27.09.2019

„Telemedizin schafft Freiräume“

Die Zahl der Mediziner in einer Region wird in Zukunft weniger wichtig sein, sagt die Hausärztin und wissenschaftliche Koordinatorin am Medizin Campus OWL, Dr. Beate Lubbe. Ein Interview aus dem Westfalenspiegel 3/2017.

Frau Dr. Lubbe, können Sie Ihren Beruf als Hausärztin den Studierenden empfehlen?
Dr. Beate Lubbe: Ja, das kann ich. Der Reiz meiner Arbeit in der Praxis besteht darin, dass man die Patienten als Menschen kennenlernt und nicht nur als Fälle. Ich therapiere nicht ausschließlich einzelne Erkrankungen, sondern betreue den ganzen Menschen in seinen Lebensumständen, die das Wohlbefinden und Erkrankungen beeinflussen.

Warum fehlen dann so viele Hausärzte?
Die Politik erwartet im Grunde genommen immer noch, dass Haus- oder auch Kinderärzte praktisch immer für ihre Patienten da sind und alles für sie tun – und zwar unabhängig von der Bezahlung. Ich kann daher junge Leute verstehen, die das nicht wollen.

Dr. Beate Lubbe. Foto: Kiehl

Welche konkreten Probleme gibt es?
Ein Thema ist die ausufernde Bürokratie; zum Beispiel, wenn Anträge für eine Rehabilitation immer aufwendiger werden. Ein weiterer Grund sind die Finanzen: Mein Budget für Verordnungen beträgt im Durchschnitt weniger als drei Euro pro Quartal und Patient. Damit sind die Therapiemöglichkeiten sehr beschränkt. Selbst wenn ich es für sinnvoll halte, einem Patienten mit Rückenschmerzen Krankengymnastik zu verordnen, kann ich es nicht tun, weil das Geld dann bei anderen Patienten fehlt.

Hat das traditionelle Hausarzt-Modell eine Zukunft?
Nein, in dieser Form sicherlich nicht. Die nachfolgende Generation will nicht die herrschende Arbeitsbelastung übernehmen, zumal ein Großteil der Medizinstudierenden weiblich ist und mit Familie nicht 60 Stunden pro Woche arbeiten will. Die Zukunft liegt eher in Medizinischen Versorgungszentren, wo mehrere Ärzte in unterschiedlichem Stundenumfang arbeiten.

Wie kann man junge Ärzte dazu bewegen, im ländlichen Raum zu arbeiten?
Mir liegt die Region Ostwestfalen sehr am Herzen. Mein Ziel ist es aber nicht, möglichst viele Ärzte hierher zu locken, das wäre kurzsichtig. Wichtiger ist es, die Studierenden fachlich und persönlich gut auszubilden. Ob jemand dann später in Ostwestfalen oder auch in Schleswig-Holstein arbeitet, ist eine andere Frage. Man kann junge Menschen nicht zu solch einer Entscheidung zwingen, das würde ihre Motivation kaputt machen.

Welche Lösungen könnte es dann für den Ärztemangel geben?
Ein Thema, auf das wir uns am Medizin Campus OWL konzentrieren, ist die Digitalisierung. Durch neue Technologien wird die Frage nach Standorten zunehmend unwichtiger. So können bei speziellen Untersuchungsinstrumenten die Daten online an andere Orte übertragen werden. Damit bietet uns die Digitalisierung viele Freiräume, Arbeitsplätze neu zu gestalten. Daher halte ich es nicht mehr für entscheidend, ob zehn Ärzte mehr oder weniger hier arbeiten. Viel wichtiger ist es, wie wir uns den Bedürfnissen der Menschen stellen. Gerade in der Allgemeinmedizin sollte diese Frage im Mittelpunkt stehen.

Interview: Annette Kiehl / wsp

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