Zauberei mit Fäden: Sheila Hicks, Lianes Colsa, 2020-22, Wolle, Baumwolle, 175 x 240 cm, The Ekard Collection© Sheila Hicks and EENWERK Amsterdam / VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: EENWERK/Peter Cox
07.01.2025

Textile Welten

Das Josef Albers Museum Quadrat Bottrop präsentiert die international gefeierte Textilkünstlerin Sheila Hicks.

Sheila Hicks zaubert mit Fäden. Ihr Bild „Seal Beach“ (2009) besteht aus Leinenfäden, die als schmale vertikale Felder eine Fläche unterteilen. Jede Säule ist aus schrägen Schraffuren aufgebaut, die gegeneinander versetzt sind, blau, grau, weiß. Der Blick kann sich darin wundersam verirren. Lässt man sich nun in die räumliche Illusion verleiten, dass man quasi vor einer Staffel von Stufen steht? Achtet man mehr auf den Rhythmus der versetzten gedämpften Farben? Oder schaut man auf die Tafel als Objekt, als gemachtes Ding, das von Stoff übersponnen ist? Ist das überhaupt ein abstraktes Bild?

So fordert die Ausstellung im Josef Albers Museum in Bottrop gleich am Anfang den Besucher heraus. Was gibt es hier zu sehen? Sheila Hicks, geboren 1934 in Hastings, Nebraska, fertigt seit den späten 1950er Jahren ihre Werke aus Textilien, aus Fäden, Geweben, Knäueln. Die Künstlerin hatte viele Ausstellungen, im Centre Pompidou ebenso wie im New Yorker Museum of Modern Art, in Südkorea, Israel, Mexiko. Sie hat Reliefs für den JFK Flughafen in New York geschaffen und sieben Wandteppiche für ein Konferenzzentrum in Mekka. Aber in Deutschland ist sie kaum bekannt. Das wird die opulente Retrospektive ändern, die ihr nun parallel in Bottrop und in der Kunsthalle Düsseldorf gewidmet wird. Mit rund 250 Werken wird ihre Entwicklung verdeutlicht.

Studium bei Josef Albers

Bottrop ist ein logischer Ort für die Werkschau. 1954 hatte sie ein Studium an der Yale School of Art in Connecticut bei Josef Albers aufgenommen. Das grundlegende Verständnis für Farbe teilt sie noch immer mit ihm. Die Tapisserie „Color Alphabet II/IV“ (1982) – im selben Saal wie „Seal Beach“ – wirkt wie ein Nachhall der vielen Hommagen ans Quadrat, die der in Bottrop geborene Künstler in seinen späten Jahren schuf. Nur dass auch hier Hicks die Quadrate mit ihren feinen Farbabstufungen nicht malte, sondern mit Wolle und Seide webte. Wobei die Gestaltung mit einer hellgrauen, unregelmäßigen Umrahmung an ein Gemälde denken lässt. Man kann sich vorstellen, dass die Künstlerin ein neues Konzept für Bilder entwickelte. Hier liegt nicht Farbe auf einer Leinwand, hier bildet der Stoff selbst das Bild. Die Farbe wird greifbar.

Blick in die Ausstellung im Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop. Foto: Philipp Ottendörfer / Josef Albers Museum Quadrat Bottrop

Blick in die Ausstellung im Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop. Foto: Philipp Ottendörfer / Josef Albers Museum Quadrat Bottrop

In ihren Studienjahren bei Albers baute sie einen Webrahmen, um die Textiltechnik zu verstehen. Albers führte Lehrmethoden des Bauhauses fort. In Bottrop sieht man auch frühe malerische Arbeiten, zum Beispiel Stillleben, die von dem analytischen Zugang zur Farbe geprägt sind, wie ihn die Impressionisten entwickelten. Man denkt an Cézanne bei „Still Life“ (1956), an Monet bei „Green Square“ (1957). Hicks wandte sich aber ganz der Arbeit mit Textilien zu. Ab 1957 bereiste sie mit einem Fulbright-Stipendium Südamerika, besonders Chile, wo sie die Webtechniken der indigenen Bevölkerung studierte. Auch später reiste sie viel. So kam sie zu einer großen Vielfalt an Techniken, die sich in ihren Arbeiten finden. In Nordafrika fand sie die Torformen für ihre „Gebetsteppiche“ (Tapis de Prière, 1971, 1974).

