Schüler auf dem Weg ins Studium oder in eine Ausbildung bis hin zum Berufseinstieg. Ein „Realitätenkellner“ zu sein, bedeute dabei, jungen Menschen verschiedene Möglichkeiten aufzuzeigen. Die Entscheidung, welche sie ergreifen möchten, treffen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst, betont er.
Dabei geht es um weitaus mehr als eine reine Berufsberatung, erklärt Barduhn: „Die Schülerinnen und Schüler entdecken gemeinsam mit mir ihre Stärken. Im Talentscouting geht es darum, Träume und Wünsche zu konkretisieren und den individuell passenden Weg zu finden, berufliche Ziele zu erreichen. Dabei betrachten wir die Leistungen, die die Jugendlichen erbringen im Kontext ihrer Lebensrealität. Wie sieht die familiäre Situation aus, gibt es Hobbys, die Aufschluss geben über besondere Fähigkeiten oder Leidenschaften. Engagiert sich jemand ehrenamtlich. Schulnoten sind ein Leistungsindikator, aber eben nicht der einzige.“
Barduhn und seine Kollegen vom NRW-Zentrum für Talentförderung in Gelsenkirchen wollen den Jugendlichen Mut machen, ihre Pläne zu verwirklichen, gerade wenn sie zu Hause keine idealen Voraussetzungen haben. Denn im Mittelpunkt des Talentscouting-Programms steht die Leistung, die Schüler in ihrem spezifischen Umfeld erbringen. „Unser Fokus liegt auf talentierten jungen Menschen, die zwar wenig privilegiert, aber keineswegs sozial schwach sind“, sagt Marcus Kottmann, Leiter des NRW-Zentrums für Talentförderung mit Sitz in Gelsenkirchen. Er erklärt: „Sie haben auf ihrem Weg oft wenig Unterstützung in ihrer Familie. Sei es, weil die finanziellen Möglichkeiten fehlen oder auch, weil die Eltern vielleicht selbst nicht studiert haben und keine Erfahrung mit Hochschulen haben.“
„Nur knapp ein Viertel der Arbeiterkinder besucht eine Hochschule“
Kottmann ist überzeugt, dass die Gesellschaft diese Talente braucht. „Mehr als drei Viertel der Kinder aus Akademikerhaushalten studieren. Im Gegensatz dazu besucht nur knapp ein Viertel der Arbeiterkinder eine Hochschule – auch wenn diese Jugendlichen trotz schwieriger Bedingungen beachtliche Leistungen bringen. Hier wollen wir ansetzen.“
So hilft Harald Barduhn den Jugendlichen, sich im Dschungel von Studienangeboten zurechtzufinden, vermittelt ihnen Workshops, um sich für eine Ausbildung zu rüsten oder unterstützt auch bei der Bewerbung um Stipendien. „Es geht häufig auch um einen Realitätscheck“, erzählt der Talentscout und gelernte Sozialarbeiter. „Wir finden heraus, wie eine Schülerin oder ein Schüler ein Ziel erreichen kann, auch wenn eine Note noch nicht für den gewünschten Studienplatz reicht. Dann empfehlen wir Qualifizierungsangebote, wie bespielsweise die des TalentKollegs Ruhr und erstellen gleichzeitig aber auch zusammen mit den Jugendlichen einen Plan B oder C.“
„Bildungsgerechtigkeit ist Teil unserer DNA“
Kottmann hat das Talentscouting-Programm an der Westfälischen Hochschule gemeinsam mit dem Hochschulpräsidenten Prof. Dr. Bernd Kriegesmann entwickelt und aufgebaut. 2011 startete dann dort mit Suat Yilmaz Deutschlands erster Talentscout. Heute sind 70 ausgebildete Scouts in NRW an 17 Hochschulen in NRW angesiedelt und begleiten Schülerinnen und Schüler an rund 400 Berufskollegs, Gymnasien und Gesamtschulen. Dass das Programm an einer Fachhochschule entstanden ist, sei kein Zufall, betont Kriegesmann: „Wir haben hier an der Westfälischen Hochschule eine große Erfahrung mit unterschiedlichen Studierenden und Lebensumständen. Bildungsgerechtigkeit ist Teil unserer DNA.“
Harald Barduhn hat sein Büro gemeinsam mit vier weiteren Talentscouts an der Hochschule in Gelsenkirchen. Soweit es die Kontaktbeschränkungen erlauben, bietet er Beratungen an Schulen in der Region an, ist aber auch darüber hinaus für die Jugendlichen eine ständiger Ansprechpartner. „Es ist mir wichtig, dass ich bei Problemen und Fragen auch eine emotionale Stütze sein kann“, sagt er. Der Talentscout erzählt begeistert von jungen Menschen, die trotz schwieriger Startbedingungen den ersehnten Ausbildungs- oder Studienplatz oder auch ein Stipendium bekommen haben. „Die Talente auf diesem Weg unterstützen zu können und durch die langfristige Begleitung auch kleine und große Erfolge mitzubekommen, ist eine sehr sinnvolle und schöne Aufgabe.“
Annette Kiehl, wsp
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