Monumentaler Wandbehang

Die Künstlerin entdeckt immer neue Zugänge, immer neue Möglichkeiten, mit Fasern und Stoffen umzugehen. In putzlappenkleinen Geweben arbeitet sie auch andere Materialien ein, Steine, Muschelschalen, Federn, sogar menschliche Haare. Natürlich webt und flicht sie, sie bindet Kissen, umwickelt Leinwände. Aber sie bündelt auch Fäden zu dicken Strängen, bei denen dann Partien dicht umsponnen werden. So entstand „Reflections of Versailles“ (Spiegelungen von Versailles“, 1973), ein monumentaler Wandbehang, der wie das Abbild eines Portals wirkt. Tatsächlich besteht die Arbeit aus dicht gefügten Einzelsträngen, bei denen die Leinenfasern sich mal bauschen, mal durch Umspinnen kompakt und hart erscheinen. Zusätzlich ist eine Bogenform dadurch entstanden, dass einige Partien mit Goldgarn umfangen wurden. Wieder entstand ein Objekt, das sich Kategorien entzieht, das Bild ist und Relief, an dem man die visuellen Wirkungen von verschiedenen Materialien entdecken kann.


Dieser Beitrag ist zuerst in Heft 6/2024 des WESTFALENSPIEGEL erschienen. Möchten Sie mehr lesen? Gerne senden wir Ihnen zwei kostenlose Ausgaben unseres Magazins zu. Hier geht es zum Schnupperabo.


Hicks schafft Skulpturen, indem sie Stoffstücke stapelt, Gewebe wie Teppichendstücke, deren Fransen sich aufbauschen, wie „Evolving Tapestry“ (1987). Sie formt aus Seilen Säulen, wie bei „Au-dela“ (2022, zu sehen in Düsseldorf) oder bei „Menhir“ (Hinkelstein, 1998-2004). Sie stapelt unförmige rote Gewebeballen in der Ecke eines Saales. „Rempart“ (Schutzwall, 2016) wirkt, als hätte man Material beiseitegeräumt. Oder wie eine Sitzgelegenheit. Die Arbeit bringt Unordnung, Unruhe in einen Raum. In Düsseldorf sieht „Safron Sentinel“ (2017) – eine monumentale Variante  dieser Idee – aus, als wäre eine bunte Lawine abgegangen. Wer hätte gedacht, dass so etwas Weiches, Flauschiges so eine Wucht entwickelt? Dicke Wollstränge lässt sie wie einen Wasserfall in Gelb- und Brauntönen über die Brüstung der Kunsthalle Düsseldorf strömen. Auf dem Boden bildet „L’Aprentizaje de la Victoria“ (2008-2016) ein Gewirr wie Gischt. Ist das jetzt ein Relief, eine Skulptur, ein Teppich? Eigentlich alles zugleich.

Solche Wirkungen plant Hicks, auch darin Erbin des Bauhauses, das alle Kunst vom Raum, von der Architektur her dachte. Sheila Hicks hat wie Josef Albers weltweit bedeutende Aufträge für Kunst am Bau ausgeführt. In Bottrop ist ihre Arbeit 1968 für das Hauptgebäude der Ford Foundation in New York dokumentiert, bei der sie Hallenwände mit textilen Medaillons verkleidete. Aufregend und spannend an Sheila Hicks‘ Kunst ist, wie sie Textilien, die meistens dem Kunsthandwerk zugeordnet werden, dazu nutzt, ganz autonome und originelle Fragen zu stellen.

Ralf Stiftel

Sheila Hicks‘ Werk ist bis zum 23. Februar 2025 im Josef Albers Museum Quadrat Bottrop zu sehen. Parallel zeigt die Kunsthalle Düsseldorf aktuelle und raumgreifende Werke der US-Künstlerin.

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